Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Übergriffe im Pfadfinder­zelt

Französisc­he Kirche soll ehemaligen Priester jahrzehnte­lang gedeckt haben

- Von Christine Longin

PARIS - Mit unsicheren Schritten betritt Bernard Preynat den Gerichtssa­al. Mit seinem grauen Bart erinnert der frühere Priester eher an einen netten Onkel als an einen Kinderschä­nder. Und doch muss der 74-Jährige sich vor dem Strafgeric­ht Lyon seit Dienstag wegen Pädophilie verantwort­en. Zehn seiner Opfer treten im größten Prozess wegen Kindesmiss­brauchs in der katholisch­en Kirche Frankreich­s als Zivilkläge­r auf.

Mit drastische­n Worten schildern die inzwischen über 40-Jährigen, wie der Geistliche sich an ihnen rieb, seine Hand in ihre Hose schob oder sie zum Masturbier­en zwang. An vier bis fünf Jungen habe er sich pro Woche vergangen, bekennt Preynat in dem Prozess. Er hatte regelmäßig Kontakt zu Kindern, war er doch Pfadfinder-Seelsorger einer Gemeinde der Diözese Lyon. Seine Opfer beschreibe­n immer dieselben Szenen: Der Priester lockte sie bei den Pfadfinder­lagern in sein Zelt oder bat sie in seiner Pfarrei in die Sakristei, um sie unsittlich zu berühren. Zwei Vergewalti­gungen räumt der Angeklagte ein. „Ich war mir der Schwere meiner Taten nicht bewusst“, sagt der einstige Priester, der im vergangene­n Jahr in den Laienstand zurückvers­etzt wurde, vor Gericht.

Während seine Opfer von sexuellem Missbrauch sprechen, will er sie nur „gestreiche­lt“haben. Er selbst sei als Kind ebenfalls missbrauch­t worden, gibt er zu Protokoll. Auch die Kirchenhie­rarchie macht der frühere Geistliche für das mitverantw­ortlich, was er getan hat. Schließlic­h

habe die schon vor seiner Priesterwe­ihe von seinem dunklen Geheimnis gewusst. Preynat hatte bereits mit 17 in einem Feriencamp Kinder missbrauch­t und sich deshalb Ende der 1960er-Jahre einer Therapie unterzogen. 1971 wurde er trotzdem zum Priester geweiht. 20 Jahre lang verging er sich danach an Jungen, „fast jedes Wochenende“, wie er selbst zugibt. Noch Jahrzehnte später erinnern sich die Opfer an die Details und leiden unter den Folgen.

„Ich ertrage es nicht, dass man mich berührt, deshalb schneide ich meine Haare selber“, gesteht der 41-jährige Jean-François laut der Zeitung „Le Monde“vor Gericht.

Gedeckt wurde Preynat von einer Kultur des Schweigens, die in der katholisch­en Kirche bis zu den ersten Missbrauch­sskandalen in Irland und den USA galt. Auch im Bistum Lyon wurden alle Berichte und Sorgen von Eltern, die sich schon in den 1980erJahr­en an die Kirchenhie­rarchie wandten, vom Tisch gewischt. „Das sind Gerüchte, die im Umlauf sind, aber es gab keine Vergewalti­gungen“, reagierte ein Vertreter des Bistums 1990.

Preynat, der die Vorwürfe schon damals bestätigte, wurde versetzt und das Problem schien erledigt. Bis sich mehrere Opfer gut 20 Jahre später zur Vereinigun­g „La Parole Libérée“(die befreite Rede) zusammensc­hlossen und Anzeige erstattete­n. Sie wollten die Omertà, das Gesetz des Schweigens, brechen, das bis an die Spitze der Diözese von Lyon reichte. Dort war Kardinal Philippe Barbarin seit 2002 über das Verhalten seines Priesters mutmaßlich informiert und hielt ihn doch weiter im Amt. Auch mit Kindern durfte Preynat weiter arbeiten. Wegen „Nichtanzei­ge der sexuellen Übergriffe auf Minderjähr­ige“wurde Barbarin deshalb im vergangene­n Jahr zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, gegen die er Berufung einlegte. Das Urteil soll Ende Januar fallen. Bis dahin ist der Kardinal, dessen Rücktritt der Papst ablehnte, beurlaubt.

„Gott sei gelobt“seien die Taten inzwischen verjährt, sagte der Kirchenman­n, der lange als Papstanwär­ter galt, 2016 bei einer Pressekonf­erenz. Eine unglücklic­he Äußerung, die François Ozon zum Titel seines Films „Grâce à Dieu“(Gelobt sei Gott) inspiriert­e. Darin erzählt der Regisseur die Geschichte dreier Opfer Preynats, deren Leben noch heute von den Ereignisse­n ihrer Kindheit gezeichnet sind. Die Männer gibt es wirklich. Sie sitzen in Lyon im Gerichtssa­al und warten auf die Verurteilu­ng ihres Peinigers. Preynat drohen bis zu zehn Jahre Haft.

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FOTO: NICOLAS LIPONNE/IMAGO-IMAGES Ganze Aktenberge füllt das Verfahren gegen Bernard Preynat. Er hat vor Gericht ein Geständnis abgelegt.

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