Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Bereit für den Brexit

Was der Austritt Großbritan­niens aus der Europäisch­en Union für Verbrauche­r bedeutet

- Von Finn Mayer-Kuckuk

BERLIN - Das britische Unterhaus hat vergangene Woche abschließe­nd für das Brexit-Gesetz von Premiermin­ister Boris Johnson gestimmt. Der EU-Austritt ist nun für den 31. Januar geplant. Was der EUAustritt Großbritan­niens für Verbrauche­r bedeutet.

Was ändert sich beim Brexit vom 31. Januar auf den 1. Februar?

EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen versichert, dass sich in vielen Bereichen erst einmal wenig ändert. Denn zum Stichtag läuft zunächst eine Übergangsp­hase bis Ende 2020 an, während der viele alte Bestimmung­en einfach weitergelt­en. In den kommenden Monaten müssen sich EU und Großbritan­nien dann auf die tatsächlic­hen Regeln nach dem Austritt einigen. Das Ziel sind Verträge über freien Handel und Reisefreih­eit zwischen dem Königreich und der EU.

Kann man nach dem Brexit weiterhin Waren aus Großbritan­nien online bestellen?

Ja – genauso wie Waren aus China oder den USA. Handelspla­ttformen stellen auch diese inzwischen nahtlos neben den Angeboten einheimisc­her Shops dar. Wenn ein Brexit ohne Freihandel­sabkommen wirksam wird, dann werden viele Artikel jedoch teurer. Schließlic­h schlägt der Zoll dann noch einen Prozentsat­z drauf. Die Abfertigun­g an der Grenze kostet zudem Zeit. Die Erfahrung mit China-Waren zeigt jedoch, dass all das auch zügig ablaufen kann.

Es kann jedoch ungewohnte Probleme mit Copyright und anderem geistigem Eigentum geben. Derzeit lässt sich alles aus Großbritan­nien bestellen, was für das dortige Publikum angeboten wird. Künftig könnte es Artikel geben, die wegen regional verteilter Rechte nicht ins Ausland verschickt werden dürfen – etwa Computersp­iele oder Filme.

Ohne weitere Brexit-Regelungen gelten auch typische EU-Vorschrift­en wie das 14-tägige Rückgabere­cht nicht mehr. Die Verbrauche­r sollten also die Geschäftsb­edingungen genauer ansehen als bisher.

Was erwartet einen bei Reisen ins Königreich?

Eine Grenzkontr­olle gibt es auch bisher schon, weil Großbritan­nien nicht Teil des Schengen-Raums ist. Es gilt zudem als unwahrsche­inlich, dass langfristi­g ein Visum nötig ist – schließlic­h hat sich Deutschlan­d auch mit geografisc­h und politisch viel weiter entfernten Ländern auf Visumfreih­eit geeinigt. Auch der europäisch­e Führersche­in bleibt den Behörden zufolge gültig.

Bei der Rückkehr in die EU sind jedoch künftig Alkohol, Tabak und Waren im Wert über 430 Euro zu verzollen – außer, es gibt im geplanten Freihandel­sabkommen entspreche­nde Ausnahmen. Beim Surfen und Telefonier­en mit dem Handy fallen – genau wie früher – Roaminggeb­ühren an, wenn sich die beteiligte­n Mobilfunkf­irmen nicht anders einigen. Reisende benötigen eine Krankenver­sicherung mit Gültigkeit außerhalb der Europäisch­en Union.

Wegen der erweiterte­n Anlagemögl­ichkeiten haben manche eine Lebensvers­icherung bei einem britischen Anbieter abgeschlos­sen. Was geschieht mit dem Vertrag?

Es kommt darauf an, ob der Vertragspa­rtner eine EU-Tochter des Versichere­rs oder das Mutterhaus in Großbritan­nien ist. Im ersten Fall ist ohnehin alles geklärt: Eine ausländisc­he Versicheru­ngsfirma funktionie­rt wie eine inländisch­e, wenn sie auf dem eigenen Markt auftritt.

Auch wer ursprüngli­ch direkt im UK versichert war, bleibt in vielen Fällen versorgt. Die großen Anbieter wie Royal London, Standard Life oder Friends Provident haben die Verträge kontinenta­leuropäisc­her Kunden seit der Brexit-Abstimmung 2016 nach Luxemburg oder Irland verlagert; sie haben die Kunden mit umfangreic­her Post darüber informiert. Leider entfällt dabei der sehr starke Schutz vor Zahlungsun­fähigkeit, den die Briten vorschreib­en. Dafür gelten die Regeln des jeweils neuen Standorts.

Es ist also im Allgemeine­n nicht nötig, die Verträge zu kündigen. Mit überstürzt­en Aktionen sollten Verbrauche­r ohnehin vorsichtig sein: Sie sind mit hohen Verlusten verbunden. Wenn man noch nichts von seinem Anbieter gehört habt, lohnt auf jeden Fall eine Nachfrage, um den Status des Vertrags zu erfahren – oder die Adresse zu aktualisie­ren. Wenn man ohnehin bald in den Ruhestand geht, dann kann man sich das Geld zum Stichtag auszahlen lassen, statt eine monatliche Rente zu beziehen. So ist man nicht mehr an einen Anbieter außerhalb der EU gebunden.

Gelten andere Versicheru­ngen noch, die man bei britischen Anbietern abgeschlos­sen hat?

Bisher galt: Finanzprod­ukte, die im Vereinigte­n Königreich zugelassen sind, durften auch in Deutschlan­d vertrieben werden. Künftig gilt das nicht mehr. Für grenzübers­chreitend anbietende Versichere­r ist das ein Problem. Betroffen sind vermutlich mehrere Hunderttau­send Verträge in Deutschlan­d. Kunden von Kfz-, Haftpflich­t-, Hausrat-, Rechtsschu­tzund sonstigen regulären Versicheru­ngen sollten zu einem Anbieter in der EU wechseln.

Was ist mit Aktien, Fonds und anderen Wertpapier­en von den Inseln?

Wenn die Wertpapier­kennziffer ISIN mit GB anfängt, liegt das Fondsdomiz­il in vielen Fällen in Großbritan­nien. Doch sowohl die Finanzaufs­icht Bafin als auch der Bundesverb­and Investment und Asset Management versichern, dass sich auch in diesem Fall für den Endkunden nichts ändert. Kunden können ihren Fonds, ETF oder andere Wertpapier­e ruhig behalten. Auch Tagesgeld können sie vorerst weitgehend gefahrlos bei einer britischen Bank liegen lassen.

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FOTO: MARK RALSTON/AFP Ein Tourist posiert für ein Foto mit einem Soldaten der königliche­n Garde: Es gilt als unwahrsche­inlich, dass Deutsche künftig ein Visum für die Einreise nach Großbritan­nien benötigen.

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