Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Bis vor die Haustür
Geschäfte sind geschlossen, Menschen bleiben zu Hause – Die Corona-Krise bedeutet einen Boom für Lieferdienste
RAVENSBURG - Auf den Gepäckträger seines schwarzen E-Bikes hat Frank Eisele eine Kiste geklemmt – darin stapeln sich Bücher. Mit dem Rad fährt Eisele, Inhaber der Buchhandlung Schwaaz Vere, durch Bad Saulgau im Landkreis Sigmaringen und bringt die Bücher zu Kunden, die den Lesestoff zuvor über die Homepage der Buchhandlung oder per Telefon bestellt haben. Wenn ein Kunde weiter weg wohnt, nimmt Eisele das Auto. Seinen Buchladen musste er wegen des Coronavirus schließen, aber ihm und seinem Team blieb der Lieferdienst. „Die Anfragen steigen von Tag zu Tag“, sagt Eisele, denn das Angebot würde sich rumsprechen. „Es sind etwa 30 bis 40 Prozent mehr Bestellungen im Vergleich zur Zeit vor Corona.“
Während Geschäfte geschlossen bleiben müssen, um eine weitere Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern, sind „Lieferdienste aller Art ausdrücklich vom Öffnungsverbot für Gaststätten und Verkaufsstellen des Einzelhandels ausgenommen und dürfen weiter betrieben werden“, teilt das Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg mit. Und so setzen Einzelhändler in der Not darauf, ihre Produkte bis vor die Haustür ihrer Kunden zu bringen. Während sich bei Händlern wie Frank Eisele das neue System allerdings erst etablieren muss, verzeichnen die, die schon lange und ausschließlich im Liefergeschäft tätig sind, bereits starke Zuwächse. Besonders bei Unternehmen der Lebensmittelbranche ist das der Fall.
Der zweitgrößte Lebensmittelhändler Deutschlands, Rewe, zum Beispiel: Wer den Rewe Lieferservice nutzen will, muss sich derzeit teilweise auf Wartezeiten bis zu zwei Wochen einstellen. „Wir verzeichnen – analog zum stationären Handel – eine deutlich höhere Nachfrage nach lang haltbaren Lebensmitteln, Nährmitteln, Konserven und Drogerieartikeln“, teilt eine Sprecherin auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mit.
Auch der Lieferdienst für Restaurantessen Takeaway – in Deutschland bekannt unter dem Namen Lieferando – bestätigt: Das Unternehmen habe in den vergangenen Tagen einen wesentlichen Anstieg der Anfragen von Restaurants, mit denen der Lieferdienst kooperiert, feststellen können. „Die Lieferung ist nun eine gute Alternative für diejenigen, die ihre Türen momentan für Gäste geschlossen halten müssen“, teilt eine Sprecherin mit.
Wie sehr die Lieferdienste momentan gefragt sind, zeigt auch ein
Blick auf die Zahlen von Google Trends. Die Anfragen bei der Internetsuchmaschine Google unter den Stichwörtern „Edeka Lieferdienst“oder „Rewe Lieferdienst“sind seit Anfang März exponentiell gestiegen.
Die hohe Nachfrage nach einem Lieferservice machen sich nun auch kleinere Gastronomen und Händler in der Not zunutze. In den Briefkästen der Menschen landen derzeit vermehrt Flyer von loklen Pizzalieferanten. Ömer Yalamak, Inhaber des Lieferservice Pizza Paradies aus Ravensburg, beispielsweise berichtet, dass er derzeit extra mehr Flyer verteile, weil er in den kommenden Tagen mit einer größeren Zahl an Bestellungen rechne.
Auch Firmen, die nicht im Bereich der Lebensmittelbranche tätig sind, setzen auf einen Liefer- beziehungsweise Abholdienst – wie beispielsweise der Elektrogerätehändler Euronics in Ravensburg. Die Zahl der
„Die Anfragen steigen von Tag zu Tag.“
Bestellungen sei deutlich angestiegen. Tintenpatronen, Druckerpapier und LAN-Kabel seien jetzt, da die Menschen im Home-Office arbeiten und die Schüler zuhause lernen, besonders gefragt, sagt Servicemitarbeiter Kevin Boje. „Die Kunden nehmen das Angebot an“, so Boje.
Alle Initiativen, die den lokalen Handel in dieser schwierigen Zeit sichtbar machen, seien jetzt gefordert, teilt der Handelsverband Baden-Württemberg mit. „Nur so kommen die Händler durch diese Jahrhundertkrise“, sagt Sprecher Hilmar Pfister. Ein Lieferservice sei eine hervorragende Idee, um in Kontakt mit den Kunden zu bleiben, damit der Kunde, wenn die Krise wieder vorbei ist, dort vermehrt einkaufe. In der Regel sei es allerdings nicht so, das fügt Pfister hinzu, dass verlorere Umsätze des stationären Handels durch Lieferdienste ausgeglichen werden könnten.
Und manche haben es sogar noch etwas schwerer: Denn nicht in jeder
Frank Eisele, Buchhändler aus Bad Saulgau
Branche kann ein Lieferdienst überhaupt funktionieren. Während es derzeit einen hohen Bedarf an Lebensmitteln gibt oder Buchhändler gefragt sind, weil die Schulkinder zu Hause Lernmaterialien benötigen, tut sich eine lokale Einzelhändlerin wie Alexandra Lott schwer. Lott betreibt ein Wäschegeschäft in Bad Saulgau – nur drei Straßen von Eiseles Buchhandlung entfernt – und bietet seit vergangener Woche ebenfalls einen Lieferservice an. Ein Aushang an ihrem Geschäft weist darauf hin, Werbung habe sie auch geschaltet. Jedoch habe sich bisher nur eine Kundin auf ihr Angebot hin gemeldet. „Meine Produkte sind zu spezifisch und sehr beratungsintensiv“, sagt Lott. Beim Kauf von Unterwäsche komme es eben darauf an, diese anzuprobieren. Lott sei auf die Hilfe vom Bund angewiesen, also auf „Gelder, die man nicht zurückbezahlen muss“, sonst werde die Corona-Krise für sie existenzbedrohend.
Generell findet sie es aber gut und wichtig, dass lokale Einzelhändler nun Lieferservices anbieten. Die Kunden hätten auf diesem
Weg die Möglichkeit, ihr Geld – auch jetzt in der Krise – in der Kommune zu lassen, anstatt bei den großen Onlineanbietern zu kaufen. Schließlich würden nur die ansässigen Unternehmen die Gewerbesteuer bezahlen und damit die Kultur, Schwimmbäder und Schulen vor Ort finanzieren.
In einem Punkt aber sind die Lieferdienste aller Branchen, ob groß oder klein, derzeit alle gleich verpflichtet: Nämlich bei der Hygiene. Vor mehr als einer Woche hat der Lieferdienst Lieferando die kontaktlose Lieferung eingeführt, also die Zustellung, ohne dass Kurier und Kunde physischen Kontakt haben. Dabei sind die Kuriere angewiesen, beim Kunden zu klingeln und die Lieferung vor der Tür abzustellen. Sie müssen dann zurücktreten und warten, bis der Kunde öffnet. Die Kunden wiederum bezahlen ausschließlich online. So oder so ähnlich müssen es derzeit alle Lieferdienste händeln. Die Corona-Krise ist und bleibt also eine Herausforderung – auch für diejenigen, die mit einem Lieferservice momentan den Bedarf der Kunden bedienen.