Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Die verflixte 29
Der zusätzliche Tag im Februar ist für Weltrekorde verantwortlich und nimmt Einfluss auf das Wirtschaftswachstum – Wie das Schaltjahr Ordnung schafft und gleichzeitig Verwirrung stiften kann
Eigentlich wollte Sabine Mielkes Mutter noch zum Rosenmontagsumzug. Doch dann setzen plötzlich die Wehen ein – zwei Wochen vor dem eigentlichen Termin. Das Kind kommt so schnell auf die Welt, dass es nicht mal mehr ins Krankenhaus reicht. Sabine Mielke wird zu Hause geboren – ausgerechnet am 29. Februar. Ein Geburtstermin, der bis heute Auswirkungen hat. Denn wenn Sabine Mielke aus Wehingen im Kreis Tuttlingen an diesem Samstag ihren 60. Geburtstag feiert, werden auf ihrer Geburtstagstorte nur 15 Kerzen brennen. Das Datum, an dem sie das Licht der Welt erblickte, gibt es nur alle vier Jahre. Sie ist ein Schaltjahrkind. Doch der 29. Februar beeinflusst nicht nur die Anzahl von Geburtstagskerzen, sondern brachte bereits Weltrekorde hervor und beeinflusst das Wirtschaftswachstum.
Es ist ein Geburtsdatum, das von Anfang an Fragen aufwirft: An welchem Tag feiert man eigentlich seinen Geburtstag in Nicht-Schaltjahren? Wie zählt man seine Lebensjahre oder wann wird das Kind überhaupt volljährig? Im Alltag kann das zu Verwirrung führen. Da wäre zum Beispiel Sabine Mielkes 40. Geburtstag – den 29. Februar gab es da seit ihrer Geburt erst zehnmal. Zur Feier des Tages schaltete ihr Mann in der Tageszeitung eine Anzeige mit dem Text „Für meine Frau zum 10. Geburtstag“. Das sorgte derart für Verwirrung, dass kurze Zeit später jemand aus der Anzeigenabteilung anrief, um zu fragen, ob der Text wirklich so seine Richtigkeit habe. Mielkes letzter runder Geburtstag, der 50., fiel auf kein Schaltjahr. Den 29. Februar gab es nicht. Nehmen lassen wollte sie sich das Fest allerdings nicht. „Wir haben das dann anteilig berechnet“, sagt sie. Die Feier begann am 28. Februar um 18 Uhr, sodass die Feier genau in den Stunden zwischen dem 28. Februar und dem 1. März stattfinden konnte. „Man ist schon etwas Besonderes, wenn man an so einem Tag Geburtstag hat“, sagt sie.
Allein ist Mielke mit ihrem Schicksal nicht. Allein in BadenWürttemberg leben nach Angaben des Statistischen Landesamts aktuell 7000 Menschen, die am 29. Februar Geburtstag haben. Auch Promis sind betroffen: Die beiden Schriftsteller Martin Suter und Benedict Wells, Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez sowie Fußballer Benedikt Höwedes und das Model Lena Gercke. Sie alle können ihren Geburtstag nicht jedes Jahr zu dem Datum feiern, das auch in ihrer Geburtsurkunde
steht. Laut Statistischem Bundesamt werden an einem Februartag durchschnittlich 2040 Kinder geboren. So werden auch am 29. Februar 2020 eine Vielzahl von Kindern das Licht der Welt erblicken. Mathematisch betrachtet, ist das gar nicht mal so einfach. Die Chancen, an einem 29. Februar geboren zu werden, liegen bei etwa 1 zu 1461. Es ist viermal wahrscheinlicher, dass man an einem anderen Datum geboren wird.
Trotz der geringeren Wahrscheinlichkeit könnten so manche werdenden Eltern den Drang verspüren, ihrem Nachwuchs den Geburtstag im Schaltjahr zu ersparen. Doch den Wunsch, eine Geburt hinauszuzögern oder beim Datum auf der Geburtsurkunde zu schummeln, hat es bislang zumindest in der Oberschwabenklinik in Ravensburg noch nicht gegeben. „Den Eltern ist es wichtiger, dass das Kind gesund ist“, heißt es auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“.
Doch warum ist das alles überhaupt so kompliziert? Das hat vor allem kosmische Gründe. Die Erde umrundet die Sonne nicht in exakt 365 Tagen, sondern in 365 Tagen, fünf Stunden und fast 49 Minuten. Es kommt also jedes Jahr zu einer leichten Verschiebung. Damit dieses sogenannte tropische Jahr möglichst mit dem Kalenderjahr übereinstimmt, wird alle vier Jahre ein 366. Tag eingefügt. Würde man das unterlassen, dann fiele Weihnachten irgendwann in den Hochsommer. Und daran, dass der zusätzliche Tag im Jahr gerade im Februar angehängt wird, sind die Römer schuld. Im antiken Rom endete das Jahr nämlich vor Einführung des Julianischen Kalenders im Februar. Den zusätzlichen Tag hängten sie einfach an das Jahr an.
In Sabine Mielkes Familie gab es gleich drei Schaltjahrkinder: ihre Tante, ihre Großtante und sie selbst. Die meisten Schaltjahresgeburtstage ereilten allerdings die norwegische Familie Henriksen. In allen drei Schaltjahren der 1960er-Jahre kam an einem 29. Februar eines ihrer Kinder zur Welt – die Geschwister Heidi (1960), Olav (1964) und Leif-Martin (1968) wurden jeweils im Abstand von vier Jahren geboren. Das brachte der Familie einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde ein. Derselbe Coup gelang später den Amerikanern David und Louise Estes mit Xavier (2000), Remington (2004) und Jade (2008), jeweils dazwischen hatte das Paar noch zwei weitere Kinder.
Bereits in den 1980er-Jahren gründeten ein paar betroffene Amerikaner einen Interessenverband für Schaltjahrskinder mit dem noblen Titel: „Honor Society of Leap Year
Day Babys“. Laut eigenen Angaben sind in dem Verein mittlerweile 11 000 Menschen organisiert. Nicht ohne Grund. Leistet der Verband doch wichtige Lobbyarbeit. Die Society kämpft gegen jegliche Art von Schaltjahr-Diskriminierung: Die Mitglieder fordern etwa, dass Anmeldeformulare im Internet den 29. Februar als Geburtsdatum aufführen oder dass der Tag in Kalendern fett gedruckt wird – so wie andere Gedenkund Feiertage auch.
Mit zumindest einem Nachteil ihres Geburtstags hat auch Hildegard Lott aus Bad Saulgau Bekanntschaft gemacht. Sie feiert an diesem Samstag ihren 80. Geburtstag. Als sie als 17-Jährige im Februar ihre Führerscheinprüfung bestand, gab es die Fahrerlaubnis erst im März. Denn einen 29. Februar gab es 1957 nicht. Der Fahrlehrer sagte nach der Prüfung: „Anschauen darfst du den Führerschein, aber der kommt jetzt aufs Landratsamt“, erinnert sich Lott. So musste ihre erste Autofahrt bis zum 1. März warten. Wann Schaltjahrkinder volljährig werden, ist sogar im Bürgerlichen
Gesetzbuch geregelt. Paragraf 188 legt fest, wie im Allgemeinen mit Fristen umzugehen ist. Fällt der 18. Geburtstag in ein Nicht-Schaltjahr, wird derjenige erst mit dem Ablauf des 28. Februar volljährig – also erst am 1. März.
Doch insgesamt kann sich Lott an keine Situation erinnern, in der ihr Geburtsdatum für einen wirklichen Nachteil sorgte. Auch wenn ihr Vater in ihrer Kindheit am 28. Februar stets
sagte: „Morgen hast du Geburtstag.“Und am 1. März: „Du hattest doch gestern Geburtstag.“Ein Geburtstagsgeschenk war damit auch vom Tisch. „Ich habe immer gedacht, ich habe einen ganzen Tag versäumt“, sagt Lott. Erst später habe sie verstanden, dass sich ihr Vater Jahr für Jahr einen Spaß erlaubt hatte. Doch auch das entfallene Geschenk spielte keine große Rolle für sie. „Wir haben damals mehr Wert auf den Namenstag gelegt“, sagt sie. „Ich bin mit dem Datum immer gut klargekommen.“
Einen echten Effekt hat der 29. Februar in der Regel auf die Volkswirtschaft. Denn ein Tag mehr im Jahr ist auch ein Arbeitstag mehr. Etwa 0,4 Prozent vom Wirtschaftswachstum kann das ausmachen, sagt Holger Schäfer, Arbeitsmarktökonom des Instituts der deutschen Wirtschaft. „Das ist gar nicht mal so wenig“, erklärt er. Bei den Konjunkturprognosen des Instituts werde stets die Anzahl der Arbeitstage berücksichtigt. Während 2019 an rund 248 Tagen gearbeitet wurde, sind es für 2020 ganze 251,5 Arbeitstage – aufgrund des Schalttags und von Feiertagen, die etwa auf einen Sonntag fallen. Diese Differenz könne eine ganze Menge für das Wirtschaftswachstum ausmachen. Für dieses Jahr sei allerdings der sogenannte Kalender-Effekt des 29. Februar eher gering – der fällt auf einen Samstag, an dem nicht jeder arbeitet. Mit mehr Geld können Arbeitnehmer übrigens trotz eines zusätzlichen Arbeitstages nicht rechnen – in der Regel werden Gehälter pro Monat und nicht pro Tag berechnet.
Hildegard Lott wird am Samstag jedenfalls nicht arbeiten, sondern feiern. 70 Gäste sind zu dem Geburtstagsfest geladen. „Ich hab gedacht, den muss ich jetzt feiern. Der nächste runde Geburtstag, der auf ein Schaltjahr fällt, ist erst wieder in 20 Jahren“, sagt Lott.