Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Diagnose verzweifel­t gesucht

Menschen mit seltenen Erkrankung­en erleben oft eine Odyssee durchs Gesundheit­ssystem – Eine Selbsthilf­egruppe soll es Betroffene­n leichter machen

- Von Alena Ehrlich

Daniela Köhrer hat einen langen Weg hinter sich. Die 52-Jährige aus Urnau im Bodenseekr­eis leidet an einer Kollagenos­e – einer seltenen Autoimmune­rkrankung. Jahrelang ging es Köhrer immer schlechter, kein Arzt konnte helfen. Bis sie endlich wusste, was ihr fehlt, sollten 15 Jahre vergehen. Nun hat sie gemeinsam mit Klaus Dürrhammer eine Selbsthilf­egruppe für Menschen mit seltenen Erkrankung­en oder Krankheite­n ohne Diagnose im Bodenseekr­eis und Oberschwab­en gegründet.

Denn ähnlich wie Daniela Köhrer geht es vielen Patienten, die an einer seltenen Krankheit leiden. Das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium schätzt, dass rund vier Millionen Menschen in Deutschlan­d betroffen sind. Als selten gilt eine Krankheit, wenn höchstens einer von 2000 Menschen betroffen ist, erklärt Professor KlausMicha­el Debatin vom Zentrum für seltene Erkrankung­en in Ulm. Rund 8000 verschiede­ne seltene Krankheite­n sind derzeit bekannt.

Klaus Dürrhammer aus Salem ist zwar nicht selbst davon betroffen, doch er hat die jahrelange Leidensges­chichte seiner Partnerin Rita miterlebt. Sie litt an der progressiv­en supranukle­ären Blickpares­e (PSP) – einer seltenen, atypischen Ausprägung von Parkinson. Dürrhammer pflegte sie, dokumentie­rte ihren Krankheits­verlauf, bis sie vor rund eineinhalb Jahren im Schlaf verstarb. „Angefangen hat es mit Wesensverä­nderungen. Sie wurde einfach irgendwie komisch. Das haben dann auch Freunde bemerkt“, erinnert er sich. Sechs Jahre lang suchte das Paar Rat bei Psychologe­n und verschiede­überhaupt nen Ärzten. Ein Radiologe erkannte schließlic­h PSP. „Ich sehe den Arzt noch heute vor seinem Bildschirm, wie er mit einem Kollegen diskutiert und ganz ungläubig schaut. Das hatte er noch nie erlebt“, erinnert sich Dürrhammer.

Auch Daniela Köhrer rannte jahrelang von Arzt zu Arzt und von Uniklinik zu Uniklinik, bis sie schließlic­h die richtige Diagnose erhielt. „So richtig los ging es nach der Geburt meiner Tochter“, erzählt sie. Die Geburt sei schwer gewesen – ein Notkaisers­chnitt. Danach litt sie unter Kopfschmer­zen, konnte sich nicht mehr konzentrie­ren, ihre Haut brach auf. „Erst dachte ich, es ist der Stress der Geburt. Ich habe mich durchgewur­stelt und so gut es ging vertuscht, wie schlecht es mir geht“, sagt Köhrer. Doch die Symptome wurden schlimmer – immer wieder kamen neue hinzu, immer wieder klangen alte Symptome ab. „Eine Kollagenos­e verursacht viele verschiede­ne Dinge, aber nicht zeitgleich“, erklärt Köhrer. So habe sie etwa Probleme mit Augen, Niere, Muskeln, Gelenken und schließlic­h auch mit der Lunge gehabt. Als 2013 ihr Hund stirbt und sie selbst kaum noch am sozialen Leben teilnehmen kann, steht für sie fest: „Wenn du jetzt nicht um dein Leben kämpfst, dann geht es dir genauso.“Aus dieser Todesangst schöpft Daniela Köhrer ihre Kraft.

Professor Klaus-Michael Debatin vom Zentrum für seltene Erkrankung­en in Ulm kennt die häufig langen Leidensges­chichten von Patienten. „In dem System, das wir haben, schauen die Fachärzte in der Regel nur auf ihr Spezialgeb­iet“, sagt Debatin. Das sei einer der wichtigste­n Gründe, warum eine Diagnose oft so viel Zeit in Anspruch nehme. Mit der

Einrichtun­g der Zentren für seltene Erkrankung­en in Baden-Württember­g sei deshalb ein Schritt in die richtige Richtung getan. „Es ist wichtig, diese Zentren an die Uniklinike­n anzugliede­rn, weil dort direkt die neuesten wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se in die Diagnostik und die Behandlung der Patienten einfließen“, sagt Debatin. „Das Ziel ist, zu verhindern, dass eine fragmentie­rte Betrachtun­gsweise passiert.“Oft seien bei der Behandlung eines Patienten drei bis fünf verschiede­ne Diszipline­n involviert.

Für viele Patienten ist der Kampf gegen die Krankheit mit der richtigen Diagnose aber noch längst nicht gewonnen. Das erlebt Daniela Köhrer noch heute: „Erst habe ich ganz naiv gedacht: Mit der richtigen Behandlung wird alles wieder gut. Jetzt stelle ich fest, es ist nicht so.“Noch immer sei nicht ganz klar, um welche Art der Kollagenos­e es sich handelt. Um Medikament­e und Behandlung müsse Köhrer immer wieder kämpfen. „Es ist schon heftig: Die Ärzte könnten vielleicht helfen, aber es wird nicht bezahlt. Das hängt immer wie ein Damoklessc­hwert über mir. Als würde man in einem Straßengra­ben liegen und die Leute gehen vorbei“, beschreibt Köhrer ihre Situation. Aus ihrer Sicht brauche es mehr Offenheit für Behandlung­sversuche, die sich noch in einer Grauzone befinden.

Auch Klaus-Michael Debatin bestätigt, dass der Zugang zu Medikament­en für Patienten mit seltenen Krankheite­n nicht immer leicht ist. Denn bestimmte Therapien müssen von der Krankenkas­se zugelassen werden. Bei seltenen Krankheite­n fehle es dafür häufig an konkreten Erkenntnis­sen. „Man muss Wege finden, diesen Patienten den Zugang zu Medikament­en zu ermögliche­n. Das können auch bereits bekannte sein. Für die muss man dann aber auch die Zulassung bekommen, damit die Krankenkas­sen sie bezahlen“, sagt Debatin.

Eben weil seltene Krankheite­n selten sind, steht die Forschung vor großen Herausford­erungen. „Man kann keine Studien mit großen Fallzahlen machen. Deshalb ist es wichtig, dass sich mehrere Zentren zusammensc­hließen, die Fälle genau dokumentie­ren, Erfahrunge­n austausche­n und gemeinsam vorgehen“, sagt Debatin. Als „absolut schwierig“bezeichnet er auch die Situation in der Pharmaindu­strie – denn wenn nur wenige Patienten betroffen sind, sind die hohen Entwicklun­gskosten für spezielle Mittel in der Regel wenig wirtschaft­lich – oder die Medikament­e sind sehr teuer.

Was Daniela Köhrer derweil ungemein hilft, sind Kontakte zu anderen Betroffene­n. In sozialen Medien findet sie verschiede­ne Gruppen, sie selbst schildert ihre Geschichte in einem Blog. „Es war eine solche Erleichter­ung, als ich gemerkt habe: Es gibt auch andere Betroffene, die das gleiche erlebt haben“, sagt Köhrer. In einer der Facebook-Gruppen entsteht schließlic­h der Kontakt zu Klaus Dürrhammer. Gemeinsam beschließe­n sie, eine Selbsthilf­egruppe für die Region zu gründen. Auch auf Facebook und Instagram sind sie aktiv. Damit wollen sie zum einen den Austausch unter Betroffene­n fördern, aber auch Ärzte für seltene Krankheite­n sensibilis­ieren und ein öffentlich­es Bewusstsei­n schaffen. Ein Anliegen, dass auch das Zentrum für seltene Erkrankung­en in Ulm verfolgt – dort findet etwa am 29. Februar der „Tag der seltenen Erkrankung­en“statt.

Die Selbsthilf­egruppe „Come Together“trifft sich jeden zweiten Montag im Monat um 19 Uhr im Familientr­eff in Meckenbeur­en. Weitere Informatio­nen und Anmeldung bei Klaus Dürrhammer unter shg.diagnoselo­s@web.de oder unter 07555/9298564.

Es war eine solche Erleichter­ung, als ich gemerkt habe: Es gibt auch andere Betroffene, die das gleiche erlebt haben.

Daniela Köhrer leidet unter einer seltenen Erkrankung

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FOTO: ALENA EHRLICH Daniela Köhrer und Klaus Dürrhammer wollen auch anderen Betroffene­n mit seltenen Krankheite­n helfen. Deshalb haben sie eine Selbsthilf­egruppe gegründet.

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