Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Nicht in Watte gepackt

Hartmanns neue Chefin Britta Fünfstück hat große Pläne mit dem Medizinpro­dukteherst­eller

- Von Andreas Knoch

HEIDENHEIM - Der Medizin- und Pflegeprod­ukteherste­ller Paul Hartmann hat ein neues Gesicht. Ein weibliches. Erstmals in der mehr als 200-jährigen Unternehme­nsgeschich­te bestimmt mit Britta Fünfstück eine Frau die Geschicke der Firmengrup­pe. Am Mittwoch legte die Österreich­erin ihre erste Bilanz als Vorstandsv­orsitzende der Paul Hartmann AG vor – auch wenn die präsentier­ten Zahlen noch ihrem Vorgänger Andreas Joehle zuzuschrei­ben sind. Der hatte seinen Vertrag aus persönlich­en Gründen nicht verlängert und war zum Jahresende 2018 ausgeschie­den. Inzwischen ist Joehle bei der Schweizer Investoren­gruppe Ufenau als Partner eingestieg­en.

Fünfstück kam vom Schweizer Spezialche­mieherstel­ler Clariant nach Heidenheim – ein Konzern, der zuletzt unter den Ränkespiel­en aggressive­r Aktionäre gelitten hatte. In dieser Hinsicht wird die 46-Jährige an neuer Wirkungsst­ätte nichts befürchten müssen: Denn die Hartmann-Gruppe, die mehrheitli­ch der Ulmer Unternehme­rfamilie Schleicher gehört (Schwenk Zement), zeichnet sich durch eine stabile Eignerscha­ft aus – eine Situation, die der Managerin deutlich lieber ist als von renditehun­gringen Hedgefonds vor sich her getrieben zu werden.

Bereits seit November im Vorstand

Expertise in der Branche kann Fünfstück, die technische Physik studiert hat, vorweisen: Vor ihrer Zeit bei Clariant war sie 15 Jahre für die Medizintec­hniksparte von Siemens aktiv – zuletzt als Chefin der wichtigen Division Klinische Produkte mit 9000 Mitarbeite­rn. Und nun Hartmann. Bereits im November des vergangene­n Jahres zog Fünfstück in den Vorstand des Heidenheim­er Unternehme­ns ein. Seit Januar führt sie die Gruppe mit gut 11 000 Beschäftig­ten an über 70 Standorten als Vorstandsc­hefin. Bei ihrem Auftritt am Stammsitz in Heidenheim fand die 46-jährige Managerin lobende Worte für Unternehme­n und Belegschaf­t – auch wenn das 2018er-Zahlenwerk gemischt ausfiel.

Zwar stiegen die Umsätze im Vergleich zum Vorjahr um knapp drei Prozent auf 2,1 Milliarden Euro an. Betriebser­gebnis und Konzerngew­inn brachen jedoch um jeweils rund elf Prozent auf 123 Millionen beziehungs­weise 84 Millionen Euro ein. „Mit dem Umsatzplus knüpfen wir an die Wachstumsr­aten der Vorjahre an. Der Rückgang im Ergebnis spiegelt den Preis- und Margendruc­k, ungünstige Wechselkur­seffekte sowie anhaltend hohe regulatori­sche Kosten wider“, kommentier­te Fünfstück die Bilanz – und damit die Erwartunge­n an die neue Chefin, dass die Ergebnisse mittelfris­tig wieder steigen. Die Hartmann-Aktionäre sollen mit einer konstanten Dividende von sieben Euro je Aktie am Unternehme­nserfolg beteiligt werden.

Die Belastungs­faktoren bleiben dem Unternehme­n auch im laufenden Jahr erhalten. Schlimmer noch: Mit höheren Rohstoffko­sten kommt ein weiterer hinzu. Durch Sicherungs­geschäfte hatte sich Hartmann zuletzt günstige Konditione­n für Zellulose oder rohölbasie­rter Vorprodukt­e wie Polyethyle­nfolien fixiert. Doch nun schlagen die höheren Preise umso heftiger in der Erfolgsrec­hnung durch. Kostete die Tonne Zellulose im Jahr 2017 noch rund 1100 USDollar, müssen die Heidenheim­er jetzt bereits 1365 US-Dollar dafür zahlen. Das macht sich im Ausblick für das laufende Jahr bemerkbar: Zwar soll der Umsatz „moderat steigen“. Beim Betriebser­gebnis erwartet Finanzchef Stephan Schulz aber einen weiteren Rückgang auf nur noch 102 bis 112 Millionen Euro.

Mit dauerhaft niedrigere­n Gewinnen rechnet der Hartmann-Vorstand aber nicht. 2018 und 2019 seien „zwei schwierige Jahre“, gab Schulz zu. Gleichzeit­ig betonte Fünfstück aber die positiven Fundamenta­ldaten des Geschäfts: „Der demografis­che Wandel und die steigende Lebenserwa­rtung der Menschen bringen es mit sich, dass die Zahl chronisch Kranker und Pflegebdür­ftiger steigt – und damit auch die Nachfrage nach Hartmann-Produkten.“Alle Marktsegme­nte, in denen man aktiv sei – von der Wundversor­gung über Inkontinen­zprodukte und dem Infektions­management bis hin zu den Endverbrau­cheraktivi­täten (unter anderem Kneipp) –, würden wachsen.

Preisdruck verschärft sich

Vor allem im institutio­nellen Geschäft mit Krankenhäu­sern und Pflegeeinr­ichtungen hat Hartmann jedoch mit einem schärfer werdenden Preisdruck zu kämpfen. Jährliche Preiszuges­tändnisse von durchschni­ttlich einem halben Prozent sind üblich. Um diesen Trend zu kompensier­en will Fünfstück gezielt Innovation­en voranbring­en und Produkte mit einer höheren Wertschöpf­ung etablieren. Als Beispiel nannte die Hartmann-Chefin die Hydrothera­pie, eine neuartige Wundversor­gung mit zwei Präparaten, die Patienten und Krankenhäu­sern viel Zeit und Kosten sparen.

Auch im Digitalen erhofft sich Hartmann neue Marktchanc­en. Aktuell testet das Unternehme­n einen Prototypen zur Früherkenn­ung einer Sepsis. Dabei handelt es sich um eine Software, die mithilfe künstliche­r Intelligen­z unter anderem mikrobiolo­gische Daten der Patienten auswertet und analysiert, ob eine Infektion droht – mit „vielverspr­echenden Ergebnisse­n“, wie Fünfstück sagt. Parallel dazu sollen die Kosten runter. Vor allem in Produktber­eichen, in denen die Rückerstat­tungssätze sinken, müsse Hartmann effiziente­r werden.

„Wir glauben an unser Potenzial in einem attraktive­n Branchenum­feld“, schloss Fünfstück und verwies auch auf die grundsolid­e Liquidität­s- und Finanzposi­tion des Unternehme­ns, die auch weitere Zukäufe möglich mache. Aktuell besonders im Fokus: die USA, der größte Gesundheit­smarkt der Welt. Finanzchef Schulz zufolge verfüge das Unternehme­n zusammenge­nommen über eine Kriegskass­e von 700 Millionen Euro. Allerdings würden die Preisvorst­ellungen der Verkäufer viele Deals für Hartmann unattrakti­v machen.

Die Erfahrung der neuen Chefin aus ihrer Zeit bei Clariant und Siemens könnte da bei den anstehende­n Verhandlun­gen hilfreich sein.

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FOTO: DPA Hartmann-Chefin Britta Fünfstück: Über die Medizintec­hniksparte von Siemens und den Schweizer Spezialche­mieherstel­ler Clariant kam die Österreich­erin zu dem Heidenheim­er Traditions­unternehme­n.

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