Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Fastenzeit wird großteils verschlafen“
Ernährungsexpertin Kerstin Geiselmann spricht über den Trend Intervallfasten
REGION - Das sogenannte Intervallfasten liegt gerade total im Trend. Vor allem jetzt in der Fastenzeit nutzen viele diese Form des Verzichts. Während die einen damit versuchen, ein paar überflüssige Pfunde loszuwerden, dient es anderen als Reinigung des Körpers. Wie gut Intervallfasten wirklich ist und wie die AOK zu diesem Thema steht? Redakteurin Tanja Bosch hat mit Ernährungsexpertin Kerstin Geiselmann gesprochen.
Frau Geiselmann, wie genau funktioniert Intervallfasten?
Kerstin Geiselmann: Intervallfasten bedeutet immer einen Wechsel zwischen essen und fasten. Man spricht dabei von einem Essfenster und einer Nahrungskarenz, wobei die Karenz, also der Verzicht, zwischen 8 und 24 Stunden liegen kann. Der Fokus liegt dabei auf den Zeitabständen zwischen den Mahlzeiten, nicht auf der Mahlzeitenhäufigkeit. Das heißt, im Essfenster kann ganz normal gegessen werden. Damit löst das Intervallfasten das Dogma der festgelegten Mahlzeiten Frühstück, Mittagessen und Abendessen ab.
Welche Arten von Intervallfasten gibt es?
Die gängigste Variante ist die 16/8Methode. 16 Stunden am Stück wird gefastet, innerhalb von acht Stunden gegessen. Dies sollte mindestens drei bis sechs Tage pro Woche durchgezogen werden. Die strengste Variante lautete eat-stop-eat (Anmerk. der Red.: essen-stoppen-essen), dabei wird ein Tag normal gegessen, ein Tag gefastet, und das immer im Wechsel. Dann gibt es noch die 5:2Methode, hier wird an fünf Tagen in der Woche ohne größere Einschränkungen gegessen, an zwei Tagen gefastet. Beim Fasten sollten hier maximal 500 bis 600 Kilokalorien aufgenommen werden, das ist zum Beispiel ein leichtes Gericht aus Hähnchen und Gemüse. Die beiden Fastentage sollen nicht aufeinander folgen.
Welche Methode können Sie empfehlen?
Die 16/8-Methode ist sehr zu empfehlen, auch für Einsteiger. Es ist weniger Willenskraft nötig, da ein großer Teil der Fastenzeit verschlafen wird. Es gibt kaum Nebenwirkungen, die Muskulatur bleibt erhalten und wenig Stresshormone werden ausgeschüttet. Für Sportler ist die Methode ebenfalls sinnvoll, allerdings sollte nicht in der Fastenzeit trainiert werden.
Warum soll das Intervallfasten so effektiv sein? Was passiert im Körper?
In der Zeit des Fastens startet – einfach formuliert – ein Reinigungs- und Regenerationsprogramm des Körpers, es werden beispielsweise alte und kaputte Zellbestandteile abgebaut und recycelt. In dieser Zeit räumt der Körper auf zellulärer Ebene auf. Durch ständiges Snacking und futtern, wie viele das zum Beispiel im Büro betreiben, kommt der Körper nie zur Ruhe, der Blutzuckerspiegel wird nach oben getrieben und dann entstehen Heißhungerattacken. Und die sollten ja gerade vermieden werden.
Wie sieht es beim Intervallfasten mit dem Jojo-Effekt aus?
Den Jojo-Effekt gibt es hier nicht, denn Kurzzeitfasten verlangsamt den Stoffwechsel nicht, da es keine Diät auf Dauer ist. Vielmehr handelt es sich hier um einen zeitlich begrenzten Verzicht, der das tägliche Sattsein nicht ausschließt.
Ist es egal, was ich außerhalb der 16 Stunden Fastenzeit esse?
Eigentlich können die Menschen das essen, was sie auch sonst essen. Dennoch ist es sinnvoll, statt zu industriell verarbeiteten Produkten zu greifen, frische Lebensmittel selbst zuzubereiten. Je bunter die Auswahl, desto besser. Je mehr Farben auf dem täglichen Speiseplan auftauchen, desto besser – wobei hier natürliche
Farbstoffe und nicht eingefärbte Gummibärchen gemeint sind. Auch die Eiweißaufnahme ist für den Menschen wichtig. Wir benötigen circa 80 Gramm Eiweiß pro Tag. Dieser Bedarf kann über tierische Lebensmittel gedeckt werden wie Milch, Fleisch, Fisch und Eier, ist aber auch rein pflanzlich zu schaffen. Hier sind vor allem Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen hervorragende Eiweißquellen.
Muss ich während des Fastens auch auf Getränke verzichten?
Nein, auf keinen Fall. Ausreichendes Trinken ist sehr wichtig und mildert anfängliche Nebenwirkungen wie Hunger, Müdigkeit und Kopfschmerzen.
Was darf ich trinken?
Nichts, in dem Kalorien enthalten sind. Also auch keinen Milchkaffee. Am besten ist natürlich Wasser, aber auch ungesüßter Tee oder Kaffee gehen. Außerhalb der Fastenphase darf es ja dann das Saftschorle sein.
Wer darf fasten? Wer sollte lieber die Finger davon lassen?
In der Schwangerschaft und Stillzeit würde ich eher davon abraten. Auch bei der Einnahme von Medikamenten ist die Packungsbeilage zu beachten und das Vorhaben mit dem Arzt zu besprechen.
Welche Gefahren birgt Intervallfasten?
Gefahr besteht nur bei bestimmten Erkrankungen wie zum Beispiel Bauchspeicheldrüsenentzündungen, Krebserkrankungen oder akute Schübe von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Hier sind meist kürzere Abstände und kleinere Portionen der einzelnen Mahlzeiten erforderlich.
Wie wirkt sich der Verzicht auf den Körper aus?
Intervallfasten verlangsamt den Stoffwechsel nicht, vielmehr trainiert es diesen, während der Verzichtsphasen auf die Fettdepots zurückzugreifen. Dennoch muss sich der Körper am Anfang erst einmal an die Umstellung gewöhnen. Die Anfangszeit ist deshalb die schwierigste, da können dann Hungergefühle, schlechte Laune und möglicherweise Kopfschmerzen auftreten. Das alles lässt aber mit der Zeit nach und nach vier bis sechs Monaten hat sich der Körper vollständig an die Ernährungsumstellung gewöhnt.
Also ist das Intervallfasten keine Diät, sondern doch eine Umstellung auf Dauer?
Im Gegensatz zu anderen Fastenformen wie zum Beispiel dem Heilfasten soll das Intervallfasten als Dauerkostform angewendet werden. Meine Empfehlung: Ausprobieren und reflektieren. Ob das Kurzzeitfasten bei einem wirkt, zeigt am Ende nur der Selbstversuch.