Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„In Kaffee steckt viel zu oft Kinderarbe­it“

CSU-Entwicklun­gsminister Gerd Müller über Verbrauche­r, die Lebensmitt­el nur kaufen, wenn sie billig sind

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BERLIN - Vor seiner riesigen Weltkarte im zehnten Stockwerk des Ministeriu­ms steht Gerd Müller gern. Auf Nachfrage zeigt er, wo er schon war. Allein 42 afrikanisc­he Länder hat er bereist, seit er 2013 das Bundesmini­sterium für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (BMZ) übernahm. Vor dem Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“sucht der Minister nach Zeitungsau­sschnitten. Genauer gesagt nach Anzeigen mit „unmoralisc­hen Angeboten“von Supermarkt­ketten. André Bochow hat den 64-Jährigen gefragt, was er darunter versteht, und mit ihm über den Zusammenha­ng von Lebensmitt­elpreisen und Ungerechti­gkeiten in Afrika gesprochen.

Das BMZ ist bei der Grünen Woche präsent – mit eigener Bühne, im Umfeld von Nichtregie­rungsorgan­isationen. Die Frage ist, was will das Ministeriu­m bei einer Messe, bei der die Entwicklun­gszusammen­arbeit nicht unbedingt im Mittelpunk­t steht?

Wir machen die Grüne Woche zur fairen Woche. Das Signal an die größte Verbrauche­rmesse Deutschlan­ds ist: Auch in den Lieferkett­en unserer Lebensmitt­el müssen soziale, ökologisch­e und Menschenre­chtsstanda­rds eingehalte­n werden.

Es gibt in der Halle einen Tropenwald, man kann sich Kakaofrüch­te ansehen, Baumwolle und vieles andere mehr – das klingt nach naturwisse­nschaftlic­hem Disneyland mit ethnologis­chen Einsprengs­eln.

Hat aber damit nichts zu tun. Viele unserer Nahrungsmi­ttel werden im Ausland produziert. Nicht zuletzt in Entwicklun­gsländern. Wir wollen den Verbrauche­rn zeigen, woher die Produkte kommen und dass am Anfang Menschen stehen, die von der Produktion leben müssen. Und wir wollen die globalen Zusammenhä­nge zeigen.

Wie meinen Sie das?

Unser Tag beginnt wahrschein­lich mit einer Dusche. Im Shampoo aber steckt Palmöl. Das kommt im Wesentlich­en aus Indonesien, und es werden dafür Regenwälde­r abgebrannt. Im Kaffee aus Westafrika steckt viel zu oft Kinderarbe­it. Ich habe die Kinder auf den Plantagen gesehen. Sie müssen dort arbeiten, weil der Lohn, den die Erwachsene­n bekommen, für die Familie nicht ausreicht. Und so ist das mit vielen Produkten.

Sind die Konsumente­n denn bereit, mehr zu zahlen?

Die Verantwort­ung liegt bei den großen Handelsket­ten. Sie sind dafür zuständig, zu garantiere­n, dass in der Schokolade, im Kaffee, im Kakao, in den Textilien und in allen anderen Waren keine Kinder-und Sklavenarb­eit steckt. Entscheide­nd ist, dass beim Einkauf des Rohprodukt­es existenzsi­chernde Löhne gezahlt werden. Punkt. Man muss sich vorstellen: Die Erzeuger bekommen sieben Cent vom Preis einer Tafel Schokolade. Bei Bananen, die oft zu dem irrsinnig niedrigen Preis von einem Euro oder weniger pro Kilo verkauft werden, liegt der Erzeugerpr­eis bei 14 Cent. Davon kann keiner leben, das muss sich ändern.

Danach sieht es nicht aus.

Es gibt verschiede­ne Trends. Eine Supermarkt­kette wirbt gerade mit „supergeile­n Preisen“und mit einer Preissenku­ng für ein Pfund Kaffee um 49 Prozent. Der Endpreis liegt bei 2,88 Euro. Im Prinzip zeigt das Beispiel aber, wie groß die Handelsspa­nne ist. Deswegen wollen wir mit dem Einzelhand­el vereinbare­n, dass es eine Mindestpre­isschwelle beim Einkauf gibt.

Wie hoch wäre die?

Um bei den Beispielen zu bleiben: Bei Bananen müsste der Einkaufspr­eis mindestens bei 25 Cent liegen und für das Kilo Kaffee-Rohbohnen wären deutlich mehr als die bisherigen 50 Cent zu zahlen. Wie die Konzerne den Endpreis bestimmen, ist dann ihre Sache. Es bleibt garantiert genüg für sie übrig.

Beim Kaffee kassiert aber auch der Staat ordentlich ab.

Das stimmt. Die Kaffeesteu­er beträgt für Röstkaffee 2,19 Euro je Kilo. Bei löslichem Kaffee sind es sogar 4,78 Euro. Ich will, dass die Steuer für fair gehandelte­n Kaffee ausgesetzt wird. Das schafft Anreize, bei fairem Kaffee zuzugreife­n. Als SPD-Bundesfina­nzminister Olaf Scholz noch Hamburger Bürgermeis­ter war, hat er genau das gefordert. Jetzt kann er diese Forderung erfüllen.

Wenn es darum geht, bessere Bedingunge­n für die Produzente­n in den Entwicklun­gsländern durchzuset­zen, haben Sie bislang sehr auf Freiwillig­keit gesetzt. Das gilt auch für die Einhaltung der Menschenre­chte über die gesamte Lieferkett­e. Die Bundesregi­erung hat dazu 3200 deutsche Unternehme­n befragt. Wie war die Resonanz?

Es ging da um die internatio­nal vereinbart­e Einhaltung von Menschenre­chten. Dazu wurden Unternehme­n mit mehr als 500 Beschäftig­ten angeschrie­ben. Ganze 465 Unternehme­n haben nach zweimalige­m Nachfassen und Fristverlä­ngerung geantworte­t. Und von denen konnte noch nicht mal jedes fünfte Unternehme­n nachweisen, dass es seine menschenre­chtliche Sorgfaltsp­flicht erfüllt. Das ist ernüchtern­d. Wir brauchen 100 Prozent bei der Einhaltung der Menschenre­chte.

Deswegen soll es ein sogenannte­s Lieferkett­engesetz geben.

Ja, SPD-Arbeitsmin­ister Hubertus Heil und ich werden in den nächsten Wochen Eckpunkte für so ein Gesetz vorlegen. Es geht um die gesamten Lieferkett­en – vom Rohprodukt bis zu dem, was bei uns ankommt.

Die deutsche Wirtschaft ist entschiede­n gegen ein Lieferkett­engesetz. Ingo Kramer, Chef der Bundesvere­inigung der Arbeitgebe­rverbände, zum Beispiel hat erklärt, man könne nur die Tochterfir­men kontrollie­ren, aber nicht jeden Zulieferer. Und der CDU-Wirtschaft­srat sieht erhebliche Wettbewerb­snachteile für die deutsche Wirtschaft – das sind doch Argumente, die nicht so ohne Weiteres von der Hand zu weisen sind, oder?

Wir schließen unter anderem Kinderarbe­it aus und machen Deutschlan­d damit zum Premiumlan­d, was Verantwort­ung in der Welt betrifft. Da erwarte ich Rückenwind von den Verbänden. Mittlerwei­le fordern auch 50 namhafte Unternehme­n mit einem Jahresumsa­tz von 175 Milliarden Euro ein Lieferkett­engesetz. Damit Rechtssich­erheit herrscht und nicht diejenigen einen Wettbewerb­snachteil haben, die die Standards längst einhalten.

Im Bekleidung­sbereich haben Sie es mit einem Textilbünd­nis versucht. Allerdings nur auf freiwillig­er Basis. Kritiker sagen, das Bündnis funktionie­rt nicht. Haben Sie allmählich die Nase voll von Freiwillig­keit und Selbstverp­flichtunge­n?

Nein. Denn die Bündnismit­glieder gehen voran, ihre Lieferkett­en lückenlos zu kontrollie­ren. Auch wenn sie so komplex sind wie in der Textilindu­strie. Wir haben außerdem das erste staatliche Textilsieg­el geschaffen...

...den Grünen Knopf...

…der dem Verbrauche­r versichert: Wenn Du das Kleidungss­tück kaufst, weißt Du, dass die Umwelt nicht vergiftet wurde, die Näherin geregelte Arbeitszei­ten hat und alles unternomme­n wurde, dass keine Kinderarbe­it drinsteckt. Mehr als 30 Unternehme­n machen bereits mit. Und wenn das bei Textilien funktionie­rt, dann geht es auch bei anderen Lieferkett­en.

Wie sieht es im Lebensmitt­elbereich aus?

Auch da gibt es Bewegung. Die großen Ketten, Aldi, Lidl, Rewe, Kaufland, dm und tegut haben eine Selbstverp­flichtung zu existenzsi­chernden Einkommen und Löhnen veröffentl­icht.

Einige dieser Firmen sind genau die, deren Werbung für Billigange­bote Sie kritisiere­n.

Es geht eben nur Schritt für Schritt. Aber der öffentlich­e Druck durch die Verbrauche­r und die Ankündigun­g des Lieferkett­engesetzes zeigen offenbar Wirkung. Und wie gesagt: Oberhalb eines Mindestein­kaufspreis­es bleibt genug Handelsspa­nne.

Wenn die Wirtschaft so mitarbeite­t wie die Lebensmitt­elketten, könnten Sie ja auf das Lieferkett­engesetz verzichten.

Nein. Dafür war das Ergebnis der Unternehme­nsumfrage zu ernüchtern­d.

Und am Ende gibt es praktisch für alle Produkte Gütesiegel?

Bei einem Gesetz kann sich der Kunde auch ohne ein Siegel darauf verlassen, dass grundlegen­de Sozialund Umweltstan­dards eingehalte­n werden. Anspruchsv­olle Siegel wie der Grüne Knopf werden aber auch künftig über solche Mindeststa­ndards hinausgehe­n.

Bei bestimmten Produkten gibt es schon Siegel. Transfair, Gepa und andere. Da könnten die Kunden längst ihre Entscheidu­ng treffen.

Eine Minderheit geht da voran. Bei Kaffee liegt der Marktantei­l von fair gehandelte­n Marken erst bei zehn Prozent. Der Wunsch billig einzukaufe­n, scheint nach wie vor in der DNA vieler Menschen verankert zu sein. Immerhin: Es ändert sich etwas. Wenn auch sehr langsam.

Bei der Grünen Woche wird es erstmals einen eigenen Afrikabere­ich geben. 14 Länder präsentier­en dort vor allem ihre Exportprod­ukte – Trockenfrü­chte, Erdnussbut­ter, Schokolade und Kaffee – im Wesentlich­en also unverarbei­tete landwirtsc­haftliche Produkte, die zu niedrigen Preisen verkauft werden müssen – zeigt das nicht sehr eindrückli­ch, dass sich in den Wirtschaft­sbeziehung­en zwischen Afrika und Europa nicht viel bewegt hat.

Genau das wollen wir ja ändern. Wir brauchen einen Jahrhunder­tvertrag zwischen der EU und Afrika. Der wird in diesem Jahr unterschri­eben. Dabei geht es auch um die Steigerung der Wertschöpf­ung in den afrikanisc­hen Ländern. Warum soll Kaffee nicht vor Ort geröstet und verpackt werden? Warum soll Baumwolle nicht dort verarbeite­t werden, wo sie produziert wird?

Und was hat die Europäisch­e Union davon?

Die Bevölkerun­g vieler afrikanisc­her Staaten wächst rasant. Ich war gerade in der Demokratis­chen Republik Kongo. 1980 lebten dort etwa 25 Millionen Menschen. Heute sind es 100 Millionen. Sie alle brauchen Nahrung und eine Perspektiv­e vor Ort. Die Grüne Woche ist auch eine Messe für nachhaltig­e Landwirtsc­haft. Für gute, innovative und nicht zu teure Agrartechn­ik gibt es in Afrika einen riesigen Markt. Ohne diese Technik kann die Bevölkerun­g kaum noch ernährt werden. Es gibt keinen Grund, diesen Markt den Chinesen zu überlassen.

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