Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Wenn der Gast gehässig wird ...
Die Fähigkeit, mit Kritik umzugehen, ist bei uns allgemein nicht besonders ausgeprägt. Da ist die Gastronomie keine Ausnahme. Das Geschrei ist groß, wenn Menschen ihre negativen Erfahrungen über das Internet in die Öffentlichkeit tragen, meistens noch dazu im Schutz der Anonymität. Wirtsleute oder kritisierte Köche klagen dann darüber, dass die Gäste sich mit ihrer Beschwerde nicht direkt an sie gewandt haben, sondern ihre schlechten Erfahrungen mit der digitalen Welt teilen. Zugleich schäumen die Kritisierten auf ebendiesen Bewertungsportalen vor Wut, werfen ihren Gästen Inkompetenz vor oder beleidigen sie sogar. Und wundern sich, dass sich bei solchen Reaktionen immer weniger Gäste unmittelbar im Restaurant beschweren.
Es gibt in vielen Häusern keinen souveränen Umgang mit Reklamationen,
geschweige denn ein Beschwerdemanagement. Vielerorts wird ein Gast, der den Mut aufbringt, Kritik zu üben, als Depp oder Nörgler hingestellt. Klassisches Beispiel ist die vielfach gehörte Antwort: „Da sind Sie aber der Erste, der sich darüber beschwert.“Dieser Satz ist eine einzige Unverschämtheit, die dazu führt, dass sich Leute zweimal überlegen, noch mal etwas zu sagen. Einerseits erkennt sie dem Gast Urteilsvermögen und seiner Beschwerde die Relevanz ab, weil allen anderen das Gericht ja angeblich geschmeckt hat. Andererseits macht sie klar, dass der Kellner oder Gastgeber kein Interesse daran hat, den Gast ernst zu nehmen. Besonders naiv verhalten sich Gastronomen, wenn sie sich vom Gast verraten fühlen, nur weil der im Restaurant auf die Frage: „Hat’s geschmeckt?“routiniert mit „Ja“antwortet, sich hinterher trotzdem beschwert. Das liegt in erster Linie aber daran, dass die Nachfrage sehr oft nur eine Floskel ist und der Gast überhaupt kein echtes Interesse beim Service spürt, ob er nun zufrieden ist oder nicht.
Anstatt sich über die angebliche Bosheit der Gäste zu echauffieren, sollten Gastgeber sich die Frage stellen, wie sie im Umgang mit Reklamationen professioneller werden können. Einen verbindlich auftretenden Kellner, der dem Gast das Gefühl gibt, wirklich willkommen zu sein, wird man viel leichter ansprechen, wenn etwas nicht stimmt, als eine lustlose Bedienung.
Katastrophal wirkt es sich aus, wenn Köche mit dem Gast diskutieren. Folgende Szene ist verbürgt: Ein ambitionierter junger Küchenchef, der Vier- oder Sechs-Gänge-Überraschungsmenüs serviert, gerade neu in seinem ersten eigenen Restaurant, fragt bei jedem Gang persönlich nach – was an sich schon nicht jedermanns Sache ist. Am Ende reagiert er auf den Hinweis, dass man sich etwas mehr Kreativität erwartet hätte, weil zwei der vier Gänge mit Pfifferlingen waren, geradezu brüskiert. Man habe ihm, dem Gast, ja von vornherein geraten, das Sechs-Gänge-Menü zu nehmen. Da seien die Highlights drin, nicht in den vier Gängen. Davon abgesehen, dass es unklug ist, Menschen, die aus Neugierde und Vorsicht zunächst das kleine Menü bestellen, das Beste vorzuenthalten, geht es unter keinen Umständen, den Gast dafür auch noch abzukanzeln.
Der Gastronom ist es, der sich um ein vertrauensvolles Verhältnis zum Gast zu bemühen hat. Er muss seinen Service so schulen, dass die Bedienung von sich aus ein Gespür dafür entwickelt, wie das Essen beim Gast ankommt – und im Zweifel Abhilfe schaffen. Vor allem aber muss ein Restaurant grundsätzlich in der Lage sein, selber handwerklich zu kochen – und nicht nur Tütenfraß zu servieren. Und da fängt es bei nicht wenigen schon an.
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