Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Die Leiden der Koalas
Verheerende Brände, gefährliche Krankheiten und immer knapper werdender Lebensraum könnten sogar zur Ausrottung führen
Die Bilder des kurzen Films, den man sich im Internet anschauen kann, sind herzzerreißend. Sichtlich verstört irrt ein Koala auf einer verqualmten Straße herum und tappt schließlich mitten ins brennende Unterholz. Sein Schicksal scheint schon besiegelt zu sein, als er von einer seiner menschlichen Nachbarinnen gerettet wird. Als Erste Hilfe gibt es ein paar Schlucke Wasser gegen den quälenden Durst und einige weitere Spritzer zur Abkühlung ins Fell. Doch die Schreie des verängstigten und offenbar auch verletzten Tieres verraten, dass es damit wohl nicht getan sein wird.
Die verheerenden Waldbrände, die in Australien nun schon seit Wochen wüten, haben auch eine der Ikonen der dortigen Tierwelt in Mitleidenschaft gezogen. Denn Koalas sind für solche Katastrophen schlecht gerüstet. Als eher gemütliche Baumbewohner stehen sie den Flammen weitgehend hilflos gegenüber. Auf flinken Pfoten wegzurennen, ist nicht ihre Sache. Und ihre alte Strategie, sich bei Gefahr einfach in die Kronen zurückzuziehen und abzuwarten, hilft in einem solchen Inferno nicht weiter.
Große Waldbrände hat es in ihrer Heimat zwar auch früher schon gegeben. In letzter Zeit aber scheinen diese Ereignisse häufiger und zerstörerischer zu werden. Die Flammen brennen heißer, erreichen auch noch die höchsten Wipfel. Und ihre Saison beginnt immer früher. Nach einer ungewöhnlich langen Dürre wüteten sie 2019 schon im Oktober, mitten im Süd-Frühling. Mittlerweile hat sich die Lage zu einer riesigen Katastrophe verschärft. Und niemand weiß, was in den kommenden Wochen noch auf Menschen, Tiere und Wälder zukommt.
Die Koalas jedenfalls haben nach Einschätzung von Experten jetzt schon einen hohen Preis bezahlt. In der Region um den Lake Innes südlich von Port Macquarie sind nach einem Blitzschlag zum Beispiel schon Ende Oktober 3000 Hektar naturnahes Buschland in Flammen aufgegangen. „Dieses Feuer hat zu einigen schrecklichen menschlichen Tragödien geführt“, berichtet Bob Sharpham vom Koala Hospital in Port Macquarie. „Außerdem hatte es unserer Einschätzung nach auch katastrophale Auswirkungen auf die Tierwelt und besonders auf die Koalas.“Immerhin galten zwei Drittel der verbrannten Flächen als besonders wertvolles Koala-Refugium. „Die dortige Population ist von nationaler Bedeutung“, betont Bob Sharpham.
Wie sehr sie unter dem Feuer gelitten hat, kann bisher allerdings niemand genau beurteilen. Die Mitarbeiter des Hospitals gehen davon aus, dass wohl mindestens 350 Koalas direkt ums Leben gekommen sind. Und wie stark der Lebensraum dauerhaft geschädigt ist, bleibt abzuwarten. Die verschiedenen Arten von Eukalyptusbäumen, die den Tieren Nahrung und Unterschlupf bieten, sind zwar an Feuer angepasst und können nach einem Brand durchaus wieder ausschlagen. Wie viele davon aber die besonders heißen Flammen der jüngsten Katastrophe überstanden haben, muss sich erst noch zeigen.
Ähnlich sieht es auch in anderen Regionen aus. Die australische Umweltministerin Sussan Ley schätzt, dass an der mittleren Nordküste des Bundesstaates New South Wales insgesamt bis zu dreißig Prozent der Koalas umgekommen sein könnten. Genaueres könne man aber erst nach dem Abklingen der Brände sagen, wenn detailliertere Untersuchungen möglich seien.
Dabei waren Australiens pelzige Sympathieträger schon vor diesen Bränden in Bedrängnis gewesen. Die Organisation „Australian Koala Foundation“(AKF) machte bereits im Mai mit der Behauptung Schlagzeilen, die grauen Baumbewohner mit den flauschigen Ohren seien in der gesamten australischen Landschaft „funktionell ausgestorben“. Gemeint ist damit, dass sich die Bestände wohl nicht mehr erholen können.
Andere Koala-Fachleute bezweifelten das allerdings. Für einige Regionen stimme diese pessimistische Einschätzung zwar, aber sicher nicht für alle, so der Tenor. Manchen Populationen sei es vor den jüngsten Bränden sogar recht gut gegangen, und bei anderen wisse man es einfach nicht.
Denn von fundierten Daten über die Größe und Entwicklung jedes einzelnen Bestandes können Wissenschaftler bisher nur träumen. „Koalas zu zählen, ist extrem schwierig“, sagt Alex Greenwood vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin. „Schließlich verbringen sie viel Zeit hoch oben in Eukalyptus-Bäumen und das oft auch noch in entlegenen Regionen.“
Die klassische Zählmethode besteht darin, im Dunkeln nach den überwiegend nachtaktiven Tieren zu fahnden. Gezielt läuft man dazu eine feste Strecke entlang und leuchtet unterwegs jeden einzelnen Baum aus verschiedenen Winkeln ab. Das ist allerdings aufwendig und teuer. Mehr als ein paar Stichproben in kleineren Gebieten sind da bei den meisten Studien nicht drin. Darüber hinaus gibt es Bürgerforschungsprojekte, zu denen alle Interessierten ihre Koala-Beobachtungen beisteuern können. Und auch mithilfe von Drohnen, Wärmebildkameras und Mikrofonen zum Belauschen der Koala-Rufe haben Forscher schon einige Daten zusammengetragen. Für einen Überblick über den gesamten Bestand aber reicht das nicht. „Bisher weiß niemand, wie viele Koalas es genau gibt“, sagt Alex Greenwood. „Die Schätzungen gehen da weit auseinander.“
Die Koala-Schützer von der AKF nehmen beispielsweise an, dass vor den jüngsten Feuern in ganz Australien höchstens noch 80 000 dieser Beuteltiere lebten. Eine Studie, die Christine Adams-Hosking von der University of Queensland und ihre Kollegen im Jahr 2016 veröffentlicht haben, kam dagegen auf eine deutlich höhere Zahl von rund 329 000
Tieren. Auch diesen Forschern machte allerdings schon damals der rückläufige Trend Sorgen: So hat Australien ihren Schätzungen zufolge innerhalb von drei Generationen fast ein Viertel seiner Koalas verloren, im Bundesstaat Queensland sogar mehr als die Hälfte.
Es steht also nicht gut um Australiens populären Eukalyptusfresser. Trotz aller Unsicherheiten über die genauen Bestandszahlen sind sich Wissenschaftler und Naturschützer in diesem Punkt einig. Die verheerenden Feuer sind dabei nur eine von zahlreichen Schwierigkeiten, mit denen die Art seit Jahren zu kämpfen hat.
So verstärkt der Klimawandel nicht nur die Brandgefahr, sondern auch die Dürren, die den für Koalas lebenswichtigen Eukalyptusbäumen zu schaffen machen. Und auch die extremen Hitzewellen, die den Kontinent im Sommer immer häufiger heimsuchen, verkraften die Tiere nicht gut. Zahlreiche weitere Koalas kommen durch Verkehrsunfälle oder Attacken durch Hunde und andere Feinde ums Leben.
„Zusätzlich ist die Art auch noch durch verschiedene Gesundheitsprobleme bedroht“, sagt Alex Greenwood, der am IZW in Berlin die Abteilung für Wildtierkrankheiten leitet. Das Koala-Retrovirus zum Beispiel kann Krebs auslösen. Sehr viele Tiere sind zudem mit Chlamydien infiziert – sexuell übertragbaren Bakterien, die zu Blindheit, schweren Blasenentzündungen, Unfruchtbarkeit und sogar zum Tod führen können. „Die beiden Erreger könnten sogar zusammenwirken, um die Gesundheit der Tiere zu schädigen“, befürchtet Alex Greenwood.
Die größten Sorgen aber machen sich Koala-Schützer über den Schwund der Eukalyptuswälder, die bis heute oft Siedlungen und Farmland weichen müssen. Wenn man dagegen nichts unternehme, könnten die populären Beuteltiere im Jahr 2050 tatsächlich ausgestorben sein, warnt die Naturschutzorganisation WWF Australien. Die Regierung von Queensland hat angesichts der Feuer bereits reagiert. Anfang Dezember gab sie bekannt, dass mehr als 570 000 Hektar Koala-Refugien im Südosten des Bundesstaates besser geschützt werden sollen. Das australische Umweltministerium hat zudem je drei Millionen Dollar zur Verfügung gestellt, um Pflegestationen und Lebensräume für Koalas zu fördern. Am Montag, 13. Januar, kündigte sie zudem ein vorerst 50 Millionen Dollar schweres Maßnahmenpaket an, das auch die Brandfolgen für andere Tiere lindern soll.
Das Video des geretteten Koalas finden Sie unter www.schwaebische.de/koala