Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Wenn die Rente nicht für die Pflege reicht
28 000 Baden-Württemberger können sich Heimplatz nur mithilfe des Sozialamts leisten
STUTTGART - Sie leben im Pflegeheim, Rente und Erspartes aber reichen nicht für die Kosten: So geht es nach Angaben des Sozialverbands VdK rund 28 000 Menschen im Südwesten. Sie beziehen Hilfe vom Sozialamt. Warum das so ist und wie Abhilfe aussehen könnte.
Wer zahlt was in der Pflege?
Die Pflegeversicherung erstattet einen Teil der reinen Pflegekosten. Die Leistungen decken aber sehr oft nicht alles ab. Die Versicherungen erstatten nicht die tatsächlich anfallenden Kosten, sondern nur Pauschalen. „In vielen unserer Häuser zahlen Bewohner rund 1500 Euro allein für die Pflege dazu“, so der Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung, Bernhard Schneider. Dazu kommen Miete, Essen, Heizung und Strom. Im Landesschnitt müssen Pflegeheimbewohner 2200 Euro monatlich selbst zahlen. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Rente liegt für Frauen im Südwesten bei rund 700 Euro monatlich, für Männer bei knapp 1300 Euro.
Warum müssen Menschen immer mehr selbst zahlen?
Die Pflegeversicherung übernimmt anders als die Krankenkasse per se nicht alle entstehenden Kosten. Außerdem erhöht jede Lohnsteigerung für Pflegekräfte den Eigenanteil der Bewohner. Personal ist bekanntlich knapp, neue Gesetze geben vor, wie viel Personal mindestens eingestellt werden muss. „Wir wollen ja gute Löhne zahlen – unsere Mitarbeiter erhalten mehr als 3000 Euro brutto als Berufseinsteiger. Wir wollen auch ausreichend Personal beschäftigen – aber absurderweise erhöht das die Kosten, die unsere Bewohner tragen müssen“, erklärt Schneider. Ein weiteres Problem: Es gibt die normale Pflege wie Waschen oder Essen geben. Dazu kommen aber Leistungen wie Verbandswechsel oder Therapien für Krankheiten: Wer zu Hause versorgt wird, bekommt diese Art der Pflege von den Krankenkassen gezahlt. Bei Heimbewohnern nicht. Damit bleiben diese Kosten an den Heimbewohnern selbst hängen, beklagen die Sozialverbände. „Bundesweit sind rund 70 Prozent der Pflegebedürftigen auf rein medizinische Leistungen angewiesen“, sagte Ursel Wolfgramm, Vorstandsvorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Das entspreche jährlich drei Milliarden
Euro pro Jahr. Diese sollten die Krankenkassen übernehmen – wie bei Pflegebedürftigen zu Hause auch.
Was schlagen Heimträger und Sozialverbände vor?
Personalmangel, immer mehr Pflegebedürftige, ein Trend hin zur Pflege daheim, steigende Kosten: Die Herausforderungen in diesem Bereich sind groß. Ein Patentrezept existiert nicht. Als Teil der Lösung schlagen die Sozialverbände ein neues Modell zur Finanzierung vor. Anders als heute sollen die Pflegebedürftigen einen festen Betrag zahlen, die Kassen alles übernehmen, was darüber hinaus an Pflegekosten anfällt. Die Sozialverbände haben einen Ökonomen rechnen lassen, er hält monatlich 470 Euro für sinnvoll. Hinzu kämen weiter Dinge wie Unterkunft und Verpflegung. Die notwendigen Änderungen müsste die Bundesregierung anstoßen. VdK-Präsident Roland Sing nennt eine andere, seit Jahren erhobene Forderung: „Die Landesregierung muss die Investitionskosten der Heime wieder fördern.“Bis 2010 zahlte das Land Heimen Geld pro Platz. Aus Sicht der Sozialverbände ließe sich so der Eigenanteil, den Bewohner zahlen müssen, deutlich reduzieren. Die Krankenkasse AOK zielt auf einen weiteren Punkt. Es gebe auch deswegen zu wenig Pflegepersonal, weil die Arbeitsbedingungen belastend seien. Das zeigten die durchschnittlich 27,7 Krankheitstage im Jahr, deutlich mehr als bei anderen Beschäftigten. In 65 Pflegeeinrichtungen im Land fördert die AOK daher Programme, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Was sagt die Landespolitik dazu?
Landessozialminister Manfred Lucha (Grüne) unterstützt das vorgeschlagene neue Finanzierungsmodell. Eine Förderung von Heimplätzen lehnt er dagegen ab. Diese helfe jedem, unabhängig vom eigenen Vermögen.
Das sei ungerecht. Außerdem gelte es, Pflege überall zu unterstützen – ob im Heim oder zu Hause. Im Fokus der Landesförderung stehe derzeit, ausreichend Pflegepersonal zu gewinnen. FDP-Politiker Jochen Haußmann nennt ein weiteres Gegenargument: „Wenn das Land neue Plätze wieder fördern würde, brächte dies für die jetzt oder in naher Zukunft pflegebedürftigen Menschen gar nichts. Denn es ginge nur um neu zu bauende Plätze.“Das Land müsse stattdessen überbordende Bürokratie im Pflegebereich abbauen und neue Modelle wie Pflege-WGs besser fördern. Die stellvertretende Chefin der SPD-Landtagsfraktion Sabine Wölfe legt den Fokus auf Menschen, die ihre Angehörigen daheim pflegen. Man müsse sie entlasten: „Wir fordern ein Fünf-JahresProgramm zum dringend notwendigen Ausbau der Tages- und Kurzzeitpflege und dafür den Einsatz von jeweils 25 Millionen Euro pro Jahr.“