Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Tat kann dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden
Der wegen gefährlicher Körperverletzung Angeklagte wurde vor dem Amtsgericht freigesprochen
RIEDLINGEN - „Mit einem Freispruch endete die Verhandlung wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Riedlinger Amtsgericht. Zwar spreche sehr viel dafür, dass der Angeklagte in die Auseinandersetzung einer russlanddeutschen und einer Asylbewerber-Gruppe involviert gewesen sei, vermutete Richter Wilfred Waitzinger. Allerdings fielen dem Richter ein paar Ungereimtheiten in der Aussage des Geschädigten auf. Weitere Zeugen erinnerten sich schlecht oder gar nicht. „In dubio pro reo“, sagte Waitzinger und sprach den Angeklagten frei. Die Staatsanwaltschaft hatte neun Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung und 2000 Euro Schmerzensgeld für den Geschädigten gefordert.
Der 32-jährige Mann, der am Mittwochnachmittag in Riedlingen vor Gericht saß, war bisher strafrechtlich noch nicht aufgefallen. Er ist verheiratet, Vater und geht einem Beruf nach. Ihm warf Staatsanwalt Sascha Musch vor, in der Nacht vom 24. September 2017, kurz vor halb zwei Uhr, einen 26-jährigen Asylbewerber aus Afghanistan beim Bahnhof abgepasst und ihm mit der Faust ins Gesicht geschlagen zu haben. Weitere acht bis zehn bisher unbekannte Personen sollen an der Prügelei beteiligt gewesen sein. Das Opfer wurde bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen und mit Füßen getreten. Eine aufgeplatzte Oberlippe, die genäht werden musste, ein geprellter Daumen, ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule und lädierte Zähne trug er davon.
Während der Angeklagte zur Sache
keine Angaben machte, erzählte der Geschädigte, dass er in der Nacht auf dem Weg zu einem Freund war. Von zwei Männern wurde er an der Ampel abgepasst. Sie hätten ihn am Arm genommen und zur Bushaltestelle geführt. Dort warteten die anderen. Der Geschädigte sprach von wenigstens zehn weiteren Menschen. „Wo ist dein Kumpel?“, sei er immer wieder gefragt und dann zusammengeschlagen worden. Die Polizei habe ihn ins Krankenhaus gebracht, wo er noch zwei Stunden lang orientierungslos gewesen sei und drei Tage bleiben musste.
„Ob er den Angeklagten kenne?“, fragte Waitzinger das Opfer. Vom Fitnessstudio kenne man sich, so der Zeuge. Aber da habe man nie etwas miteinander zu tun gehabt. Ganz sicher war sich der Zeuge vor Gericht, dass der Angeklagte derjenige war, der ihn ins Gesicht geschlagen hatte. Weitere Zeugen aus dem Dunstkreis des Geschädigten erinnerten sich an Pistolenschüsse und waren sonst eher vage in ihren Angaben. Ein vierter Zeuge, aus dem Kreis um den Angeklagten, wollte sich seiner Aussage enthalten. „Das sieht unsere Prozessordnung nicht vor“, erklärte der Richter. Daraufhin konnte er sich daran erinnern, dass er den Angeklagten und dessen Auto kenne, sich aber sonst nicht erinnere.
Tumultartige Zustände
Ein als Zeuge geladener Polizist konnte bestätigen, dass der Angeklagte in der Tatnacht mit diesem auffälligen Fahrzeug unterwegs gewesen sein soll, allerdings nicht zur Tatzeit, sondern vor Mitternacht. Das habe er bei der Polizei so ausgesagt. Immer wieder sei in den PolizeiVernehmungen die Rede davon gewesen, dass sich die AsylbewerberGruppe mit Besenstielen bewaffnete, um sich gegen die Gruppe um den Angeklagten zu wehren. Auch der Schuss sei mehrmals erwähnt worden. Bedienung und Betreiber der Shishabar hätten von tumultartigen Zuständen gesprochen. „Die haben sich in der Bar verschanzt und abgeschlossen“, so der Polizist.
Dass das Opfer und der Angeklagte nach der Tat etwa vier Monate beim gleichen Arbeitgeber arbeiteten, war dem Polizisten nicht bekannt. Wie die Polizei auf den Angeklagten gekommen sei, wollte der Richter wissen. Das Fahrzeug spielte dabei eine Rolle und der Geschädigte habe in einer weiteren Aussage Monate später bei der Polizei ein Foto vom Angeklagten mit dem auffälligen Auto gezeigt. Über die Autonummer
wurde der Halter ermittelt.
Staatsanwalt Musch wertete die Aussage des Geschädigten als belastungsfrei und es sei sein Recht, erst Monate später eine Anzeige zu machen. „Sie haben sich zusammengerottet und auf einen einzelnen eingeschlagen“, so Musch in Richtung Angeklagten. Die Verteidigerin meldete ihr Zweifel an. Sie verwies darauf, dass der Geschädigte und ihr Mandant vier Monate an der gleichen Werkbank gearbeitet hätten und das Opfer nichts gesagt habe. „Mein Mandant ist nicht zu strafen. Er ist unschuldig“, argumentierte sie und plädierte auf Freispruch.
Richter Waitzinger entsprach dem und begründete seinen Richterspruch damit, dass der Geschädigte in seiner ersten Aussage lediglich von zwei Männern, die ihn wegführten, gesprochen hatte. Er habe damals gesagt, dass der Angeklagte bei den Schlägern dabei gewesen sei, aber nicht erwähnt, dass er ihn aus dem Fitnessstudio kenne. Auch zu dem auffallenden Auto, das erst in der zweiten Vernehmung benannt wurde, fehlten beim ersten Mal die Angaben. Weder im Fitnessstudio noch bei der Arbeit habe er gefragt, wie der Mann heiße.
Erst Monate später, als er ihn vor dem Auto fotografierte, sei er zur Polizei gegangen. Das waren dem Richter zu viele Ungereimtheiten. „Meines Erachtens spricht sehr viel dafür, dass Sie involviert waren“, so der Richter zum Angeklagten. Allerdings bleibe eine konkrete Tatbeteiligung im Nebel und deshalb müsse er ihn freisprechen. Die Staatsanwaltschaft habe das Recht Rechtsmittel einzulegen.