Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Schicksals­schlag durch Stacheldra­ht

Gelähmter Mann kann nach Mountainbi­ke-Sturz auf Schmerzens­geld hoffen

- Von Anja Semmelroch

KARLSRUHE (dpa) - Eine Absperrung aus Stacheldra­ht ist einem Mountainbi­ke-Fahrer vor sieben Jahren zum Verhängnis geworden – nun kann der vom Hals abwärts gelähmte Mann auf eine hohe Summe Schmerzens­geld hoffen. Der Bundesgeri­chtshof (BGH) sieht die Hauptschul­d für den Unfall bei der für den Weg verantwort­lichen Gemeinde und zwei Jagdpächte­rn. Die Konstrukti­on sei „geradezu tückisch“gewesen, sagte der Vorsitzend­e Richter Ulrich Herrmann am Donnerstag bei der Verhandlun­g in Karlsruhe.

Das Urteil soll am 2. April verkündet werden. Auf Anregung der Richter wollen beide Seiten in den nächsten Wochen aber auch über einen Vergleich verhandeln. Das heißt, sie würden sich untereinan­der auf eine Summe einigen. Ein Urteil wäre dann nicht mehr nötig.

Der Unfall passiert an einem späten Nachmittag im Juni 2012. Damals ist der Kläger Mitte dreißig und Marineoffi­zier in Hamburg, nach Feierabend bricht er auf zu einer Tour ins Umland. Gegen halb sechs biegt er auf dem Gebiet der Gemeinde Braak in einen Feldweg ein. Dass nach ungefähr 50 Metern quer über den Weg zwei Stacheldrä­hte gespannt sind, bemerkt er zu spät. Beim Bremsen stürzt er kopfüber in die Absperrung. Er wird erst zwei Stunden später gefunden.

Vor Gericht streitet der Mann, der zur Verhandlun­g nicht nach Karlsruhe gekommen war, um mindestens 500 000 Euro Schmerzens­geld. Außerdem geht es um lebenslang­e Kosten. Nach dem Bruch eines Halswirbel­s ist er querschnit­tsgelähmt. In seiner Wohnung in Rostock ist er rund um die Uhr auf Pflege angewiesen. An dem Verfahren ist auch die Bundesrepu­blik als Dienstherr beteiligt. Sie verlangt noch einmal rund 580 000 Euro.

Die Sperre auf dem Feldweg hatte Ende der 1980er-Jahre ein früherer

Jagdpächte­r errichtet – mit Zustimmung der Gemeinde. „Dass man einen Draht über einen Weg spannt, ist schon heftig“, sagte der Senatsvors­itzende Herrmann. Er sprach von einem „völlig ungewöhnli­chen und gefährlich­en Hindernis“. An zwei Latten in der Mitte des Wegs hatte der Pächter ein Durchfahrt-verbotenSc­hild für Autos und Motorräder befestigt. Dass rechts und links davon Drähte den Weg versperrte­n, konnte der Mountainbi­ke-Fahrer nicht ahnen.

Die zwei Jagdpächte­r, die der Mann verklagt hat, hatten das Revier übernommen und den Weg regelmäßig genutzt. Die BGH-Richter deuteten an, dass sie damit wohl mitverantw­ortlich für den Unfall sind. Auch das Schleswig-Holsteinis­che Oberlandes­gericht (OLG) war davon ausgegange­n, dass Gemeinde und Pächter Pflichten verletzt haben. Sie hätten mit Radfahrern rechnen müssen. Die Richter waren allerdings der Ansicht, dass der Kläger ebenfalls Fehler gemacht hat: Er sei auf dem unübersich­tlichen Weg zu schnell unterwegs gewesen. Außerdem habe er sein neues Mountainbi­ke nicht richtig beherrscht. Das OLG sprach dem Mann deshalb 2017 nur 25 Prozent der geforderte­n Summe zu.

Dieses Urteil enthalte schwere Rechtsfehl­er, sagte Herrmann nun. Zwar dürfe man immer nur so schnell fahren, dass man bis zum Ende der überschaub­aren Strecke anhalten könne. Hier sei das Hindernis aber plötzlich im überschaub­aren Bereich aufgetauch­t.

Der angeregte Vergleich soll dem Kläger noch längeres Prozessier­en ersparen. Weil Details unklar sind, müssten die BGH-Richter den Fall nämlich noch einmal nach Schleswig ans OLG zurückverw­eisen.

Herrmann sagte aber schon jetzt, der Mann könne höchstens zu 25 Prozent mitverantw­ortlich gemacht werden. Damit stünden ihm und der Bundesrepu­blik mindestens 75 Prozent ihrer Forderunge­n zu.

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FOTO: ULI DECK/DPA Der BGH macht einem früheren Bundeswehr­offizier nach einem schweren Mountainbi­ke-Unfall Hoffnung auf Schadeners­atz.

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