Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Rezo schlaucht die CDU
Haten nennt man es, wenn Nutzer ihre Wut gegen jemanden oder etwas ungefiltert im Internet ablassen. Eine fast einstündige Wutrede gegen die CDU hat am vergangenen Wochenende ein 26-jähriger Informatiker aus NordrheinWestfalen, der sich im Internet „Rezo“nennt, auf der Videoplattform YouTube veröffentlicht. Mehr als fünf Millionen Mal ist der Monolog seitdem angeklickt worden. Nun hat CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak den YouTuber mit dem blau gefärbten Haar zum Meinungsaustausch in die Parteizentrale eingeladen. Wohl auch, weil das Video, das den Titel „Die Zerstörung der CDU“trägt, der Partei nach Einschätzung von Experten tatsächlich gefährlich werden könnte, zumindest bei jungen Wählern. Armut, Krieg, vor allem aber ein zu zögerlicher Klimaschutz: Das sind einige der Themen, bei denen Rezo kein gutes Haar an der Union lässt. Vier Vorwürfe des YouTubers – und was an ihnen dran ist.
Vorwurf 1: Die CDU diskreditiert politische Gegner durch Unwahrheiten, Respektlosigkeiten und Verschwörungstheorien.
Diesen Vorwurf bezieht der YouTube vor allem auf den Umgang mit den Fridays-for-Future-Demonstranten und dem Protest gegen Uploadfilter. Im Fall des Klimaschutzprotestes habe die Union die Debatte von den inhaltlichen Argumenten auf die Frage der Schulpflicht umgelenkt, im Fall des digitalen Urheberrechts seien die Demonstranten als von der IT-Industrie gesteuert verunglimpft worden. Als Beleg führt er Zitate von CDUChefin Annegret Kramp-Karrenbauer und den Unionspolitikern Axel Voss und Monika Hohlmeier an. Allerdings gab es auch andere Stimmen aus der Union. Dass Kanzlerin Angela Merkel Sympathie für die Klimaproteste geäußert hat, erwähnt Rezo nicht. Ebenso wenig, dass die Junge Union den Kurs der eigenen Partei in Sachen Uploadfilter scharf kritisiert hat.
Vorwurf 2: Die CDU tut viel zu wenig beim Klimaschutz.
Der YouTuber kritisiert vor allem die Energiepolitik. Der für das Jahr 2038 geplante Kohleausstieg komme zu spät, so seien die Zusagen aus dem Pariser Abkommen nicht einzuhalten. Mit dem Abkommen haben sich Deutschland und 195 weitere Staaten darauf verpflichtet, die Erderwärmung auf zwei Grad, besser noch 1,5 Grad, im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Als ein Klimakiller gilt Kohlestrom. Aus Braun- und Steinkohle wird aktuell noch mehr als ein Drittel des in Deutschland produzierten Stroms gewonnen. Andererseits: Auch war der Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix noch nie so hoch wie jetzt – er lag zuletzt bei 40 Prozent. Kritikern reicht das nicht: Die „Fridays-for-Future“-Aktivisten fordern einen Kohleausstieg bis 2030.
Vorwurf 3: In den letzten 36 Jahren war die CDU 29 Jahre an der Macht. In dieser Zeit ging die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander.
Seit 2001 stellt die Regierung – in der Regel einmal pro Legislaturperiode – einen Armuts- und Reichtumsbericht vor. Regelmäßig wird die Veröffentlichung begleitet von Schlagzeilen wie „Arme bleiben arm, Reiche bleiben reich“. Solche Aussagen hängen immer auch am Zuschnitt der jeweiligen Statistik. Richtig ist aber, dass die Armutsgefährdungsquote – Personen mit einem Einkommen, das weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens entspricht – in den vergangenen Jahrzehnten angestiegen ist: 1991 lag sie knapp über zehn, inzwischen bei 16,8 Prozent. Rezo führt das pauschal auf das Wirken der CDU zurück. Andere Faktoren, wie die Lage der Weltwirtschaft oder Entwicklungen in der Arbeitswelt, erwähnt er dagegen nicht.
Vorwurf 4: Die CDU duldet als Regierungspartei Völkerrechtsverstöße, wenn nicht sogar Kriegsverbrechen.
Rezo bezieht diesen Vorwurf insbesondere auf Drohnenangriffe der USStreitkräfte im Nahen und Mittleren Osten. Diese seien nur möglich, weil die Bundesregierung zulasse, dass das US-Militär die Attacken vom pfälzischen Ramstein aus steuert. Das kritisiert nicht nur der YouTuber Rezo. Auch ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom März diesen Jahres ist eine deutliche Rüge an die Adresse der Bundesregierung. Die Richter betonten zwar, Deutschland habe selbst keine militärischen Drohnenaktivitäten gestattet. Die Haltung der Bundesregierung, für US-Rechtsverstöße gebe es keine Hinweise, beruhe aber auf einer „unzureichenden Tatsachenermittlung“. Mit anderen Worten: Die Regierung will gar nicht so genau wissen, was die Amerikaner in Ramstein treiben. Wie die USA reagieren würden, wenn Deutschland dem NatoPartner die Nutzung von Ramstein für Drohnenflüge verwehrt – das ist indes eine Frage, die sich nur die Bundesregierung stellen muss, nicht aber das Oberverwaltungsgericht Münster. Und auch nicht der YouTuber Rezo.