Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Moos bremst Häuslebauer aus
Warum 18 Grundstücke in Attenweiler nun doch nicht gebaut werden
ATTENWEILER - Im Rekordtempo entstehen zurzeit überall im Land neue Wohngebiete. Auch weil der Artikel 13b ein beschleunigtes Verfahren erlaubt – ohne aufwendige Umweltprüfung. Doch nicht immer läuft das Verfahren reibungslos, wie ein Beispiel aus Attenweiler zeigt. Dort macht jetzt ein Moos der Gemeinde einen Strich durch die Rechnung.
So leicht ist der kleine Widersacher nicht zu finden: Das Grüne Besenmoos wächst vor allem an der Rinde alter Laubbäume. Experten können es sogar nur unter dem Mikroskop von andern Moosarten unterscheiden. Doch die Vorkommen in Baden-Württemberg zählen laut der Landesanstalt für Umwelt und Naturschutz zu den Hauptvorkommen in Europa. Und ausgerechnet in Attenweiler hat das kleine Moos nun eine weitreichende Wirkung: Es wird wohl die Planung von 18 Baugrundstücken zu Fall bringen.
„Das Besenmoos ist gesichert da. Die Frage ist, inwiefern es durch eine Bebauung leiden könnte“, erklärte Architekt Hubert Sieber in der Gemeinderatssitzung in Attenweiler. Folgt man der Argumentation der Naturschutzbehörden könnte das geschützte Moos durch ein Baugebiet tatsächlich sehr in Mitleidenschaft gezogen werden. Der nahe Buchenwald „Kaschach“ist als FFHGebiet ausgewiesen und das darin vorkommende Moos eine europaweit geschützte Art. Und selbst wenn das Moos im Wald bei Attenweiler nicht nachgewiesen werden könnte, so reichte schon die Tatsache, dass der Lebensraum durch ein Wohngebiet gefährdet wäre. Das Problem sei, dass vor allem die Stickoxide aus Heizungsabgase dem Moos gefährlich werden könnte: Erhöht sich der Stickstoffeintrag im Boden, könnten andere Arten wachsen, die das sensible Moos verdrängen. „Dadurch kann ein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot nicht vollständig ausgeschlossen werden“, schreibt die Untere Naturschutzbehörde in einer Stellungnahme. Das
Regierungspräsidium in Tübingen sah zunächst allerdings keine Einwände, und korrigierte erst später seine Einschätzung – ebenfalls mit dem Ergebnis, dass das beschleunigte Verfahren nicht möglich sei.
Das Planungsbüro Sieber war bei einer Vorprüfung dagegen zu einer ganz anderen Einschätzung gelangt. Für das Grüne Besenmoos seien durch das Wohngebiet „keine Beeinträchtigungen zu erwarten“, da erfahrungsgemäß die Abgase bei einem Wohngebiet „keine erhebliche Beeinträchtigung“darstellten.
Doch alleine die Tatsche, dass die Naturschutzbehörden ein „Verschlechterungsverbot“nicht ausschließen können, reiche, um die Planungen nach Artikel 13b zu kippen, betonte Sieber im Rat. „Meine Fachleute können die Stellungnahme allerdings nicht nachvollziehen“, erklärte er. Die Einschätzung der Naturschutzbehörden halte er für „überzogen“.
Dennoch sehe er momentan für die Gemeinde nur zwei Alternativen: Entweder die Umsetzung nur des nördlichen Teils mit 23 verbleibenden Grundstücken nach Artikel 13b und einer nachträglichen Umsetzung der übrigen Hälfte nach dem Regelverfahren. Das würde für die Gemeinde allerdings deutliche Mehrkosten bedeuten für die üblichen Umweltberichte und Gutachten. Oder aber die Möglichkeit, die Stellungnahmen der Naturschutzbehörden einfach zu ignorieren. „Hier besteht ein hohes rechtliches Risiko.“Innerhalb eines Jahres könnte dagegen geklagt werden, wenn nicht, sei der Bebauungsplan rechtskräftig.
Rupersthofens Ortsvorsteher Wunibald Liebhart fragte im Rat nach: „Sie sind doch nicht hierher gekommen, um uns jetzt zwischen Pest und Cholera wählen zu lassen.“
Architekt Rieger aber räumte ein: „Ich bin mit meinem Latein am Ende.“Möglich sei die Umsetzung wahrscheinlich im südlichen Teil, wenn vollständig auf Gasheizungen verzichtet würde, außerdem müsse die Gemeinde mit Kosten von mindestens 7000 Euro für ein Stickstoffgutachten rechnen. „Wir versuchen aber als Büro natürlich das Gesamtgebiet zu retten“, sagte Rieger.
Er rate der Gemeinde dazu, einen weiteren Behördentermin zu vereinbaren und „auch auf politischer Ebene mit den Säbeln zu rasseln“. Die Gemeinde brauche die Gewissheit, welche Gutachten nötig seien und unter welchen Bedingungen das Gebiet generell noch umgesetzt werden könnte. Geklärt werden müssten auch die Fragen rund um den Flächennutzungsplan sowie um die Erschließungsbeiträge, falls nur der nördliche Teil gebaut würde.
Andreas Rodich, Stellvertretender Amtsleiter bei der Untere Naturschutzbehörden, hat indes bereits signalisiert, dass seine Behörde jederzeit zu Gesprächen bereit sei. Dass die Gemeinde die Stellungnahmen der Naturschutzbehörden jedoch einfach übergehe, davor warnt er: „Das ist keiner Gemeinde zu empfehlen. Es macht den Bebauungsplan angreifbar, egal von welcher Seite.“Würde der Plan nachträglich von einem Gericht gekippt, käme dies einer „Katastrophe“gleich.
Zugleich aber hat Rodich auch die Kritik an den strengen Umweltvorlagen zurückgewiesen: „Uns wird gerne unterstellt, wir wollen die Entwicklung verhindern. Aber es ist nun Mal unsere Aufgabe, auf Auswirkungen für Flora und Fauna hinzuweisen.“Der Artikel 13 b sei zudem ausdrücklich nicht das Normalverfahren. Ob der südliche Teil des Gebiets tatsächlich jemals bebaut werden kann, sei unklar. Dazu seien wohl Ausgleichsmaßnahmen nötig. Zunächst aber müssten weitere Untersuchungen folgen. Um am Ende gehe es dann wahrscheinlich auch nicht mehr nur um das Grüne Besenmoos. Schließlich müssten dann auch Fledermäuse kartiert und die potenziellen Wanderkorridore für Amphibien untersucht werden.
Naturschutz oder bauliche Entwicklung? Was Menschen aus der Region dazu sagen, sehen Sie im Video unter www.schwäbische.de/ umfrage-natur