Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Virus könnte sich hier festsetzen
Experte zeigt sich pessimistisch – Bereits 19 europäische Länder betroffen
BERLIN (dpa) - Deutschland wird Experten zufolge mit dem neuen Coronavirus dauerhaft wie mit der normalen Grippe leben müssen. Der Virologe Christian Drosten erwartet in Deutschland eine der höchsten Fallzahlen Europas, „weil unsere Bevölkerung sehr reisefreudig ist“, wie der Experte von der Berliner Charité am Donnerstagabend im ZDF sagte.
Drosten betonte: „Wir werden in den nächsten Tagen sehen, dass neue Fälle und kleine Fallgruppen wie die Pilze aus dem Boden schießen werden.“Er sagte, es würden sich wahrscheinlich 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung infizieren. „Aber wir wissen nicht, in welcher Zeit.“Dies könne durchaus zwei Jahre dauern oder sogar noch länger. Problematisch werde das Infektionsgeschehen nur, wenn es in komprimierter, kurzer Zeit auftrete. „Darum sind die Behörden dabei, alles zu tun, um beginnende Ausbrüche zu erkennen und zu verlangsamen.“
Bislang gibt es in Deutschland nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) mindestens 53 Nachweise von Coronavirus-Infektionen. Davon sind mindestens 37 Fälle in den vergangenen Tagen bekannt geworden – hauptsächlich in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, wie eine RKI-Liste zeigt. Trotz der neuen Fälle sieht das Institut in Deutschland derzeit noch kein breites Krankheitsgeschehen. Insgesamt bleibe es bei der Einschätzung, dass das Risiko gering bis mäßig sei, sagte der RKI-Vizedirektor Lars Schaade am Freitag.
Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, rechnet frühestens 2021 mit einem Impfstoff. „In ein paar Jahren werden wir mit einer weiteren grippeartigen Erkrankung leben, die Covid-19 heißt und gegen die wir impfen können. Jetzt gilt es den Übergang zu managen“, sagte Montgomery der „Passauer Neuen Presse“vom Freitag.
In den Niederlanden wurde erstmals eine Infektion bestätigt. Damit sind in Europa nun mindestens 19 Länder betroffen, wie aus der Statistik des europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten hervorgeht. Laut RKI hat sich die Zahl der Fälle weltweit auf mehr als 83 000 Infizierte in 52 Ländern erhöht. Ein Teil dieser Menschen ist längst wieder geheilt oder hatte von keine oder kaum Symptome, überstandene Infektionen bleiben statistisch aber weiter erfasst.
Supermarktketten wie Rewe verzeichnen „nicht flächendeckend, aber durchaus bundesweit“eine erhöhte Nachfrage nach haltbaren Lebensmitteln. Offenbar versteckt sich dahinter die Angst, dass es größere Quarantäne-Massnahmen geben könnte.
Am späten Donnerstagabend wurden die ersten Fälle in Norddeutschland und in Hessen gemeldet. In Hamburg hat sich ein Arzt der Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Eppendorf infiziert. Es seien etwa 50 enge Kontaktpersonen des Mediziners ermittelt worden, sagte Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia PrüferStorcks (SPD). Die Betroffenen seien auf Sars-CoV-2 getestet worden. „Alle bisher vorliegenden Ergebnisse sind negativ.“Unter den Betroffenen seien 16 Kinder, die mit je einem Elternteil auf Station isoliert worden seien, und 12 ärztliche Mitarbeiter, die zu Hause isoliert seien.
Allein in Nordrhein-Westfalen sind derzeit geschätzt rund 1000 Menschen in Quarantäne. Tausende Menschen täglich werden bundesweit auf das neuartige Virus getestet – allein in Bayern werden nach Angaben des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) derzeit täglich 1200 Proben auf das neuartige Coronavirus untersucht. Neben den aktuell Infizierten waren vor mehreren Wochen 16 weitere Sars-CoV-2-Infektionen gemeldet worden – diese Menschen gelten inzwischen alle als virusfrei.
Die meisten Sars-CoV-2-Infizierten haben nur eine leichte Erkältungssymptomatik mit Frösteln und Halsschmerzen oder gar keine Symptome. 15 von 100 Infizierten erkrankten schwer, hieß es vom RKI. Sie bekommen etwa Atemprobleme oder eine Lungenentzündung. Nach bisherigen Zahlen sterben ein bis zwei Prozent der Infizierten, weit mehr als bei der Grippe.