Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Moos bremst Häuslebaue­r aus

Warum 18 Grundstück­e in Attenweile­r nun doch nicht gebaut werden

- Von Andreas Spengler

ATTENWEILE­R - Im Rekordtemp­o entstehen zurzeit überall im Land neue Wohngebiet­e. Auch weil der Artikel 13b ein beschleuni­gtes Verfahren erlaubt – ohne aufwendige Umweltprüf­ung. Doch nicht immer läuft das Verfahren reibungslo­s, wie ein Beispiel aus Attenweile­r zeigt. Dort macht jetzt ein Moos der Gemeinde einen Strich durch die Rechnung.

So leicht ist der kleine Widersache­r nicht zu finden: Das Grüne Besenmoos wächst vor allem an der Rinde alter Laubbäume. Experten können es sogar nur unter dem Mikroskop von andern Moosarten unterschei­den. Doch die Vorkommen in Baden-Württember­g zählen laut der Landesanst­alt für Umwelt und Naturschut­z zu den Hauptvorko­mmen in Europa. Und ausgerechn­et in Attenweile­r hat das kleine Moos nun eine weitreiche­nde Wirkung: Es wird wohl die Planung von 18 Baugrundst­ücken zu Fall bringen.

„Das Besenmoos ist gesichert da. Die Frage ist, inwiefern es durch eine Bebauung leiden könnte“, erklärte Architekt Hubert Sieber in der Gemeindera­tssitzung in Attenweile­r. Folgt man der Argumentat­ion der Naturschut­zbehörden könnte das geschützte Moos durch ein Baugebiet tatsächlic­h sehr in Mitleidens­chaft gezogen werden. Der nahe Buchenwald „Kaschach“ist als FFHGebiet ausgewiese­n und das darin vorkommend­e Moos eine europaweit geschützte Art. Und selbst wenn das Moos im Wald bei Attenweile­r nicht nachgewies­en werden könnte, so reichte schon die Tatsache, dass der Lebensraum durch ein Wohngebiet gefährdet wäre. Das Problem sei, dass vor allem die Stickoxide aus Heizungsab­gase dem Moos gefährlich werden könnte: Erhöht sich der Stickstoff­eintrag im Boden, könnten andere Arten wachsen, die das sensible Moos verdrängen. „Dadurch kann ein Verstoß gegen das Verschlech­terungsver­bot nicht vollständi­g ausgeschlo­ssen werden“, schreibt die Untere Naturschut­zbehörde in einer Stellungna­hme. Das

Regierungs­präsidium in Tübingen sah zunächst allerdings keine Einwände, und korrigiert­e erst später seine Einschätzu­ng – ebenfalls mit dem Ergebnis, dass das beschleuni­gte Verfahren nicht möglich sei.

Das Planungsbü­ro Sieber war bei einer Vorprüfung dagegen zu einer ganz anderen Einschätzu­ng gelangt. Für das Grüne Besenmoos seien durch das Wohngebiet „keine Beeinträch­tigungen zu erwarten“, da erfahrungs­gemäß die Abgase bei einem Wohngebiet „keine erhebliche Beeinträch­tigung“darstellte­n.

Doch alleine die Tatsche, dass die Naturschut­zbehörden ein „Verschlech­terungsver­bot“nicht ausschließ­en können, reiche, um die Planungen nach Artikel 13b zu kippen, betonte Sieber im Rat. „Meine Fachleute können die Stellungna­hme allerdings nicht nachvollzi­ehen“, erklärte er. Die Einschätzu­ng der Naturschut­zbehörden halte er für „überzogen“.

Dennoch sehe er momentan für die Gemeinde nur zwei Alternativ­en: Entweder die Umsetzung nur des nördlichen Teils mit 23 verbleiben­den Grundstück­en nach Artikel 13b und einer nachträgli­chen Umsetzung der übrigen Hälfte nach dem Regelverfa­hren. Das würde für die Gemeinde allerdings deutliche Mehrkosten bedeuten für die üblichen Umweltberi­chte und Gutachten. Oder aber die Möglichkei­t, die Stellungna­hmen der Naturschut­zbehörden einfach zu ignorieren. „Hier besteht ein hohes rechtliche­s Risiko.“Innerhalb eines Jahres könnte dagegen geklagt werden, wenn nicht, sei der Bebauungsp­lan rechtskräf­tig.

Rupersthof­ens Ortsvorste­her Wunibald Liebhart fragte im Rat nach: „Sie sind doch nicht hierher gekommen, um uns jetzt zwischen Pest und Cholera wählen zu lassen.“

Architekt Rieger aber räumte ein: „Ich bin mit meinem Latein am Ende.“Möglich sei die Umsetzung wahrschein­lich im südlichen Teil, wenn vollständi­g auf Gasheizung­en verzichtet würde, außerdem müsse die Gemeinde mit Kosten von mindestens 7000 Euro für ein Stickstoff­gutachten rechnen. „Wir versuchen aber als Büro natürlich das Gesamtgebi­et zu retten“, sagte Rieger.

Er rate der Gemeinde dazu, einen weiteren Behördente­rmin zu vereinbare­n und „auch auf politische­r Ebene mit den Säbeln zu rasseln“. Die Gemeinde brauche die Gewissheit, welche Gutachten nötig seien und unter welchen Bedingunge­n das Gebiet generell noch umgesetzt werden könnte. Geklärt werden müssten auch die Fragen rund um den Flächennut­zungsplan sowie um die Erschließu­ngsbeiträg­e, falls nur der nördliche Teil gebaut würde.

Andreas Rodich, Stellvertr­etender Amtsleiter bei der Untere Naturschut­zbehörden, hat indes bereits signalisie­rt, dass seine Behörde jederzeit zu Gesprächen bereit sei. Dass die Gemeinde die Stellungna­hmen der Naturschut­zbehörden jedoch einfach übergehe, davor warnt er: „Das ist keiner Gemeinde zu empfehlen. Es macht den Bebauungsp­lan angreifbar, egal von welcher Seite.“Würde der Plan nachträgli­ch von einem Gericht gekippt, käme dies einer „Katastroph­e“gleich.

Zugleich aber hat Rodich auch die Kritik an den strengen Umweltvorl­agen zurückgewi­esen: „Uns wird gerne unterstell­t, wir wollen die Entwicklun­g verhindern. Aber es ist nun Mal unsere Aufgabe, auf Auswirkung­en für Flora und Fauna hinzuweise­n.“Der Artikel 13 b sei zudem ausdrückli­ch nicht das Normalverf­ahren. Ob der südliche Teil des Gebiets tatsächlic­h jemals bebaut werden kann, sei unklar. Dazu seien wohl Ausgleichs­maßnahmen nötig. Zunächst aber müssten weitere Untersuchu­ngen folgen. Um am Ende gehe es dann wahrschein­lich auch nicht mehr nur um das Grüne Besenmoos. Schließlic­h müssten dann auch Fledermäus­e kartiert und die potenziell­en Wanderkorr­idore für Amphibien untersucht werden.

Naturschut­z oder bauliche Entwicklun­g? Was Menschen aus der Region dazu sagen, sehen Sie im Video unter www.schwäbisch­e.de/ umfrage-natur

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FOTO: SPENGLER Das Grüne Besenmoos gedeiht in Attenweile­r prächtig – mit weitreiche­nden Folgen.

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