Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Kritik am Kohlekompromiss
Ausstieg bis 2038 kommt Umweltverbänden zu spät
BERLIN (AFP/dpa) - Der Kohleausstieg in Deutschland soll noch in diesem Jahr mit der ersten Stilllegung eines Kraftwerksblocks beginnen, spätestens 2038 soll die Kohleverstromung in der Bundesrepublik Geschichte sein. Auf diesen Kompromiss für die Abschaltung von Kraftwerken verständigten sich der Bund und die Bundesländer mit Braunkohleförderung. Für das vorzeitige Abschalten von Kraftwerken bekommen Betreiber Entschädigungen von 4,35 Milliarden Euro, wie Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) bezeichnete die Einigung als „großen Erfolg“, doch es gibt massive Kritik am beschlossenen Fahrplan.
Umweltverbände kündigten Proteste an. Sie bemängelten aber vor allem das ihrer Ansicht nach zu geringe Tempo beim Kohleausstieg. Der Bund der Steuerzahler kritisierte die zu hohen Kosten.
BERLIN - Bis 2038 sollen bestehende Braunkohle-Anlagen nach und nach vom Netz gehen. Darauf haben sich Bund und Länder am frühen Donnerstagmorgen geeinigt. Neue Kohlekraftwerke erhalten demnach keine Genehmigungen mehr. „Deutschland hat sich etwas Großes vorgenommen und ist jetzt dabei, die entscheidenden Weichen zu stellen“, sagte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag in Berlin.
Ein Gesetz zum Kohleausstieg wird nun voraussichtlich Mitte des Jahres den Bundestag passieren. Die Länder, in denen Kohle gefördert wird, waren jedoch bis zuletzt skeptisch. In Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg hängen zahlreiche Arbeitsplätze von der Kohle ab. Erst nach Zugeständnissen auf beiden Seiten einigten sich die Ministerpräsidenten dieser Länder mit den zuständigen Bundesministern auf den Ausstieg. Da damit die nötigen Mehrheiten stehen, ist ein stufenweiser Rückzug aus der Kohle praktisch beschlossen.
Noch in diesem Jahr soll es losgehen. Den Anfang macht demnach die Schließung einer Anlage der RWE im Rheinland. „Der Ausstieg beginnt sofort“, betonte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). „Ich bin sehr froh, dass als erstes die acht dreckigsten Blöcke vom Netz gehen.“
Einer Aufstellung der Regierung zufolge werden diese acht Blöcke bis 2022 abgeschaltet. Sie haben jedoch zusammen nur eine Kapazität von 2,8 Gigawatt. In der letzten Phase, nach 2030, gehen dagegen die größten Einrichtungen mit dem Dreifachen dieser Leistung vom Netz. Ein Großteil des Ausstiegs ist damit auf die Zukunft verschoben. So soll das riesige Kraftwerk Neurath im Rheinland erst zum Schluss herunterfahren. Auch die ähnlich große Anlage Schwarze Pumpe in der Lausitz darf bis zum 31. Dezember 2038 laufen.
Der Deutsche Naturschutzring, ein Dachverband von Öko-Organisationen, sieht hier ein Zeichen dafür, dass die Bundesregierung vor den Kohleländern „eingeknickt“sei. Der Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser, stört besonders, dass mit Datteln 4 bei Münster sogar noch ein neues Steinkohlekraftwerk ans Netz geht. Die Abschaltungen erfolgen Kaiser zufolge viel langsamer als 2019 von der Kohlekommission beschlossen.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatte 2019 den Weg zu dem Kompromiss frei gemacht, indem er 40 Milliarden Euro an Förderung für betroffene Regionen mobilisiert hat. Sie soll der Schaffung von Arbeitsplätzen dienen. Dazu will die Regierung neue Institutionen in den Gegenden ansiedeln und den Bau von Straßen und Bahnlinien vorantreiben. Die Endfassung einer Vereinbarung zwischen Bund und Ländern soll im Mai fertigwerden.
Die Betreiber der Kraftwerke erhalten dem Kompromiss zufolge Entschädigungen für die Stilllegung der Anlagen. Für die Kraftwerke im Rheinland will die Regierung 2,6 Milliarden Euro zahlen, in Ostdeutschland sind es 1,75 Milliarden. Weitere Ansprüche der Industrie bestehen nicht. Auch die Energiebranche müsse laut Schulze den Wandel mitmachen und ihren Teil beitragen.
Als Lichtblick hob sie derweil den Erhalt des Hambacher Forstes hervor. Das Waldgebiet in NordrheinWestfalen war im vergangenen Jahr zum Symbol der Naturzerstörung durch Braunkohleabbau geworden.
In Hinblick auf die hohen Strompreise sprach sich Altmaier dafür aus, diese notfalls zu deckeln. Einnahmen aus der Ausgabe von Emissionszertifikaten könnten zur Senkung der Ökostromumlage dienen. Die Minister waren sich auch einig, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien konsequent vorankommen müsse, um die wegfallende Leistung zu ersetzen. Wie das geschehen soll, war allerdings nicht Teil der Beschlüsse.