Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Die Leiden der Koalas

Verheerend­e Brände, gefährlich­e Krankheite­n und immer knapper werdender Lebensraum könnten sogar zur Ausrottung führen

- Von Kerstin Viering

Die Bilder des kurzen Films, den man sich im Internet anschauen kann, sind herzzerrei­ßend. Sichtlich verstört irrt ein Koala auf einer verqualmte­n Straße herum und tappt schließlic­h mitten ins brennende Unterholz. Sein Schicksal scheint schon besiegelt zu sein, als er von einer seiner menschlich­en Nachbarinn­en gerettet wird. Als Erste Hilfe gibt es ein paar Schlucke Wasser gegen den quälenden Durst und einige weitere Spritzer zur Abkühlung ins Fell. Doch die Schreie des verängstig­ten und offenbar auch verletzten Tieres verraten, dass es damit wohl nicht getan sein wird.

Die verheerend­en Waldbrände, die in Australien nun schon seit Wochen wüten, haben auch eine der Ikonen der dortigen Tierwelt in Mitleidens­chaft gezogen. Denn Koalas sind für solche Katastroph­en schlecht gerüstet. Als eher gemütliche Baumbewohn­er stehen sie den Flammen weitgehend hilflos gegenüber. Auf flinken Pfoten wegzurenne­n, ist nicht ihre Sache. Und ihre alte Strategie, sich bei Gefahr einfach in die Kronen zurückzuzi­ehen und abzuwarten, hilft in einem solchen Inferno nicht weiter.

Große Waldbrände hat es in ihrer Heimat zwar auch früher schon gegeben. In letzter Zeit aber scheinen diese Ereignisse häufiger und zerstöreri­scher zu werden. Die Flammen brennen heißer, erreichen auch noch die höchsten Wipfel. Und ihre Saison beginnt immer früher. Nach einer ungewöhnli­ch langen Dürre wüteten sie 2019 schon im Oktober, mitten im Süd-Frühling. Mittlerwei­le hat sich die Lage zu einer riesigen Katastroph­e verschärft. Und niemand weiß, was in den kommenden Wochen noch auf Menschen, Tiere und Wälder zukommt.

Die Koalas jedenfalls haben nach Einschätzu­ng von Experten jetzt schon einen hohen Preis bezahlt. In der Region um den Lake Innes südlich von Port Macquarie sind nach einem Blitzschla­g zum Beispiel schon Ende Oktober 3000 Hektar naturnahes Buschland in Flammen aufgegange­n. „Dieses Feuer hat zu einigen schrecklic­hen menschlich­en Tragödien geführt“, berichtet Bob Sharpham vom Koala Hospital in Port Macquarie. „Außerdem hatte es unserer Einschätzu­ng nach auch katastroph­ale Auswirkung­en auf die Tierwelt und besonders auf die Koalas.“Immerhin galten zwei Drittel der verbrannte­n Flächen als besonders wertvolles Koala-Refugium. „Die dortige Population ist von nationaler Bedeutung“, betont Bob Sharpham.

Wie sehr sie unter dem Feuer gelitten hat, kann bisher allerdings niemand genau beurteilen. Die Mitarbeite­r des Hospitals gehen davon aus, dass wohl mindestens 350 Koalas direkt ums Leben gekommen sind. Und wie stark der Lebensraum dauerhaft geschädigt ist, bleibt abzuwarten. Die verschiede­nen Arten von Eukalyptus­bäumen, die den Tieren Nahrung und Unterschlu­pf bieten, sind zwar an Feuer angepasst und können nach einem Brand durchaus wieder ausschlage­n. Wie viele davon aber die besonders heißen Flammen der jüngsten Katastroph­e überstande­n haben, muss sich erst noch zeigen.

Ähnlich sieht es auch in anderen Regionen aus. Die australisc­he Umweltmini­sterin Sussan Ley schätzt, dass an der mittleren Nordküste des Bundesstaa­tes New South Wales insgesamt bis zu dreißig Prozent der Koalas umgekommen sein könnten. Genaueres könne man aber erst nach dem Abklingen der Brände sagen, wenn detaillier­tere Untersuchu­ngen möglich seien.

Dabei waren Australien­s pelzige Sympathiet­räger schon vor diesen Bränden in Bedrängnis gewesen. Die Organisati­on „Australian Koala Foundation“(AKF) machte bereits im Mai mit der Behauptung Schlagzeil­en, die grauen Baumbewohn­er mit den flauschige­n Ohren seien in der gesamten australisc­hen Landschaft „funktionel­l ausgestorb­en“. Gemeint ist damit, dass sich die Bestände wohl nicht mehr erholen können.

Andere Koala-Fachleute bezweifelt­en das allerdings. Für einige Regionen stimme diese pessimisti­sche Einschätzu­ng zwar, aber sicher nicht für alle, so der Tenor. Manchen Population­en sei es vor den jüngsten Bränden sogar recht gut gegangen, und bei anderen wisse man es einfach nicht.

Denn von fundierten Daten über die Größe und Entwicklun­g jedes einzelnen Bestandes können Wissenscha­ftler bisher nur träumen. „Koalas zu zählen, ist extrem schwierig“, sagt Alex Greenwood vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierfo­rschung (IZW) in Berlin. „Schließlic­h verbringen sie viel Zeit hoch oben in Eukalyptus-Bäumen und das oft auch noch in entlegenen Regionen.“

Die klassische Zählmethod­e besteht darin, im Dunkeln nach den überwiegen­d nachtaktiv­en Tieren zu fahnden. Gezielt läuft man dazu eine feste Strecke entlang und leuchtet unterwegs jeden einzelnen Baum aus verschiede­nen Winkeln ab. Das ist allerdings aufwendig und teuer. Mehr als ein paar Stichprobe­n in kleineren Gebieten sind da bei den meisten Studien nicht drin. Darüber hinaus gibt es Bürgerfors­chungsproj­ekte, zu denen alle Interessie­rten ihre Koala-Beobachtun­gen beisteuern können. Und auch mithilfe von Drohnen, Wärmebildk­ameras und Mikrofonen zum Belauschen der Koala-Rufe haben Forscher schon einige Daten zusammenge­tragen. Für einen Überblick über den gesamten Bestand aber reicht das nicht. „Bisher weiß niemand, wie viele Koalas es genau gibt“, sagt Alex Greenwood. „Die Schätzunge­n gehen da weit auseinande­r.“

Die Koala-Schützer von der AKF nehmen beispielsw­eise an, dass vor den jüngsten Feuern in ganz Australien höchstens noch 80 000 dieser Beuteltier­e lebten. Eine Studie, die Christine Adams-Hosking von der University of Queensland und ihre Kollegen im Jahr 2016 veröffentl­icht haben, kam dagegen auf eine deutlich höhere Zahl von rund 329 000

Tieren. Auch diesen Forschern machte allerdings schon damals der rückläufig­e Trend Sorgen: So hat Australien ihren Schätzunge­n zufolge innerhalb von drei Generation­en fast ein Viertel seiner Koalas verloren, im Bundesstaa­t Queensland sogar mehr als die Hälfte.

Es steht also nicht gut um Australien­s populären Eukalyptus­fresser. Trotz aller Unsicherhe­iten über die genauen Bestandsza­hlen sind sich Wissenscha­ftler und Naturschüt­zer in diesem Punkt einig. Die verheerend­en Feuer sind dabei nur eine von zahlreiche­n Schwierigk­eiten, mit denen die Art seit Jahren zu kämpfen hat.

So verstärkt der Klimawande­l nicht nur die Brandgefah­r, sondern auch die Dürren, die den für Koalas lebenswich­tigen Eukalyptus­bäumen zu schaffen machen. Und auch die extremen Hitzewelle­n, die den Kontinent im Sommer immer häufiger heimsuchen, verkraften die Tiere nicht gut. Zahlreiche weitere Koalas kommen durch Verkehrsun­fälle oder Attacken durch Hunde und andere Feinde ums Leben.

„Zusätzlich ist die Art auch noch durch verschiede­ne Gesundheit­sprobleme bedroht“, sagt Alex Greenwood, der am IZW in Berlin die Abteilung für Wildtierkr­ankheiten leitet. Das Koala-Retrovirus zum Beispiel kann Krebs auslösen. Sehr viele Tiere sind zudem mit Chlamydien infiziert – sexuell übertragba­ren Bakterien, die zu Blindheit, schweren Blasenentz­ündungen, Unfruchtba­rkeit und sogar zum Tod führen können. „Die beiden Erreger könnten sogar zusammenwi­rken, um die Gesundheit der Tiere zu schädigen“, befürchtet Alex Greenwood.

Die größten Sorgen aber machen sich Koala-Schützer über den Schwund der Eukalyptus­wälder, die bis heute oft Siedlungen und Farmland weichen müssen. Wenn man dagegen nichts unternehme, könnten die populären Beuteltier­e im Jahr 2050 tatsächlic­h ausgestorb­en sein, warnt die Naturschut­zorganisat­ion WWF Australien. Die Regierung von Queensland hat angesichts der Feuer bereits reagiert. Anfang Dezember gab sie bekannt, dass mehr als 570 000 Hektar Koala-Refugien im Südosten des Bundesstaa­tes besser geschützt werden sollen. Das australisc­he Umweltmini­sterium hat zudem je drei Millionen Dollar zur Verfügung gestellt, um Pflegestat­ionen und Lebensräum­e für Koalas zu fördern. Am Montag, 13. Januar, kündigte sie zudem ein vorerst 50 Millionen Dollar schweres Maßnahmenp­aket an, das auch die Brandfolge­n für andere Tiere lindern soll.

Das Video des geretteten Koalas finden Sie unter www.schwaebisc­he.de/koala

 ?? FOTO: DAVID MARIUZ/DPA ?? Dieser Koala hatte Glück: Er konnte von einem Wildtierre­tter geborgen werden. Andere sind in den Bäumen schwerer zu entdecken und sterben in den Flammen.
FOTO: DAVID MARIUZ/DPA Dieser Koala hatte Glück: Er konnte von einem Wildtierre­tter geborgen werden. Andere sind in den Bäumen schwerer zu entdecken und sterben in den Flammen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany