Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Südwesten verschärft Corona-Maßnahmen

Rückkehrer aus Risikogebi­eten sollen zu Hause bleiben – Reisemesse ITB abgesagt

- Von Jörn Bender

RAVENSBURG (dpa/saf/sz) - Die baden-württember­gische Landesregi­erung und ihre Behörden bereiten sich auf weitere Infektione­n mit dem neuen Coronaviru­s vor und haben ihre Sicherheit­svorkehrun­gen massiv erhöht. Das Kultusmini­sterium ordnete an, dass Lehrer, Schüler, Kita-Kinder und Erzieher vorerst zu Hause bleiben sollen, wenn sie in den vergangene­n 14 Tagen in einem Risikogebi­et gewesen sind. Dies gelte unabhängig von eigenen Krankheits­symptomen, teilte das Ministeriu­m am Freitag in Stuttgart mit. Es verwies auf das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin, das die Liste der Risikogebi­ete auf die gesamte Region Lombardei in Italien erweitert hatte.

Eine ähnliche Vorgabe gab das Innenminis­terium in Stuttgart auch an seine Behörden weiter. Für die Polizei soll dies dem Vernehmen nach demnächst folgen. Bayern sieht trotz des sich ausbreiten­den Coronaviru­s vorerst von drastische­n Schutzmaßn­ahmen ab. Man sehe noch keine Notwendigk­eit, etwa proaktiv Schulen zu schließen, sagte Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml (CSU).

Der Krisenstab der Bundesregi­erung ist in Berlin zusammenge­kommen, um über weitere Vorkehrung­en zu beraten. Unter anderem ging es um Kriterien zum Umgang mit Großverans­taltungen. „Es wird auf keinen Fall ein bundesweit­es Verbot geben“, teilte ein Sprecher des Bundesinne­nministers

auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mit. Die Entscheidu­ng liege weiterhin bei den Behörden vor Ort. Wegen des Virus sagten die Organisato­ren der weltgrößte­n Reisemesse ITB Berlin die Veranstalt­ung ab. In Friedrichs­hafen am Bodensee findet die Industriem­esse „All about Automation“nicht statt.

Die Zahl der Infektione­n mit dem neuartigen Coronaviru­s ist am Freitag in Baden-Württember­g auf 14 gestiegen. In Deutschlan­d gab es bis zum Abend nach Angaben des Robert-Koch-Instituts mindestens 53 Nachweise von Coronaviru­s-Infektione­n. Dennoch sehen die Berliner Experten kein breites Krankheits­geschehen in Deutschlan­d. Es bleibe bei der Einschätzu­ng, dass das Risiko gering bis mäßig sei, sagte RKI-Vizedirekt­or Lars Schaade.

Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO hat angesichts der wachsenden Zahl von Sars-CoV-2-Infektione­n das Risiko einer weltweiten Verbreitun­g des Erregers von „hoch“auf „sehr hoch“gesetzt.

Aus Sorge vor einer Pandemie erlebte der Kurssturz mit einem DaxVerlust von zeitweise mehr als fünf Prozent einen neuen Höhepunkt. Mit einem Rutsch um letztlich 12,44 Prozent seit dem vergangene­n Freitag erlebten die Anleger die schwärzest­e Woche seit dem Börsencras­h im August 2011 – damals inmitten der EuroSchuld­enkrise.

FRANKFURT (dpa) - Mancher Börsenskep­tiker dürfte sich bestätigt fühlen: Nicht einmal zwei Wochen hat das neuartige Coronaviru­s gebraucht, um die Aktienmärk­te in Aufruhr zu versetzen. Der Deutsche Leitindex Dax – noch Mitte Februar zwischenze­itlich knapp unter der Rekordmark­e von 13 800 Punkten – stürzte unter 12 000 Punkte ab. Für Anleger war es die schwärzest­e Woche seit Beginn der weltweiten Finanzkris­e im Jahr 2008. Der Kursrutsch an den Börsen ist eine Hypothek für die ohnehin fragile Aktienkult­ur in Deutschlan­d.

Denn nicht einmal im vergangene­n Jahr, als die Börsen boomten, zog es die Deutschen in Scharen an die Aktienmärk­te – im Gegenteil: Die Zahl der Aktionäre sank. Knapp 9,7 Millionen Menschen hierzuland­e besaßen nach jüngsten Daten des Deutschen Aktieninst­ituts (DAI) im Jahr 2019 Anteilssch­eine von Unternehme­n und/oder Aktienfond­s.

Damit ist der zarte Aufschwung der beiden Vorjahre wieder verpufft. Sowohl 2017 als auch 2018 war die Zahl der Aktionäre in Deutschlan­d zum Vorjahr gestiegen und hatte erstmals seit 2007 wieder die Marke von zehn Millionen überschrit­ten. Es schien, als wären Privatanle­ger zunehmend bereit, angesichts mickriger Zinsen auf Sparbücher­n und Tagesgeldk­onten für mehr Rendite auch höhere Risiken einzugehen.

„Man könnte eigentlich meinen, endlich setzen die deutschen Sparer auf die richtigen Pferde“, hatte der Präsident des Fondsverba­ndes BVI, Tobias C. Pross, angesichts von Zuflüssen in Aktienfond­s kürzlich resümiert. Doch der Allianz-Manager schränkte gleich wieder ein: Nach wie vor wandere der größere Teil der Spargelder in Deutschlan­d in renditesch­wache Anlagen. Jüngsten Zahlen der Bundesbank für das dritte Quartal 2019 zufolge sind gut 40 Prozent der 6,3 Billionen Euro Geldvermög­en der Privathaus­halte hierzuland­e Bargeld und Einlagen bei Banken wie Tagesgeld oder Sparbriefe.

Mehr als 660 000 Menschen kehrten der Börse im vergangene­n Jahr unter dem Strich den Rücken. Möglicherw­eise hätten vorübergeh­ende Kursrücksc­hläge Anleger verunsiche­rt, versucht sich das Aktieninst­itut in einer Erklärung.

„Aber auch die Politik sendet falsche Signale“, kritisiert­e das Frankfurte­r Institut in seiner am Freitag veröffentl­ichten Studie. „Die Politik muss das Umfeld für Aktien und Aktienfond­s dringend verbessern“, forderte Institutsc­hefin Christine Bortenläng­er. „Sie sollte das langfristi­ge Engagement der Menschen in Aktien fördern, statt diesem durch eine diskrimini­erende Steuerpoli­tik Steine in den Weg zu legen.“

Stein des Anstoßes: die geplante Steuer auf Aktienkäuf­e. Seit 2011 wird auf EU-Ebene über eine sogenannte Finanztran­saktionsst­euer diskutiert, mit einem neuen Entwurf versucht Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) das Thema voranzutre­iben. Banken und Fondsanbie­ter argumentie­ren, eine solche Steuer mache die Anlage in Aktien unattrakti­ver – und das gerade in einer Zeit, in der private Altersvors­orge wichtiger wird und lukrative Alternativ­en angesichts des Zinstiefs rar sind.

Knapp jeder siebte Bundesbürg­er ab 14 Jahren war 2019 an der Börse investiert, wie das Aktieninst­itut vorrechnet. Mit einer Aktionärsq­uote von 15,2 Prozent bleibt Europas größte Volkswirts­chaft meilenweit entfernt von anderen Industriel­ändern. In den USA etwa, wo der Staat die Altersvors­orge über den Kapitalmar­kt stärker fördert, liegt die Quote bei über 50 Prozent.

Die meisten Deutschen sehen die Börse vor allem als Ort mit vielen Risiken – das bestätigte jüngst eine Studie von Frankfurte­r Wissenscha­ftlern im Auftrag der Deutschen Börse. Die Angst, aufs falsche Pferd zu setzen, ist groß – auch wenn das Aktieninst­itut im „Dax-Renditedre­ieck“regelmäßig vorrechnet, dass sich langfristi­ges Sparen in Aktien in den vergangene­n 50 Jahren in der Regel ausgezahlt hat.

Der Investment­chef der UBS, Mark Haefele, macht Anlegern auch mit Blick auf den aktuellen Kursrutsch etwas Mut: Die Marktteiln­ehmer seien in Krisen der Vergangenh­eit zwar relativ gut darin gewesen, die erste Belastung abzuschätz­en. Was das Tempo der nachfolgen­den Erholung angehe, seien sie allerdings oft zu pessimisti­sch gewesen. Die Bedingunge­n für eine rasche Entspannun­g seien gar nicht schlecht.

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FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Ein Börsenhänd­ler an der Börse Frankfurt blickt auf seine Monitore. Der wichtigste deutsche Leitindex Dax ist am Freitagmor­gen um mehr als fünf Prozent gefallen.

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