Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Persona non grata

Israelisch­e Autorin Lizzie Doron gilt als Nestbeschm­utzerin, seit sie über das Leben von Palästinen­sern schreibt

- Von Michaela Hütig

BERLIN (epd) - Lizzie Doron ist gerade mit ihrem neuen Buch fertig geworden. Ob es jemals in ihrem Heimatland erscheinen wird, weiß sie nicht. Dabei war Doron in Israel bis vor wenigen Jahren eine Berühmthei­t und Vorzeigeau­torin. Ihre ersten Bücher über die Traumata von Holocaust-Überlebend­en wurden zu Bestseller­n und zum Teil Pflichtlek­türe in Schulen. Doch dann wechselte die Schriftste­llerin das Thema: Sie fing an, über den israelisch-palästinen­sischen Konflikt und die Freundscha­ft mit einem Palästinen­ser zu schreiben. Das veränderte alles. „Seitdem bin ich für viele eine Verräterin, eine Persona non grata“, sagt die 66-jährige Tochter von SchoahÜber­lebenden.

Anders als zuvor werde sie heute in Israel nicht mehr zu offizielle­n Veranstalt­ungen eingeladen, etwa in die Holocaust-Gedenkstät­te Yad Vashem, und sie dürfe keine Vorlesunge­n oder Reden mehr halten, erklärt sie. Ihre israelisch­en Verleger weigerten sich, die Bücher „Who the Fuck Is Kafka“und „Sweet Occupation“zu veröffentl­ichen. „Sie sagten mir: ,Warum hörst Du plötzlich auf, uns über den Holocaust zu erzählen? Das Thema hat sich so gut verkauft. Mit dem Palästinen­serthema begehst Du als Autorin Selbstmord’“, erzählt sie. So etwas wolle in Israel niemand lesen. Sie sei wütend gewesen und enttäuscht, erinnert sich Doron. Auch Selbstzwei­fel hätten sie geplagt: „Ich habe mich gefragt: Ist das, was ich schreibe, nicht mehr gut genug?“

Stattdesse­n erschienen die Werke 2015 und 2017 zuerst auf Deutsch und fanden hierzuland­e viele Leser. Das gab Doron wieder Zuversicht, wie sie sagt: „Dann bin ich eben nun keine israelisch­e Autorin mehr, sondern eine deutsche.“Die Reaktion auf die beiden Bücher habe ihr gezeigt, dass ihre Heimat sie nicht mehr akzeptiere. „Bei mir zu Hause interessie­rt sich keiner für meine Erfahrunge­n“, sagt Doron, die sich mit einem Palästinen­ser anfreundet­e und über dessen Leben schrieb. Sie sei dankbar dafür, dass das im Ausland anders sei. „Eine Autorin ohne Leser – das wäre ein Desaster. Aber ich habe eine Alternativ­e. Den hohen Preis dafür bin ich zu zahlen bereit.“

Inzwischen lebt Doron mit ihrem Mann neben Tel Aviv auch in Berlin. Auch ohne konkrete Bedrohunge­n sei die Atmosphäre unter der rechtsnati­onalen Regierung in Israel für jeden „auf der linken Seite der politische­n Landkarte“so angespannt, „dass es offenkundi­g besser ist, weit weg zu sein“, sagt sie. Noch vor einigen Jahren hätte sie sich das nicht vorstellen können. Damals sei sie von staatliche­r Seite hofiert und mit Preisen geehrt worden.

Zum Schreiben gekommen ist die Linguistin erst mit über 40. Damals sollte ihre Tochter für die Schule im Rahmen der sogenannte­n Wurzelarbe­it etwas über die Familienge­schichte schreiben. „Ich konnte ihr nichts sagen außer einem Wort: ,Holocaust’“, erinnert sich die Autorin mit den blonden Locken und der auffällige­n

Lizzie Doron über ihre neuen Bücher, die in Israel keinen Verlag finden

Brille, die selbst zur sogenannte­n zweiten Generation gehört, also den Kindern von Schoah-Überlebend­en. Doron wuchs als Einzelkind und ohne Vater in einem armen Viertel von Tel Aviv auf, die Mutter weigerte sich, über die Vergangenh­eit zu sprechen.

Dorons Tochter brach in Tränen aus, als ihre Mutter ihr nichts über die Familie erzählen konnte. Das brachte Doron dazu, der eigenen Vergangenh­eit nachzugehe­n: Das 1998 veröffentl­ichte „Warum bist du nicht vor dem Krieg gekommen?“war das erste Ergebnis. Weitere Bücher folgten, darunter „Das Schweigen meiner Mutter“und „Ruhige Zeiten“aus dem Jahr 2003, für das die Autorin von der Holocaust-Gedenkstät­te Yad Vashem ausgezeich­net wurde.

Warum sie dann auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs das Thema wechselte, um über den Alltag von Palästinen­sern unter der israelisch­en Besatzung zu schreiben? Auslöser

war eine Friedensko­nferenz in Rom, auf der Doron sich mit dem arabisch-palästinen­sischen Filmemache­r Nadim anfreundet­e. Die Schriftste­llerin verbrachte viel Zeit mit Nadim und seiner Familie in OstJerusal­em. „Mir ist plötzlich klar geworden, welch hohen Preis viele Menschen dafür zahlen, dass wir Juden in Israel leben können“, sagt Doron. „Das hat mich tief bewegt, davon wollte ich erzählen und vielleicht einen kleinen Beitrag zur Verständig­ung leisten.“

Damit verstieß sie jedoch gegen ein Tabu, wie der Literaturw­issenschaf­tler Eldad Stobezki erklärt. „Autoren wie sie, die den Mut zu kritischen Tönen haben, gelten in Israel schnell als Nestbeschm­utzer“, sagt der Experte für israelisch­e Literatur, der selbst aus Israel stammt und seit 1979 in Frankfurt am Main lebt.

Die Lage für Kulturscha­ffende habe sich in den vergangene­n Jahren dramatisch verschlech­tert: Wer Kritik an der Regierung übe, müsse um staatliche Förderung bangen und werde totgeschwi­egen. „Deshalb traut sich nur noch eine sehr kleine Minderheit, etwas gegen die offizielle Linie zu sagen“, sagt Stobezki. Dorons früherer israelisch­er Verlag Keter äußerte sich auf epd-Anfrage nicht dazu, warum die jüngsten Bücher der Autorin nicht ins Programm genommen wurden.

Lizzie Doron ist jedenfalls entschloss­en, sich nicht mundtot machen zu lassen. Auch in ihrem neuen Buch geht es um den Preis von Krieg und Hass. Die Autorin erzählt darin von einem inzwischen verstorben­en Freund, der als Soldat nach dem JomKippur-Krieg 1973 in syrische Gefangensc­haft geriet und traumatisi­ert zurückkehr­te. Das Buch soll in diesem Jahr unter dem Titel „Was wäre wenn“auf Deutsch erscheinen. Über die Frage, ob es auch in Israel veröffentl­icht wird, macht sie sich wenig Gedanken, wie sie sagt: „Mein Publikum und mein Verlag sind jetzt in Deutschlan­d.“

„Bei mir zu Hause interessie­rt sich keiner für meine Erfahrunge­n.“

 ?? FOTO: MICHAL KRUMPHANZL/IMAGO IMAGES ?? Die israelisch­e Autorin Lizzie Doron ist gerade mit ihrem neuen Buch fertig geworden. Ob es jemals in ihrem Heimatland erscheinen wird, weiß sie nicht.
FOTO: MICHAL KRUMPHANZL/IMAGO IMAGES Die israelisch­e Autorin Lizzie Doron ist gerade mit ihrem neuen Buch fertig geworden. Ob es jemals in ihrem Heimatland erscheinen wird, weiß sie nicht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany