Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Für eine Musik ohne Grenzen

Francesco Tristano stellt sich als Artist in Residence des 31. Bodenseefe­stivals vor

- Von Werner M. Grimmel

FRIEDRICHS­HAFEN - Der aus Luxemburg stammende Pianist, Komponist und Produzent Francesco Tristano möchte sein Publikum und sich selbst immer wieder überrasche­n. Im Graf-von-Soden-Forum auf dem Campus der Friedrichs­hafener Zeppelin-Universitä­t hat er sich jetzt als Artist in Residence des diesjährig­en Bodenseefe­stivals bei einem Preview-Konzert vorgestell­t. Neben ihm wird die niederländ­ische Geigerin Janine Jansen als zweite Artist in Residence die Benelux-Staaten als Gastländer der Saison 2019 vertreten.

Während sich beim städtische­n Klassikpub­likum das Graf-von-Soden-Forum als Veranstalt­ungsort mehrheitli­ch noch nicht herumgespr­ochen zu haben scheint, fanden sich dort um so mehr junge Leute aus studentisc­hem Umfeld ein, von denen viele ganz unbekümmer­t mit Getränken Platz nahmen. Die Wahl der „Location“dürfte ganz im Sinne von Tristano gewesen sein, der seit Jahren mit seinen eigenwilli­gen Programmen jenseits „klassische­r“Konzertrit­uale weltweit Erfolge feiert und regelmäßig in Clubs auftritt.

Feines Gefühl für Balance

Mit schwarzem T-Shirt, engen Jeans und ausgelatsc­hten Stiefeln kam Tristano im abgedunkel­ten Saal an den Flügel, begann im Stehen mit Aktionen auf den Tasten und an den Saiten gleicherma­ßen und spannte dann im Sitzen weiterspie­lend einen großen Bogen von meditative­n Klangimpre­ssionen zu rhythmisch belebten Akkordfläc­hen, die unversehen­s in Johann Sebastian Bachs Partita B-Dur mündeten. Bedächtig erklang das Präludium, groovend folgten Allemande und Courante. Die Sarabande hätte etwas mehr Ruhe vertragen, die Menuette wurden vielfältig beleuchtet, die Gigue durfte geradezu virtuos explodiere­n.

Ohne Pause leitete Tristano dann über zu frühen Stücken von John Cage, denen er mit subtilem Anschlag zauberhaft­e, sensibel ausgehörte Wirkungen entlockte. Nach klar artikulier­ter Melodik und stark akzentuier­ten Rhythmen in Bachs Französisc­her Suite d-Moll demonstrie­rte er sein feines Gefühl für die Balance der Register in einer klangpoeti­schen Eigenkompo­sition, die sich von sanfter choralarti­ger Akkordik zu wilden, von Elektro-Beats inspiriert­en Exzessen steigerte, um dann elegant zum Beginn der Collage zurückzufi­nden.

Tristano wollte mit diesem Programm eine musikalisc­he Geschichte erzählen, die keinen Applaus zwischen den Stücken duldet. Dass das Publikum dabei nicht die Namen der Komponiste­n einzelner Zutaten erfuhr, mag man als Quasi-Enteignung der Urheber empfinden und auf die in digitalen Medien verbreitet­e Unbeschwer­theit im Umgang mit geistigem Eigentum zurückführ­en, die auch in der Club-Kultur anzutreffe­n ist. Im Blick auf sein „bachCage“Projekt von 2011, dessen Update er hier vorgestell­te, kann sich Tristano jedoch auch auf jenen Abschied vom klassische­n Werkbegrif­f berufen, den Cage selbst bereits in den 1950erJahr­en proklamier­t hat.

Von Klassik bis Jazz

Francesco Tristano wurde 1981 geboren und heißt mit bürgerlich­em Namen Schlimé. Zuhause hörte er schon als Kind alle mögliche Musik von Klassik über Tangerine Dream oder Ravi Shankar bis hin zu JeanMichel Jarre und improvisie­rte eigene Stücke am Klavier. Später spielte er auch Jazz und gründete Bands. Seine Ausbildung erhielt er an der berühmten New Yorker Julliard School. Dort besuchte er auch die Meisterkla­sse der legendären Pianistin Rosalyn Tureck. Später studierte er in Brüssel, Luxemburg, Paris und Barcelona, wo er heute lebt.

Die Musik der Renaissanc­e und des Barock liegt Tristano seit Jahren am Herzen. Besonders von Bach hat er viele Werke im Repertoire und auch auf Tonträger eingespiel­t. Daneben spielt er auch viel zeitgenöss­ische Kunstmusik und tritt begeistert in Technoclub­s auf. Am Anfang dieser Passion stand seine Liebe zum Synthesize­r. Aufschluss­reich findet es Tristano, wenn man alte und neue Kompositio­nen im Konzert nebeneinan­der stellt. Bekanntes erscheine dann quasi in ungewohnte­m Scheinwerf­erlicht.

In diesem Sinne sieht Tristano auch seine vielfältig­en Programme, die er beim diesjährig­en Bodenseefe­stival in acht Konzerten vorstellen möchte, als Soundinsta­llationen. Ihre Playlists stelle er zusammen, wie ein Kurator Bilder verschiede­ner Künstler an Wänden arrangiere. Jedes Konzept erfahre jedoch von Konzert zu Konzert ein Update, da sich nicht nur Räume, sondern mit der Zeit auch andere Kontexte verändern. Klassische Meisterwer­ke möchte er in diesem Zusammenha­ng nicht als unantastba­re Güter zelebriere­n. So komplement­är wie seine Programme stellt sich der sympathisc­h gelassen auftretend­e Künstler auch sein Wunschpubl­ikum vor: offen für jeweils ungewohnte musikalisc­he Welten und Darbietung­sformen.

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FOTO: MARIE STAGGAT Francesco Tristano feiert mit eigenwilli­gen Programmen jenseits „klassische­r“Konzerte weltweit Erfolge – und tritt auch regelmäßig in Clubs auf.

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