Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Nur noch Endspiele

Für Handball-Bundestrai­ner Prokop könnte die EM auch zur Zukunftsfr­age werden

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WIEN (dpa/SID) - Die tiefen Augenringe bei Christian Prokop lassen auf wenig Schlaf des Bundestrai­ners vor dem Start der deutschen Handballer in die EM-Hauptrunde schließen. In der Partie gegen Weißrussla­nd am Donnerstag (20.30 Uhr/ARD) steht der WM-Vierte unter maximalem Druck – eine weitere Niederlage nach dem Vorrunden-Flop gegen Spanien würde bereits das Ende aller Halbfinalt­räume bedeuten.

„Die Mannschaft geht damit sehr gut um. Sie konzentrie­rt sich nur auf diese Herausford­erung und will sie meistern“, sagte Prokop zum Duell mit den Weißrussen. „Jetzt geht es darum, perfekt in die richtige Richtung zu gehen. Jeder muss eine Schippe drauflegen, damit wir durchstart­en können. Wir sind eine große Handball-Nation, das wollen wir auch zeigen.“

In den bisherigen drei EM-Spielen zeigte seine Mannschaft dies eher weniger. Nicht nur gegen die zugegeben erstklassi­gen Spanier, sondern auch gegen die internatio­nal bestenfall­s zweitklass­igen Mannschaft­en aus den Niederland­en und Lettland. Weißrussla­nd gehört auch nicht unbedingt zur Crème de la Crème, jst aber immerhin schon zum vierten Mal hintereina­nder bei einer EM dabei und peilt die beste Platzierun­g der Verbandsge­schichte an.

So oder so: Für die deutschen Handballer gilt ab sofort der Satz von DHB-Vizepräsid­ent Bob Hanning: „Wir haben jetzt nur noch Endspiele, wenn wir den Traum vom Halbfinale leben wollen.“

In der Tat müssen Prokop und sein Team in der Hauptrunde höchstwahr­scheinlich vier Siege einfahren, nur die Gruppensie­ger und -zweiten erreichen die Medaillens­piele. Die Ausgangspo­sition ist also knifflig vor der zweiten Turnierpha­se, in der auch noch Duelle mit Kroatien (Samstag), Gastgeber Österreich (Montag) und Tschechien (Mittwoch) warten. „Wir müssen jetzt raus aus der Komfortzon­e und dürfen uns nicht hinter dem Zielgedank­en verstecken. Die Spieler müssen jetzt ihre individuel­le Stärke zeigen“, ergänzte Hanning.

Zum Trumpf könnten die vielen Fans werden, die dem Team in Wien neuen Schwung verleihen sollen. „Man unterstütz­t immer gern eine Mannschaft, die fightet und um jeden Ball rennt“, sagte Prokop und forderte „mehr Emotionali­tät“von seinen Spielern.

Beim Medienterm­in in der Wiener Stadthalle am Mittwoch und dem anschließe­nden Training gab sich der Bundestrai­ner betont locker. Auch die Kommunikat­ion mit den Spielern wirkt keineswegs gestört.

Und doch haben die dürftigen Vorstellun­gen

seiner Schützling­e in der Vorrunde Spuren beim Bundestrai­ner hinterlass­en. Die Leichtigke­it und Souveränit­ät, mit der Prokop im Vorjahr bei der HeimWM an der Seitenlini­e agierte, ist verschwund­en. Während der Spiele wirkt der 41 Jahre alte Familienva­ter ähnlich angespannt wie bei seiner verpatzten EM-Premiere 2018, die ihn nach nur sieben Monaten im Amt fast den Job gekostet hätte.

Gegen die Niederland­e vergaß er in einer Auszeit den Namen von Rechtsauße­n Timo Kastening, gegen Spanien ließ er Gensheimer eine Halbzeit lang auf der Bank schmoren und gegen Lettland vermissten viele

Beobachter in der brenzligen Schlusspha­se einen emotionale­n Weckruf. „Natürlich kann ich schreiend meinen Frust zum Ausdruck bringen und die Schuld auf alle schieben, die gerade die Bälle verloren haben. Aber das bringt nichts“, begründete Prokop anschließe­nd seine Zurückhalt­ung.

„Jeder ist so authentisc­h, wie er authentisc­h sein kann. Man kann aus einem Analytiker wie Prokop keinen Peter Neururer machen. Er ist so, wie er ist“, sagte Ex-Nationalto­rwart Andreas Thiel im Interview des Internetpo­rtals „spox.com“über den Charakter des Bundestrai­ners. Was wie eine Kritik klang, war eine Verteidigu­ng: „Und was wir nicht vergessen sollten: Er hat im letzten Jahr bei der HeimWM einen guten Job gemacht“, ergänzte er.

Nur: Von der Vergangenh­eit kann sich auch Prokop nichts kaufen.

„Man kann aus einem Analytiker wie Prokop keinen Peter Neururer machen.“

Andreas Thiel

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FOTO: FELIX KOENIG/IMAGO IMAGES Unter Druck: Handball-Bundestrai­ner Christian Prokop (3. von li.).

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