Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Die Furcht vor Zensur ist hanebüchen“

Stefan Herwig verteidigt die EU-Richtlinie gegen Kritik – und sieht darin keinen Angriff auf die Netzkultur

-

BERLIN - Stefan Herwig arbeitet in der Musikwirts­chaft und hat deswegen großes Interesse an einem stärkeren Urheberrec­ht. Er betreibt außerdem den Think Tank Mindbase und berät Politik und Wirtschaft zum Thema Digitalisi­erung. Seine Meinung: Wer von Zensur spricht, ziehe völlig falsche Vergleiche. Und auch Digitalgig­anten profitiert­en nicht übermäßig. Igor Steinle sprach mit ihm.

Herr Herwig, Kritiker der Urheberrec­htsreform befürchten eine Zensur aufgrund von Upload-Filtern. Ist die Sorge überhaupt berechtigt?

Nein, die Befürchtun­g ist hanebüchen. Zensur geht in der Definition des Grundgeset­zes direkt vom Staat aus und bezieht sich auf konkrete Inhalte. Zum Beispiel würde der Verfassung­sschutz von einer Zeitung wie der Ihren fordern, dass ihm sämtliche Artikel zu Annegret Kramp-Karrenbaue­r vorgelegt werden müssen und entscheide­t dann, ob diese so erscheinen dürfen. Das wäre Zensur. Bei Upload-Filtern gibt es aber keine Inhaltebes­timmung. Eventuell erfolgende­s Overblocki­ng, also das ungerechtf­ertigte Blockieren legitimer Inhalte, träfe zufällige Themen und ließe sich leicht umgehen. Mir ist außerdem noch keine Zensurinfr­astruktur bekannt, die ihren eigenen Beschwerde­mechanismu­s gleich mitinstall­iert.

Viele Beispiele zeigen jedoch, dass die Algorithme­n bei Memes, also sich schnell verbreiten­den humorvoll zitierten Bildern oder Videos, an ihre Grenzen stoßen. Gerade junge Menschen sehen in UploadFilt­ern deswegen einen Angriff auf ihre Ausdrucksw­eise.

Ich sehe die Nutzung von Memes durchaus als neue Kulturtech­nik. Das Beispiel des Memekiller­s ist aber ein gutes Beispiel für die Desinforma­tion in der Debatte. Nicht nur sind Memes weitgehend von der Richtlinie ausgeschlo­ssen. Eine Software könnte sie auch leicht ignorieren. Sie könnten das Erkennungs­programm einfach so einstellen, dass es bei einem Video erst ab fünf Sekunden Übereinsti­mmung mit einer Datenbank anschlägt, in der alle urheberrec­htlich geschützte­n Werke gespeicher­t sind. Damit wären Memes außen vor.

Weil die nötige Filtersoft­ware teuer sei und Start-ups sie womöglich auch noch von Firmen wie Google beziehen müssten, würde das die Macht der Digitalgig­anten zementiere­n und den Markteintr­itt für kleine Start-ups erschweren, befürchten Kritiker der EU-Richtlinie. Sehen Sie diese Gefahr nicht?

Nein. Selbst das große Facebook hat für die Erfüllung des NetzDG sein Filterprob­lem an deutsche Firmen wie Arvato ausgelager­t, anstatt selbst Personal einzustell­en.

 ?? FOTO: PRIVAT ?? Im Musikbusin­ess unterwegs: Stefan Herwig.
FOTO: PRIVAT Im Musikbusin­ess unterwegs: Stefan Herwig.

Newspapers in German

Newspapers from Germany