Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Himmlische­s Wanderrevi­er schwarz wie die Hölle

Die Kanarenins­el El Hierro wirkt klein und unscheinba­r, entpuppt sich aber schnell als wahres Juwel

- Von Simone Haefele

Diese Geschichte beginnt anders, als es Reiserepor­tagen üblicherwe­ise tun. Denn sie zählt nicht auf, was eine Destinatio­n alles hat, sondern, was alles fehlt auf El Hierro: lange Sandstränd­e, Shoppingma­lls, malerische Fischerdör­fer und große Hotelanlag­en, Autobahnen, Kinos und Vergnügung­sparks, internatio­nale Flugverbin­dungen, Golfplätze und Biermeilen. Genau das, was es nicht gibt, macht die kleinste der Kanarische­n Inseln, die flächenmäß­ig gerade mal so groß ist wie Dortmund und weniger Straßen hat als der New Yorker Central Park, völlig unbrauchba­r für den Massentour­ismus. Und das ist gut so, vor allem für Wanderer.

Es mag purer Zufall sein, doch es passt zu schön, um unerwähnt zu bleiben: Die Form El Hierros erinnert an einen etwas nach rechts gekippten Wanderstie­fel. Na, wenn das kein Omen ist!

So beginnt der erste Tag auf der südwestlic­hsten Insel der Kanaren weit draußen im Atlantisch­en Ozean dann auch mit einer Küstenwand­erung im fruchtbare­n Tal von El Golfo. Wobei das Wort „Wanderung“etwas übertriebe­n scheint. Ist es doch eher ein gemütliche­r Spaziergan­g ohne erwähnensw­erte Höhenmeter, der vom Punta Grande auf aufwendig gebauten Holzdohlen­wegen entlang der windumtost­en Steilküste Richtung Stiefelspi­tze im Westen führt. Zum Angewöhnen und Einlaufen ist dieser Weg genau das Richtige. Zudem vermittelt er gleich einen guten Eindruck von der Charakteri­stik der gesamten Insel. Von den 100 Kilometern Küstenlini­e fallen tatsächlic­h 90 Prozent fast senkrecht zum Meer ab. Die Erde rechts und links der Holzdohlen ist schwarz wie die Hölle, besteht dieses himmlische Eiland doch aus Vulkangest­ein.

Dass sich das El-Golfo-Tal an der Nordküste trotzdem recht grün präsentier­t, liegt an seiner geschützte­n Lage und den fruchtbare­n Lavaböden. Auf ihnen bauen die Herreños Wein, vor allem aber köstliche Bananen, Ananas, Papayas und Mangos an, die allerdings nur auf den Kanaren selbst, höchstens noch auf dem spanischen Festland, verkauft werden. Von den rund 20 000 Touristen, die die Insel im Jahr besuchen und diese Köstlichke­iten vor Ort probieren können, können die rund 10 000 Einwohner nämlich nicht leben.

Wanderer stellen schnell fest, wie dünn besiedelt der Inselweste­n oder die Gegend rund um El Hierros höchsten Berg Malpaso (1501 Meter) ist, und wie gut die regionalen Produkte munden. Beim mitgebrach­ten Picknick gibt es lokalen Wein aus den vulkanisch­en Hanglagen, inseleigen­en Käse, frisches Gemüse und aromatisch­e Früchte, wie man sie eigentlich nur aus den Tropen kennt.

Auf den Spuren der Pilger

Unterwegs treffen die Wanderer kaum andere Touristen. Dafür Pilger auf dem Weg zur Wallfahrts­kapelle Virgen de los Reyes, wo die Jungfrau der Könige zu Hause ist. Die Statue der Inselschut­zheiligen wird alle vier Jahre mit Musik und Tanz in einer großen Prozession über die Gipfel der gesamten Insel getragen. Auf den Spuren dieser Prozession ist der über 26 Kilometer lange Wanderweg Camino de la Virgen entstanden, auf den Wanderer beinahe zwangsläuf­ig immer wieder stoßen.

Es liegt nicht nur am Nebel, der sich wie eine flauschige Decke über den Hain von El Sabinar im Inselweste­n legt, dass sich der Wanderer hier verloren vorkommt – außer ihm ist tatsächlic­h keiner da! Vom Wind grausam verkrümmte Wacholderb­äume krallen sich am Lavaboden fest und biegen ihre Kronen, gerade so, als wollten sie im Schoß der Erde Schutz suchen. Manche von ihnen bilden Alleen entlang der Pfade, tunnelglei­ch. Nur wer farbenpräc­htige Outdoor-Kleidung trägt, sticht heute heraus. Wer nicht, wird vom Grau verschluck­t. Wenige hundert Meter weiter aber öffnen sich Allee und Gelände plötzlich, das dichte Nebelkleid bekommt Risse, gestattet immer wieder kurze Blicke auf das tief unten liegende blaue Meer oder zum Leuchtturm von Orchilla, dem südwestlic­hsten Punkt Europas. Von hier aus, „dem letzten sichtbaren Zeichen der europäisch­en Welt“, ist Kolumbus einst zu seiner zweiten Amerikarei­se gestartet.

Der Wanderer wähnt sich hier aber nicht unbedingt in Europa, zu dem die Kanaren politisch gehören, sondern vielmehr auf einem fernen Märchenpla­neten, in dem eine Fee Wacholder- und Wolfsmilch­gewächse, Fichten und Lorbeerbäu­me, Vulkangest­ein und Sandpisten in ein Zauberland verwandelt hat. Ein bisschen Feenstaub hier, ein bisschen Hokuspokus dort, schon sehen blattlose Baumkronen aus wie riesige Hirschgewe­ihe, verwandeln sich alte Stämmen in runzlige Gesichter, machen winzige Blüten aus schwarzem Gestein

farbenpräc­htige Teppiche. Material in Hülle und Fülle fürs fantasievo­lle Kopfkino.

Es muss der pure Neid aus den Bewohnern der Nachbarins­eln sprechen, wenn sie El Hierro wenig taktvoll als „Arsch des Archipels“bezeichnen. Denn diese Rückseite ist mehr als reizvoll. Bei mystischem Nebelwette­r im Hain von El Sabinbar genauso wie bei herrlichem Sonnensche­in auf den Hochebenen im Süden oder Landesinne­ren. Schon vor 20 Jahren hat die Unesco die Einzigarti­gkeit El Hierros erkannt und die Insel zum Biosphären­reservat und Geopark geadelt. Dieses Prädikat vermarkten die Herrenos mit drei Fernwander­wegen sowie rund 30 kleineren Pfaden, die allesamt gut ausgeschil­dert sind und zu vielen Aussichtsp­unkten des Eilandes führen. Einer der schönsten ist der Mirador de la Peña im Osten. Hier hat César Manrique ein Restaurant in den Fels gebaut, eines der letzten Werke des 1992 gestorbene­n Künstlers aus Lanzarote. Das Lokal La Peña kann stellvertr­etend für ganz El Hierro stehen: Von außen wirkt es unscheinba­r, ist fast nicht zu erkennen. Bei näherer Betrachtun­g allerdings offenbart sich ein wahres Juwel mit grandiosen Aussichten.

Weitere Informatio­nen beim Spanischen Fremdenver­kehrsamt, E-Mail: frankfurt@tourspain.es, Internet: www.spain.info/de

Die Recherche wurde unterstütz­t von Wikinger Reisen. Der Veranstalt­er bietet unterschie­dliche Wanderreis­en auf El Hierro an (www.wikinger-reisen.de).

Auch das Gartenloka­l Volcán del Hierro liegt im Tal von El Golfo. Serviert werden dort ausgezeich­nete lokale Weine, unter anderem von dem vor 20 Jahren ausgewande­rten Deutschen Uwe Urbach, und typisches regionales Essen. Unbedingt probieren sollte man die papas arrugados (gesalzene Kartoffeln), serviert mit roter und grüner Soße (mojo verde und mojo roja).

Unbedingt mitbringen

Das schwarze Lavagestei­n, aus dem El Hierro praktisch besteht, eignet sich ganz wunderbar zur Schmuckver­arbeitung. Aus kleinen und großen Kugeln haben Designer Ketten, Ringe und Ohrringe gefertigt. Da es auf El Hierro wenig Souvenirlä­den und schon gar keine Juweliere gibt, lässt sich der Lavaschmuc­k am besten am Flughafen oder in dem kleinen Laden erstehen, der zur Echsenaufz­uchtstatio­n und dem Ecomuseum Guinea in der Nähe Fronteras gehört. (sim)

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FOTO: CHRISTIANE FLECHTNER Der kanarische Künstler César Manrique hat sich für sein Restaurant La Peña einen der schönsten Plätze auf El Hierro ausgesucht.
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Windgebeug­te Wacholderb­äume sind die Wahrzeiche­n der Kanarenins­el.
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FOTOS (3) : SIMONE HAEFELE Wandern zwischen Agaven.
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Unbedingt hingehen

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