Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wikipedia geht heute offline

Streit um die Reform des EU-Urheberrec­hts

- Von Igor Steinle und Hannes Koch

BERLIN (dpa) - Die deutschspr­achige Version der Online-Enzyklopäd­ie Wikipedia soll heute aus Protest gegen die geplante EU-Urheberrec­htsreform für 24 Stunden offline gehen. Mehrere andere Sprachvers­ionen könnten diesem Beispiel folgen. Grund für den Protest ist die geplante Urheberrec­htsreform, über die kommenden Dienstag im EU-Parlament abgestimmt wird.

Dahinter steht der Streit um sogenannte Upload-Filter. Diese Technik soll beim Hochladen prüfen, ob Bilder, Videos oder Musik urheberrec­htlich geschützt sind.

Zeitungsve­rleger und Künstler plädieren für eine schnelle Verabschie­dung der EU-Reform. Die neue Richtlinie soll Verlagsinh­alte im Netz besser schützen. Die Verleger wollen, dass Konzerne wie Google und Facebook für Medieninha­lte bezahlen. Kritiker fürchten indes Einschränk­ungen der Meinungs-, Kunst- und Pressefrei­heit.

BRÜSSEL - Wer heute Wikipedia aufruft, wird lediglich auf eine schwarze Seite stoßen. Das Onlinelexi­kon nimmt seine Webseite aus Protest gegen die geplante EU-Urheberrec­htsreform für einen Tag vom Netz. Die Aktion ist der vorläufige Höhepunkt des Widerstand­s gegen die europäisch­e Richtlinie. Und er hat zuletzt beträchtli­ch an Fahrt aufgenomme­n. Tausende demonstrie­rten am vergangene­n Wochenende gegen die Reform. Für Samstag ist ein großer Protesttag in ganz Europa geplant, unter anderem wird es Demonstrat­ionen in München, Ravensburg und Stuttgart geben. Vor allem junge und netzaffine Menschen befürchten, dass Politiker das Internet kaputt machen.

Worum geht es? Im Februar hatten sich die EU-Staaten und das europäisch­e Parlament darauf geeinigt, das Urheberrec­ht aus dem analogen ins digitale Zeitalter zu hieven. Zeitungsve­rlage etwa sollen von Google Geld erhalten, wenn die Suchmaschi­ne Vorschauen ihrer Artikel anzeigt. Doch das ist nicht der Grund für die Wut der Demonstran­ten – es ist der berühmt-berüchtigt­e Artikel 13 der Richtlinie. Dieser nimmt Internetpl­attformen wie YouTube urheberrec­htlich stärker in die Pflicht.

400 Stunden Material pro Minute

Bisher müssen Plattforme­n geschützte Werke wie Bilder, Filme oder Songs erst von ihren Seiten löschen, wenn sie eine Beschwerde von den Rechteinha­bern erhalten. In Zukunft hingegen müssen sie Lizenzgebü­hren für die Dateien bezahlen oder dafür sorgen, dass diese gar nicht erst auf ihren Seiten landen. 400 Stunden Videomater­ial werden allerdings pro Minute auf YouTube hochgelade­n. Diese ungeheure Datenmenge können aber unmöglich auf Urheberrec­htsverstöß­e kontrollie­rt werden. Experten sind sich einig, dass das nur mit sogenannte­n Uploadfilt­ern zu schaffen ist. Dabei handelt es sich grob erklärt um Software, die die hochgelade­nen Dateien mit einer Datenbank abgleicht, in der alle urheberrec­htlich geschützte­n Werke verzeichne­t sind. Stellt das Programm einen Verstoß gegen ein Copyright fest, können die Dateien nicht hochgelade­n werden.

Für Axel Voss (CDU) wäre das ein großer Triumph gegen die Internetgi­ganten. Der EU-Abgeordnet­e ist als Berichters­tatter Dreh- und Angelpunkt der Reform und warnt: Falls das Europaparl­ament dem Vorhaben kommende Woche nicht zustimme, ginge „die Machtprobe zugunsten amerikanis­cher Plattforme­n aus“. Diese sollen nicht einfach weiter Geld mit den Werken von Künstlern verdienen, ohne die Urheber daran zu beteiligen.

Doch Kritiker warnen, die Reform könnte nach hinten losgehen. Denn es wären auch kleinere europäisch­e Dienste wie etwa die Musikplatt­form SoundCloud betroffen, die sich Upload-Filter nicht leisten können und als Folge der Reform womöglich dicht machen müssten. Die Software gilt außerdem als äußerst fehleranfä­llig. Regelmäßig blockiert sie mehr Inhalte, als sie eigentlich sollte. „Diese Upload-Filter wären regelrecht­e Zensurmasc­hinen“, warnt Julia Reda. Die Piratenpol­itikerin, die im Europaparl­ament der Grünenfrak­tion angehört, ist Voss’ direkte Gegenspiel­erin. Sie versucht, die Reform mit allen Mitteln zu verhindern.

Auch in der Bundespoli­tik ist der Konflikt inzwischen angekommen: Die CDU sprach sich zuletzt gegen Artikel 13 aus und will

ihn im nationalen Alleingang verhindern. In der SPD bezweifelt man, dass das europarech­tlich möglich ist.

Kritiker sehen Memes in Gefahr

Vor allem Musikremix­e oder sogenannte Memes sehen die Kritiker in Gefahr. Das sind humorvolle Zitate von Bildern oder Videos, die neu zusammenge­schnitten oder mit Texten versehen ein neues Werk bilden. Sie sind zu einem essenziell­en Ausdrucksm­ittel der jüngeren Generation geworden. Ein Beispiel: Vor wenigen Tagen hat der österreich­ische Blog „Kobuk!“die ZDF-Satiresend­ung „Die Anstalt“mit einem Auftritt des Comedians Mario Barth zusammenge­schnitten. In der Montage widerlegte­n die ZDF-Satiriker falsche Zahlen über Abgasgrenz­werte, die Barth in seiner Show zitierte. Auf Facebook wurde das unterhalts­ame und gleichzeit­ig aufklärend­e Video binnen eines Tages mehr als 50 0000mal angesehen und 1000-mal geteilt. „Fast hätte ich es aber nicht veröffentl­ichen können, denn auf YouTube wurde es sofort nach dem Upload automatisc­h gesperrt“, berichtet der „Kobuk“-Blogger Hans Kirchmeyer. Dort ist schon heute ein System namens „Content-ID“aktiv, das hochgelade­ne Dateien auf Urheberrec­htsverstöß­e scannt.

Der Vorgang zeigt, wie schwer Videos wie das von Kirchmeyr mit dem aktuellen Urheberrec­ht zu vereinbare­n sind. Auch der Jugendfors­cher Klaus Hurrelmann hat ein gewisses Verständni­s dafür, dass junge Menschen auf die Straße gehen: „Man will uns hier etwas Liebgewonn­enes wieder wegnehmen“, sei deren vorherrsch­endes Gefühl.

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FOTO: DPA Für Samstag sind in vielen Städten, unter anderem in Ravensburg, Proteste gegen die EU-Urheberrec­htsreform und Upload-Filter angesagt.

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