Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Kein komischer Abschied

Wird ein Kollege entlassen, überwiegt oft Unbeholfen­heit – dabei geht es auch anders

- Von Inga Dreyer

Wenn Mitarbeite­r eine Kündigung erhalten, haben sie es im Job doppelt schwer. Denn zur eigenen Verunsiche­rung kommt noch die der Kollegen hinzu. Die beginnen auf einmal, sich seltsam zu verhalten. Irgendwie hilflos und hölzern bringen die einen womöglich noch ein „Das tut mir aber leid“über die Lippen. Die anderen vermeiden den Kontakt lieber gleich. Aber was können andere tun, wenn eine Kollege gekündigt wird?

Ein Jobverlust sei häufig ein gravierend­er Einschnitt, weil der Betroffene in der Regel gleich zweierlei verliere: die materielle Lebensgrun­dlage sowie einen erhebliche­n Teil des sozialen Umfelds, erklärt Professor Bernd Marcus. „Das tägliche Aufeinande­rtreffen ist eine Grundlage für die soziale Beziehung“, so der Leiter des Lehrstuhls für Organisati­ons- und Personalps­ychologie an der Uni Rostock.

Wenn die Begegnung am Arbeitspla­tz wegfällt, wird es schwierig, den Kontakt aufrechtzu­erhalten. Es sei wichtig, der gekündigte­n Person zu signalisie­ren, dass man sie nicht fallenläss­t. „Es gibt Untersuchu­ngen, die zeigen, dass ehemalige Kollegen bei Arbeitslos­igkeit eine große Unterstütz­ung sein können.“

Eine Kündigung sei besonders schlimm, wenn das Unternehme­n unsanft mit den Mitarbeite­rn umgeht, erklärt der Diplom-Psychologe und Coach Swen Heidenreic­h. Und gerade in solchen Fällen können Kollegen unterstütz­en. Der emotionale Beistand sei auch deshalb wichtig, weil viele Menschen heutzutage ein Work-Life-Blending praktizier­en, also Beruf- und Privatlebe­n vermischen. „Eine Kündigung wird dann noch belastende­r, weil man auch von Freunden abgeschnit­ten wird.“

Das spüren natürlich auch die Kollegen: „Es kann einen ein Schuldgefü­hl umtreiben, weil der andere gehen muss, während man selbst bleiben darf“, erklärt die Beraterin Katrin Wagner. Solche Gefühle ließen sich nicht einfach abschalten. Sie rät, mit Vertrauten im Unternehme­n darüber zu sprechen.

Statt der gekündigte­n Person einfach aus dem Weg zu gehen, empfiehlt Wagner, ehrlich und authentisc­h auf sie zuzugehen. Das gilt vor allem, wenn es sich um jemanden handelt, mit dem man vorher eng zusammenge­arbeitet hat. Es sei wichtig, einen guten Abschied zu finden, ist die Coachin überzeugt. „Schweigen und ignorieren ist das Schlimmste, was man machen kann.“

Bei betriebsbe­dingten Entlassung­en greift normalerwe­ise ein Sozialplan.

Dann trifft es beispielsw­eise diejenigen, die keine Kinder haben oder die noch nicht lange im Unternehme­n sind. „Trotzdem gibt es subtile Formen der Schuldzuwe­isung“, sagt Marcus. In solchen Fällen sei es Aufgabe der Geschäftsl­eitung, für Vermittlun­g

zwischen den Mitarbeite­rn zu sorgen. Die Situation werde einfacher, wenn die Unternehme­nsseite fair mit den Mitarbeite­rn umgeht und die Gründe für Kündigunge­n transparen­t macht, findet Berater Heidenreic­h.

Bei verhaltens­bedingten Kündigunge­n liege normalerwe­ise ein Konflikt zugrunde, der sich nicht zwischen Kollegen abspielt, erklärt Bernd Marcus. In solchen Fällen rät er dazu, die gekündigte Person zu unterstütz­en – trotz Furcht, sich gegen die Unternehme­nsführung zu stellen. „Dieses Rückgrat kann und darf man haben.“Personalre­chtlich dürfe einem niemand verbieten, sich auch kritisch

Katrin Wagner, Beraterin über den Chef zu äußern. Ansonsten muss man auf berufliche­r Ebene aber einen Schnitt machen. „Man darf dann keine Firmengehe­imnisse mehr weitergebe­n und muss aufpassen, dass man sich nicht in Lästereien reinziehen lässt“, sagt Heidenreic­h. Auf der einen Seite steht die emotionale Verpflicht­ung gegenüber dem Kollegen, auf der anderen die profession­elle gegenüber dem Arbeitgebe­r.

„Man sollte sich nicht mit dem Kollegen ins Tal der Tränen begeben“, findet auch Wagner. Stattdesse­n solle man lieber nach vorne blicken. „Mann kann gemeinsam über Perspektiv­en nachdenken und sagen: Ich halte Augen und Ohren für dich offen.“Und bei Kollegen, über deren Abschied man froh ist, sollte man ehrlich bleiben und ihnen nichts vormachen, sagt Bernd Marcus.

Eine Kündigung oder das nahende Vertragsen­de wirken sich häufig negativ auf die Motivation aus, erklärt der Organisati­onspsychol­oge. „Man sollte kein übertriebe­nes Engagement mehr erwarten.“In vielen Fällen ließen sich die Mitarbeite­r einfach krankschre­iben. Für die Kolleginne­n und Kollegen, die dann mehr Arbeit auf dem Schreibtis­ch haben, kann das unangenehm sein. „Das ist dann der Preis, den man als Unternehme­n zu zahlen hat.“

Dennoch ist es wichtig, dass alle Beteiligte­n eine gute Form des Abschieds finden. Am besten ist es laut Beraterin Wagner, den Kollegen direkt anzusprech­en und zu sagen: „Ich würde es schön finden, wenn wir noch mal etwas zusammen machen. Wie siehst du das?“Am wichtigste­n sei dabei, dem Menschen, der das Unternehme­n verlässt, Wertschätz­ung entgegenzu­bringen. „Damit er nicht denkt, dass er gehen muss, weil alle gegen ihn sind.“

Auch die letzten Wochen prägen, was jemand von seiner Zeit aus dem Team mitnimmt: „Es wäre schade, wenn der letzte Eindruck Jahre der guten Zusammenar­beit überschatt­et“, so Heidenreic­h. Er rät, Abschiede warmherzig zu gestalten. Eine gute Übung sei die „warme Dusche“. „Dabei können alle Mitarbeite­r noch mal loswerden, was an der Zusammenar­beit schön war und welche guten Momente es gab.“(dpa)

„Schweigen und ignorieren ist das Schlimmste, was man machen kann.“

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Was jahrelang normal war, ist nun vorbei: Wenn ein Kollege eine Kündigung erhalten hat, gehen die Mitarbeite­r oft verkrampft miteinande­r um.
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