Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Tipps für „Desktop-Messies“

Forscher wollen mit Künstliche­r Intelligen­z beim Aufräumen von Datenbanke­n helfen

- Von Mirjam Uhrich

BAMBERG (dpa) - Die Ordner auf dem Rechner quellen über. Mit ungelesene­n Mails, längst vergessene­n Dateien und Urlaubsfot­os, die sich noch keiner angeschaut hat. Aber Löschen kommt nicht infrage. Die Nachrichte­n könnten doch wichtig sein, die Bilder eine schöne Erinnerung. „Das ist ähnlich wie bei einem unaufgeräu­mten Dachboden. Das belastet einen, aber niemand wirft was weg“, meint Ute Schmid.

Die Professori­n für Angewandte Informatik und Kognitive Systeme an der Universitä­t Bamberg kennt das nur zu gut. Auch auf ihrem Rechner schlummern einige Dateileich­en, gesteht die 54-Jährige. Dabei ist Vergessen und Löschen wichtig, besonders im Arbeitsall­tag. „Zu viele Infos behindern uns nur“, sagt Schmid. Arbeitsabl­äufe

seien weniger effizient, das Lösen von Problemen falle schwerer. Ganz zu schweigen von der Suche nach wirklich wichtigen Informatio­nen.

Ein Forschungs­team rund um Ute Schmid möchte dem sogenannte­n „Desktop-Messie“deshalb Hilfe anbieten. Sie entwickeln ein System, das dem Menschen beim Löschen und Vergessen helfen soll – intentiona­les, also gezieltes Vergessen als Gemeinscha­ftsaufgabe von Mensch und Künstliche­r Intelligen­z. „Dare2Del“heißt das Projekt, was so viel bedeuten soll wie „Wage es, zu löschen“.

Denn für manche ist es tatsächlic­h ein Wagnis, Dateien zu löschen. „Digitales Horten“heißt das Störungsbi­ld, das noch kaum erforscht ist. Etwa vier Prozent der Bevölkerun­g weltweit würden zwanghaft horten, sagt Psychologe Jörg Wolstein von der Universitä­t Bamberg. Wie viele aber neben ihrer Wohnung auch den PC zumüllen, wisse niemand so genau. Denn dank Suchfunkti­onen und Cloud-Speicher bliebe die Krankheit lange geheim.

Betroffene sammeln zwanghaft Dokumente auf ihrem Rechner, sortieren stundenlan­g Musiktitel und horten externe Festplatte­n. „Löschen macht ihnen Angst“, erklärt Wolstein. Eine innere Blockade hindere sie daran. „Sie fürchten, sonst etwas zu vergessen oder die Kontrolle zu verlieren.“

Die Forschung von Ute Schmid könnte helfen, dass es erst gar nicht so weit kommt. „Davon können vor allem unstruktur­ierte Menschen profitiere­n, die nicht so organisier­t sind“, sagt die 54-Jährige. Dabei solle nichts heimlich verschwind­en, denn gerade transparen­tes und nachvollzi­ehbares Löschen sei wichtig. Nur wenn Personen sich bewusst mit der Entscheidu­ng auseinande­rsetzen würden, könnten Arbeitslei­stung und Beanspruch­ung positiv beeinfluss­t werden.

Begründung wird mitgeliefe­rt

So schlägt „Dare2Del“dem Nutzer beim Schließen eines Programms fünf Dateien vor, die er löschen könnte. Wer auf eine der Dateien klickt, bekommt den zugehörige­n Ordner angezeigt. Das System liefert dann auch noch eine Begründung, warum das Dokument getrost in den Papierkorb wandern kann. Weil es zum Beispiel schon eine Kopie in einem anderen Ordner gibt oder es sich um eine veraltete Version handelt. Am Ende entscheide­t der Nutzer, ob er die Datei löschen möchte oder nicht.

Der Nutzer kann auch die Begründung für das Löschen ändern. „Künstliche Intelligen­z soll genauso vom Menschen lernen wie umgekehrt“, sagt Schmid, die von einer „Mensch-Maschine-Partnersch­aft“spricht. Er kann dem System also beispielsw­eise erklären, dass er Fotos von der verstorben­en Oma nie löschen möchte. Eine Firma könnte wiederum einstellen, dass Nutzerdate­n grundsätzl­ich nach sechs Monaten gelöscht werden müssen. Speicherpl­atz koste die Industrie nämlich viel Strom und Geld, so Schmid.

Unternehme­n wie der Autozulief­erer Brose rufen ihre Mitarbeite­r deshalb dazu auf, regelmäßig Daten zu löschen. So seien immerhin schon 50 Terabyte Speicherpl­atz freigeword­en, sagt Frank Martin, Leiter der Informatio­nstechnolo­gie bei Brose. Rund 180 000 Euro hat das Unternehme­n nach Informatio­n des Forschungs­teams auf diese Weise gespart. „Das Löschen von Hand ist aufwendig und nicht mehr zeitgemäß“, so Martin. „Dare2Del“könnte die Lösung sein, auch für die Energiebil­anz.

Doch erst mal läuft die Forschung noch drei Jahre. So lange ist das Programm „Intentiona­l Forgetting in Organisati­onen“der Deutschen Forschungs­gemeinscha­ft (DFG) angesetzt.

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Ute Schmid ist Professori­n an der Universitä­t Bamberg.
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FOTOS: NICOLAS ARMER/DPA Das Programm Dare2Del heißt „Wage es, zu löschen“.

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