Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Jede Menge Abwasser
Einst hat die Kläranlage Friedrichshafen bei der Rettung des Bodensees mitgeholfen
FRIEDRICHSHAFEN - Noch ein paar Schritte und die Luft wird erstaunlicherweise wesentlich besser. Der Gestank ist weg. Es bleibt nur ein leichter Geruch in der Nase hängen, so ähnlich wie in einer alten Waschküche. Dieter Schandelmeier schnüffelt kurz, nickt und meint zustimmend: „Nach dem biologischen Prozess darf eine Kläranlage nicht mehr stinken.“In diesem Fall geht es um die entsprechende Einrichtung im Friedrichshafener Osten. Dort befindet sich das Klärwerk der von Industrie geprägten Bodenseestadt. Es gehört zu den bedeutendsten am deutschen Ufer. Ein weiterer Ausbau ist geplant, um selbst Medikamentenrückstände weitgehend aus dem Abwasser entfernen zu können.
Schandelmeier, ein im Dienst ergrauter gelernter Bauingenieur, hat das Sagen auf der Anlage. Während des Rundgangs auf dem ausgedehnten Gelände hat er extra Wert daraufgelegt, den Geruchseffekt vorzuführen. Dazu ist der Klärwerkschef am Belebungsbecken stehengeblieben. Hier bearbeiten Kleinstlebewesen die Abwässer von rund 60 000 Einwohnern. Die biologische Reinigungsstufe. Rein ins Klärwerk kommt der Dreck an anderer Stelle – und dort riecht es sehr unangenehm. Die Rede ist vom Einlaufhebewerk mit seinen Schneckenpumpen, die wie hypergroße Schrauben wirken – und so eindrucksvoll sind, dass laut Schandelmeier auch schon mal eine Delegation aus Ägypten zur Besichtigung angereist ist.
Umkippen des Bodensees drohte
Hier beginnt jener Prozess, der mit der Einleitung des gereinigten Abwassers in den nahen Bodensee endet. Dass der See heutzutage wieder so sauber ist wie ein Gebirgsgewässer, hat entscheidend mit solchen Klärwerken zu tun. 1965 ist die Friedrichshafener Anlage in Betrieb genommen worden – deutschlandweit gesehen etwas spät: Die erste Kläranlage war bereits 1882 in FrankfurtNiederrad gebaut worden. Die Bodenseeregion hinkte hinterher. Bis in die 1960er-Jahre hinein floss Friedrichshafens Abwasser weitgehend ungeklärt in den See – wie anderswo auch entlang des Ufers. Seinerzeit drohte ein Umkippen des Bodensees. Sein Öko-Tod stand bevor.
In den 1960er-Jahren entstanden dann aber immer mehr Kläranlagen – kommunale ebenso wie solche der Großindustrie für die spezifischen Belange entsprechender Betriebe. Dem Bodensee tat das extrem gut. Heute reinigt allein das Friedrichshafener Klärwerk rund zehn Millionen Kubikmeter Abwasser pro Jahr. Das entspricht grob gerechnet dem Inhalt von fast 67 Millionen Badewannen. „Was nach der Reinigung herauskommt, ist zwar nicht Trinkwasser“, sagt Schandelmeier, aber „hochgereinigtes Abwasser“, das unbedenklich für den Bodensee sei. Vom Ufer führt eine 800 Meter lange Rohrleitung hinaus. Die Mündung befindet sich zehn Meter unter der Wasseroberfläche.
Schandelmeier vergleicht das Klärwerk mit einem normalen Unternehmen: „Unser Produkt ist sauberes Wasser.“Daran arbeiten in der Anlage 15 Leute, darunter zwei Laboranten, vier Verfahrenstechniker, drei Elektriker und drei Mechaniker. Als Besucher stellt man aber auf dem Gelände fest: keiner zu sehen. Die vielen Becken liegen verlassen da. Bloß im Hauptgebäude scheint Leben an Schaltschränken, Bildschirmen und im Labor zu sein. „Die Anlage ist hochtechnisiert und läuft beinahe vollautomatisch“, erklärt der Chef den Ablauf in seinem Reich.
Seit 25 Jahren ist Schandelmeier Betriebsleiter. Nach dem Stand der Anlagentechnik ist er mit dem erzielten Reinigungsergebnis sehr zufrieden: „Aus dem Abwasser bekommen wir heraus: alle menschlichen Ausscheidungen, Fettstoffe, Plastikreste, sonstige Abfälle, die ganzen Nährstoffe und alle möglichen organischen Stoffe“, berichtet Schandelmeier. Selbst Mikroplastik lasse sich „überwiegend rausfiltern“. Die Minikunststoffteile sind seit Jahren in den Schlagzeilen, weil sie in allerlei Gewässern auftauchen – selbst dort, wo es keinen erkennbaren Eintrag von Abfall gibt. Dies gilt etwa für die beiden Rheinquellen weit oben in den Bündner Bergen.
Es braucht diverse Reinigungsgänge. Die erste Station mit dem Einlaufhebewerk hat hierbei nur eine simple Aufgabe: das Abwasser in die Höhe zu hieven, damit es danach genug Gefälle zum Durchfließen der Anlage hat. 8,5 Meter heben die Schneckenpumpen die hereinströmende braune Brühe an. Hält man den Geruch aus und wirft einen Blick auf die Maschinerie, fallen feste Stoffe auf: Artikel der Damenhygiene, Obstschalen, Verpackungsreste und so weiter. Auch ein Feuchttuch schwappt im Wasser. Die Vliesstofflappen sind der Schrecken aller Beschäftigten im Abwasserbereich. „Anders als Klopapier lösen sie sich nicht auf, drehen sich dafür gerne zu langen Zöpfen zusammen und verstopfen die Pumpen“, erklärt Schandelmeier.
Prinzipiell haben Feststoffe nichts im Abwasser zu suchen (siehe unten stehenden Text). „Man glaubt gar nicht“, sagt Schandelmeier, „was alles übers Klo entsorgt wird.“Auch Smartphones sind schon in Kläranlagen aufgetaucht. Der durch städtische Kanäle herangespülte Unrat wird rasch herausgefischt. Das erledigen Rechen und Siebe – in dem Bereich ist es ratsam, sich die Nase zuzuhalten. In Friedrichshafen ist er in einem Gebäude untergebracht. „Da gehen wir am besten schnell weiter, bevor sich der Geruch in der Kleidung festsetzt“, meint Schandelmeier.
In der nächsten Station werden Fette und Sand eingefangen. Danach kommt das Vorklärbecken, die letzte Einrichtung der mechanischen Reinigungsstufe. Der Fluss des Abwassers wird gebremst. Verbliebene Stoffe sinken auf den Grund, bilden Schlamm. Er taugt sogar noch zu etwas: zur Gasherstellung. Das geschieht in den markantesten Bauten eines Klärwerks, den Faultürmen. Dorthin wird der Schlamm zum Gären gepumpt. Daneben steht ein Gasbehälter. Das Klärwerk hat damit eine eigene Biogasanlage. Sie kann 50 Prozent des benötigten Stroms selber erzeugen.
Anders als das Wort vermuten lässt, stinkt der Faulturm nicht. Der letzte müffelnde Ort ist das Vorklärbecken. Es wirkt wie eine Verteilerstation. Ein Rohr bringt Schlamm zum Faulbehälter. Durch ein anderes fließt das Abwasser zur biologischen Reinigungsstufe mit ihren Helferlein aus der Welt der Mikroorganismen. Eine höchst komplexe Sache. Bei solchen Bemerkungen muss Schandelmeier schmunzeln. Er liebt seinen Job: „abwechslungsreich, vielseitig“.
Becken reiht sich an Becken. Mit Rohren und Kabeln bestückte unterirdische Gänge durchziehen das Gelände. Ständig sind biologische wie chemische Vorgänge im Gange. Während Mikroorganismen den im Wasser aufgelösten Restschmutz zu Biomasse umwandeln und ihn so abtrennen, läuft simultan die chemische Reinigung. Das Wasser wird sauberer und sauberer. Im Nachklärbecken vergnügen sich bereits die Wildenten. Kohlenstoff und Fällmittel unterstützen die chemische Reinigung. Aus gelösten Stoffen werden unlösliche Feststoffe – so als würde aus verrührtem Zucker wieder Würfelzucker. Der Charme dabei: Im Abwasser aufgelöstes Phosphat wird herausgefiltert – übrigens nicht zu aller Freude. Berufsfischer hätten gerne wieder mehr Phosphor im Bodensee. Er wäre dann wieder schmutziger – aber die Fische hätten mehr Nährstoffe.
Dabei ginge es noch deutlich sauberer, aber mit der dritten Reinigungsstufe ist in Friedrichshafen bisher Schluss – wie in den meisten Kläranlagen in Deutschland übrigens. Damit entwischen dem Reinigungsprozess ein Teil der Pflanzenschutzmittel und Medikamentenrückstände. „Einiges bekommen wir bereits heraus, aber nicht alles“, berichtet Schandelmeier. Für Fischbestände kann dies Folgen haben – etwa durch das Östrogen in der Antibabypille. Forscher haben herausgefunden, dass auf diesem Weg eine Verweiblichung der Flossentiere möglich ist. Die landeseigene Fischereiforschungsstelle in Langenargen hat bisher aber noch keine Folgen für den Bodensee ausgemacht.
Höhere Reinigungsfähigkeit
Dennoch ist abgemacht, dass das Klärwerk eine vierte Reinigungsstufe erhält. „Am 1. Juli ist Baubeginn. Ende 2020 soll alles fertig sein. Projektiert sind 4,4 Millionen Euro“, sagt Schandelmeier. Dann wird das Gas Ozon biologisch nicht abbaubare organische Verbindungen ebenso zerstören wie Krankheitserreger. Über viele Jahre erschien den Kommunen eine solche Aufrüstung zu teuer und zu wenig effizient, doch inzwischen sei die Technik fortgeschritten, sagt Schandelmeier. Das Klärwerk Eriskirch in der Nachbarschaft hat Vorsprung, dort ist die vierte Reinigungsstufe bereits im Bau – eine Besonderheit für Baden-Württemberg. Weitere Pläne existieren gegenwärtig unter anderem für Uhldingen am westlichen Bodensee sowie für die Universitätsstadt Tübingen.