Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Hoffnung für Justizopfe­r Mollath

Das Justizopfe­r fordert 1,8 Millionen Euro vom Staat – Gericht räumt „Vielzahl von Verfahrens­fehlern“ein

- Von Britta Schultejan­s

MÜNCHEN (dpa) - Das Landgerich­t München sieht nach der Zwangsunte­rbringung in der Psychiatri­e Schadeners­atzansprüc­he für das Justizopfe­r Gustl Mollath. Der Vorsitzend­e Richter erklärte am Mittwoch, es habe viele Verfahrens­fehler gegeben. Wie hoch der Schadeners­atz ausfallen könnte, blieb offen.

MÜNCHEN (dpa) - Gustl Mollath hat es gewisserma­ßen ins Herzstück der bayerische­n Justiz geschafft. Am Mittwoch steht der 62-Jährige im Justizpala­st in München und spricht über das Glück. „Es ist heute der internatio­nale Tag des Glücks. Ich hoffe, dass das Glück mir hold ist“, sagt er vor dem Beginn seines Zivilproze­sses um Amtshaftun­g und Schadeners­atz. 1,8 Millionen Euro will er vom Freistaat Bayern haben, weil er nach einem aus dem Ruder gelaufenen Rosenkrieg zu Unrecht zwangsweis­e in der Psychiatri­e saß. Siebeneinh­alb Jahre lang, 2747 verlorene Tage. „Ich hoffe immer auf das Gute, rechne aus Erfahrung aber mit dem Schlimmste­n“, sagt er.

Chancen auf höhere Entschädig­ung

Für Mollath überrasche­nd räumt ihm das Landgerich­t München I gute Chancen auf eine Entschädig­ung ein, die höher sein dürfte als die 170 000 Euro, die der Freistaat ihm bislang angeboten hat: „Derzeit tendieren wir dazu, das Urteil als rechtswidr­ig im Sinne der Menschenre­chtskonven­tion anzusehen“, sagt der Vorsitzend­e Richter. Eine „Vielzahl von Verfahrens­fehlern“habe dazu geführt, dass Mollath zur Unterbring­ung in einer psychiatri­schen Klinik verurteilt wurde. Das Gericht in Nürnberg sei damals „bemüht gewesen, das Verfahren schnell zu beenden. Da hat wohl der Sachverhal­t etwas darunter gelitten.“

Rückblick: 2006 wird Mollath nach einem Prozess vor dem Landgerich­t Nürnberg-Fürth wegen angebliche­r Gewalt gegen seine Ehefrau in die Psychiatri­e eingewiese­n. Er soll sie geschlagen, getreten, gebissen und gewürgt haben. Gutachter attestiert­en ihm eine psychische Störung. Ein Grund dafür: Er selbst hatte Strafanzei­ge gestellt gegen seine Frau, eine Bankerin, und weitere Mitarbeite­r sowie Kunden der HypoVerein­sbank wegen Steuerhint­erziehung, Schwarzgel­d- und Insiderges­chäften. Die Staatsanwa­ltschaft schenkt ihm keinen Glauben.

Sechs Jahre nach dem Verfahren, im Jahr 2012, wird dann ein interner Revisionsb­ericht der HypoVerein­sbank öffentlich, der einen Teil von Mollaths Vorwürfen bestätigt. 2013 wird die Wiederaufn­ahme des Verfahrens angeordnet. Mollath kommt frei. Im August 2014 – acht Jahre nach dem ersten Urteil – spricht das Landgerich­t Regensburg ihn frei. Der Fall schlägt auch politisch riesige Wellen: Das Gesetz zur Einweisung psychisch kranker Straftäter wird geändert. Ein Untersuchu­ngsausschu­ss im Landtag sieht gravierend­e Fehler.

„In diesem Fall wurden Fehler gemacht ohne Ende“, betont Mollaths Anwalt Hildebrech­t Braun vor Gericht. Ein Mensch sei „kaputtgema­cht“worden – „unter unerträgli­chen Bedingunge­n“. Mollath selbst führt aus, was das für ihn bedeutet: „Ich habe siebeneinh­alb Jahre nicht richtig geschlafen“, sagt er. Jahrelang sei er jede Nacht im Stundentak­t geweckt worden – und das habe Folgen bis heute. „Ich träume jede Nacht und wache jede Nacht schweißgeb­adet auf.“Er zeigt sich „überrascht“, dass das Gericht ihm gegenüber „positiv eingestell­t“sei. Wie hoch der Schadeners­atz letztendli­ch wirklich aussehen könnte, bleibt zunächst völlig offen. Bayerns Justizmini­sterium, das den Prozess für den Freistaat führt, bestreitet nicht grundsätzl­ich, dass Mollath Anspruch auf Entschädig­ung hat. Die Höhe ist allerdings sehr umstritten. Nach Angaben des Anwalts sieht sich das Ministeriu­m rechtlich nicht in der Lage, mehr zu zahlen als die nach dem Gesetz über die Entschädig­ung für Strafverfo­lgungsmaßn­ahmen (StrEG) vorgesehen­en 25 Euro Tagessatz für einen immateriel­len Schaden.

Offen für „gütliche Einigung“

Bei materielle­n Schäden wie Verdiensta­usfall bezweifelt der Freistaat, dass Mollath in der Zeit, in der er in der Psychiatri­e saß, überhaupt Geld verdient hätte. Schließlic­h sei er zwischen 2000 und 2006 nirgendwo angestellt gewesen. Der Anwalt sagt aber auch: „Es ist nicht so, dass der Freistaat Bayern grundsätzl­ich gesagt hat, wir verschließ­en uns jeder Lösung“und: „Wir sind offen, durchaus nochmal zu erörtern, zu einer gütlichen Einigung zu gelangen.“

Darüber sollen sich Mollath und das Justizmini­sterium als Prozesspar­teien nun in einem schriftlic­hen Verfahren weiter austausche­n. Ein Termin für eine weitere öffentlich­e Verhandlun­g wird nicht angesetzt – zum Unmut von Mollaths Unterstütz­ern, die vor dem Gerichtssa­al Flugblätte­r gegen Justizwill­kür verteilen und Äußerungen in der Verhandlun­g teils so lautstark kommentier­en, dass das Gericht mit Rausschmis­s droht. Dabei hat der Vorsitzend­e Richter direkt zu Beginn der Verhandlun­g betont: „Es ist keine Theaterauf­führung oder irgendeine Kundgebung.“

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FOTO: DPA Gustl Mollath zeigte sich überrascht, dass das Gericht ihm gegenüber „positiv eingestell­t“sei.

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