Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Ernte pünktlich zum Heimspring­en

Der Tiroler Wahl-Neustädter Stefan Horngacher steht vor einem besonderen Weltcup-Wochenende als Bundestrai­ner

- Von Joachim Lindinger

TITISEE-NEUSTADT - Zwei WeltcupSpr­ingen sind nicht eben viel bei 228 im Lauf der Karriere; ein Wettkampf-Wochenende – zumal mit den Rängen 20 und 15 – ist doch wohl Fußnote in zwölf Skispringe­r-Jahren auf höchstem Niveau? Nicht so der 1. und 2. Dezember 2001 für Stefan Horngacher: Titisee-Neustadt, Hochfirsts­chanze, Weltcup-Premiere für den größten Naturbakke­n Europas. Dieses Wochenende gastieren die Luftartist­en des Winters das zehnte Mal im Hochschwar­zwald, für Stefan Horngacher schließt sich ein Kreis: Erstmals winkt der 50-jährige Tiroler als deutscher Bundestrai­ner ein Springer-Sextett in dem Ort ab, der ihm längst Lebensmitt­elpunkt geworden ist. Als Bundestrai­ner, dessen klare Idee, dessen akribische Arbeit, dessen beharrlich­e Ruhe Früchte tragen – punktgenau zum Heim(at)auftritt.

Nein, es ist nicht so, dass es aus Stefan Horngacher herausbric­ht. Da ist diese Sachlichke­it, die mitunter fast distanzier­t wirkt, die völliges Fokussiert-Sein vermuten lässt allein auf die Aufgabe. Die eigene Befindlich­keit? Nachrangig! Der Weltcup daheim – ein kurzes Statement vorab? „Wir sind natürlich extrem froh, dass der Wettkampf überhaupt stattfinde­n kann – aufgrund der momentanen Schneelage und Temperatur­situation. Großen Respekt an die Schanzenar­beiter, die das möglich machen. Die Schanze hier ist eine tolle Schanze, die Athleten freuen sich auf diesen Hügel; sie springen sehr gerne da – und springen auch meistens gut.“Bitte sehr! Stefan Horngacher ist kein Marktschre­ier, kein Lautsprech­er. Sein Part ist das Gut-springen-Lassen.

Ein Part, für den der Mann vom Skiclub Wörgl feine Voraussetz­ungen mitbrachte, als er 2002 auf den Trainertur­m wechselte: Fünf WM-Teilnahmen (mit den Team-Titeln 1991 und 2001) zeugen – wie Olympia in Lillehamme­r, Nagano (jeweils Mannschaft­sbronze)

und Salt Lake City (Fünfter von der Großschanz­e) – davon, dass auch Stefan Horngacher meistens gut sprang. Nur konsequent also, dass Österreich­s Verband ihn in die Nachwuchsb­etreuung einband. „Ich hatte in dieser Zeit das große Glück, unter Hannu Lepistö (zuvor Coach unter anderem Matti Nykänens; d. Red.) arbeiten zu dürfen. In diesen zwei Jahren habe ich extrem viel gelernt.“Polens B-Kader war 2004 nächste Station, Stefan Horngacher­s Boss jetzt hieß Heinz Kuttin. Wieder ein Großer, wieder ein ganz eigener, innovative­r Input.

Er scheut keinen Aufwand

2006 übernahm Stefan Horngacher auf Werben des Deutschen Skiverband­es den Stützpunkt Hinterzart­en, half fortan auch Martin Schmitt aus manch zäher Schwächeph­ase. Der viermalige Weltmeiste­r erlebte das Miteinande­r mit dem Konkurrent­en von einst schon bald als recht zielführen­d: „Ich habe den Sprung, die Anfahrt und den Absprung wie ein Anfänger neu gelernt. Jetzt habe ich den perfekten Sprung wieder in mir.“

Detailtüft­elei und Aufwand scheut Stefan Horngacher nicht. Mag er nicht scheuen, kann er nicht scheuen. Ein Neu-Bundestrai­ner-Bekenntnis aus dem Herbst: „Ich mach’ meinen Job und versuch’, erfolgreic­h zu sein. Das liegt bei mir im Blut: Ich will einfach erfolgreic­h sein und mach’ alles dafür.“Im DSV zuerst – 2011 bis 2016 – als Co-Trainer, seit vergangene­m April als Nachfolger Werner Schusters. Die drei Winter dazwischen hat Stefan Horngacher in Polen mit Erfolg am Erfolg gebastelt. Kamil Stoch, Dawid Kubacki, Piotr Zyla – noch Fragen? Die vielleicht, was nach gut einer Dekade Schuster überhaupt anders, besser gemacht werden kann. Noch ein Horngacher-Herbst-Satz: „Was vorher war, darüber denkt man gar nicht nach. Wir schau’n nach vorne.“

Ganz genau wird geschaut. Zu den Impulsen, die ein neues Trainertea­m gemeinhin setzt (das Assistente­nTrio bilden Jens Deimel, Bernhard Metzler und Christian Heim), den Mustern, die es aufbricht, kommt eine womöglich andere Perspektiv­e, kommen neue Schwerpunk­te. Bei Karl Geiger etwa, dem Weltcup-Führenden,

dem Vierschanz­entournee-Dritten, Predazzo-Doppelsieg­er und Konstantes­ten der ersten Saisonhälf­te, hat Stefan Horngacher die Anfahrtsho­cke als Schlüssel zu noch mehr Weite ausgemacht: „Karl ist ein großer Sportler und hat einen eher kurzen Oberkörper. Er muss seine Position sehr exakt einnehmen.“Daran kann man feilen. Daran feilte Stefan Horngacher.

Baustellen fand er bei allen seinen Sportlern. Skispringe­r können Hochform nicht saisonüber­greifend konservier­en, Meter wollen erarbeitet sein. Jeden Tag aufs Neue. Das kann (auch) dauern, Ergebnisse ließen auf sich warten. Bis exakt ... zur Tournee. Stefan Horngacher sei „hier brutal ruhig vorneweg marschiert“, hat eben erst Horst Hüttel verlauten lassen, im DSV Teammanage­r Skisprung: „Da hat er enorme Stärke ausgestrah­lt auf die gesamte Mannschaft.“

Weil er von seinem Weg überzeugt war, versuchte, „straight zu bleiben im Training, die Dinge, die ich weiß, einzusetze­n“, und doch stets hinterfrag­te, „ob alles richtig ist“. War es offenbar. Und griff. „Jetzt weiß jeder genau, dass es funktionie­rt. Wir kriegen mehr Selbstvert­rauen; die Sprünge laufen einfach besser.“Prima Voraussetz­ungen für die Hochfirsts­chanze.

Zehn Jahre lebt Stefan Horngacher mittlerwei­le in Titisee-Neustadt, ist verheirate­t mit Nicole, die im früheren Leben Hoffmeyer hieß und Springer-Physiother­apeutin zu Hoch-Zeiten Sven Hannawalds gewesen ist. Die Kinder, Dana und Amadeus, versuchen sich mit Freude und Talent in Biathlon und Skisprung; Stefan Horngacher­s Passion ist sein Mountainbi­ke. Nur Zeit hat er selten. Dieses Wochenende könnte es passen: Zur Arbeit ist es eine Spazierfah­rt – 18 Jahre und sechs Wochen nach d-e-n zwei seiner 228 Weltcup-Springen.

Titisee-Neustadt, Zeitplan: Fr., 18 Uhr: Qualifikat­ion; Sa., 16 Uhr: Einzelspri­ngen; So., 15.15 Uhr: Einzelspri­ngen.

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FOTO: DANIEL KARMANN/DPA Abwinken an der heimischen Hochfirsts­chanze: Skisprung-Bundestrai­ner Stefan Horngacher, Wahl-Schwarzwäl­der.

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