Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Ärzte sollten sich ein aktives ,Ja‘ einholen, wenn sie in Körper eingreifen“
RAVENSBURG - Die Entscheidung des Bundestags ist richtig, sagt Florian Steger (Foto: Universität Ulm) im Gespräch mit Daniel Hadrys. Der Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universität Ulm empfiehlt, sich bei Fragen zur Organspende den Rat des Arztes einzuholen.
Herr Steger, der Bundestag setzt mit seiner Entscheidung vom Donnerstag bei Organspenden weiter auf Freiwilligkeit. Halten Sie das als Mediziner angesichts sinkender Organspendezahlen für den richtigen Weg?
Es ist der demokratisch legitimierte Weg, den wir zu akzeptieren und zu gehen haben. Es gibt gute Argumente für die Entscheidungslösung. Es gibt aber auch gute Argumente für die Widerspruchslösung, gegen die der Bundestag sich ausgesprochen hat. Als Medizinethiker finde ich die heutige Entscheidung wohl ausgewogen. Denn Ärzte sollten sich ein aktives „Ja“einholen, wenn sie in Körper eingreifen. Auch als Bürger bin sehr zufrieden mit dem Beschluss, weil das auch meine Position ist.
Wie stellen Ärzte sicher, dass ein Mensch der Definition aus dem Organspendeausweis nach auch wirklich tot ist?
Für den Hirntod eines Menschen gibt es eindeutige Kriterien. Von der Bundesärztekammer gibt es einen festgelegten Algorithmus: Zwei unabhängige Fachärzte müssen nach ganz klar definierten Merkmalen entscheiden, dass der Hirntod klinisch manifest geworden ist. Es kann keine Rede davon sein, dass ausschließlich ein Nulllinien-EEG (der Hirnstrommessung, d. Red.) ausreicht oder wenn irgendwelche Apparate irgendwelche Werte anzeigen. Das sind immer menschliche, klinische Entscheidungen, die getroffen werden.
„Hirntot“bedeutet, dass der Mensch aus seinem Zustand nicht mehr zurückkehrt?
Da scheiden sich die Geister, was „hirntot“philosophisch bedeutet. Der Standard der Bundesärztekammer bei dieser Definition lautet aber: Dieser Mensch kommt nicht mehr ins Leben zurück und wird an unserer Gemeinschaft nicht mehr teilnehmen. Er ist tot. Dann sind die Voraussetzungen zur Organentnahme gegeben.
Wie sind Organspenden bei Menschen möglich, die sich in ihrer Patientenverfügung gegen lebensverlängernde Maßnahmen ausgesprochen haben? Schließlich müssen sie – beispielsweise nach einem Unfall – so lange künstlich am Leben gehalten werden, bis ein entsprechendes Organ entnommen werden kann.
Das ist ein wichtiger Punkt. Auf einem Schriftstück kann ich dokumentieren, ob ich Organspender sein möchte oder nicht. Ich kann andererseits auch definieren, wie ich am Lebensende klinisch behandelt werden möchte. Es ist sehr schwierig, wenn Menschen das auf unterschiedlichen Dokumenten festhalten. Daher sollte man fachärztlichen Rat einholen oder diese Themen mit dem Hausarzt besprechen. Sie helfen dabei, dass die Formulierungen sich nicht widersprechen, damit auch das Beste für den Organempfänger herauskommt. Ist jemand tot, kann per definitionem keine lebensverlängernde Maßnahme durchgeführt werden.
Gibt es Menschen, die – ähnlich wie bei der Blutspende – von der Organspende ausgenommen sind?
Ärzte werden sicherlich schwer geschädigte Patienten nicht als Organspender nehmen – beispielsweise wenn jemand chronische Infektionen, starke Gifte in seinem Körper oder schwerste Erkrankungen hat. Wenn ein Patient zweifelt, ob er als Organspender geeignet ist, kann er Kontakt zu Fachärzten oder der Deutschen Stiftung Organtransplantation aufnehmen. Dort kann man sich beraten lassen, ob eine potenzielle Spende sinnvoll und möglich ist.