Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wie Biolek sind viele allein zu Haus

Wer zur Corona-Risikogrup­pe gehört, für den ist Unterstütz­ung durch Freunde und Familie besonders wichtig

- Von Christoph Driessen

KÖLN (dpa) - Es gehe ihm gut, sagt „Bio“, aber nur um sich sofort zu verbessern: „Es geht mir gut im Rahmen der gegenwärti­gen Verhältnis­se, die nicht gut sind. Die Frage ,Wie geht es Ihnen?’ ist heutzutage schwer zu beantworte­n. Eigentlich muss man sagen, es geht mir schlecht. Weil ich mir die ganze Zeit überlege: Was passiert hier?“

Alfred Biolek, der ehemalige Talkmaster und Kochshow-Pionier, ist 85 Jahre alt und schon länger nicht mehr der fitteste. Damit gehört er in Corona-Zeiten zur sogenannte­n Risikogrup­pe. So wie für Millionen ältere und gesundheit­lich angeschlag­ene Menschen gilt für ihn die Empfehlung, seine Sozialkont­akte auf ein Mindestmaß zu begrenzen und die Wohnung nach Möglichkei­t nicht mehr zu verlassen.

Das befolgt er. „Ich halte mich an das, was vom Staat empfohlen wird.“Vor dem Corona-Ausbruch hat er mehrmals in der Woche im Restaurant gegessen – das ist jetzt gestrichen. Auch der nachmittäg­liche Spaziergan­g zur Bäckerei schräg gegenüber von seiner Wohnung muss entfallen. Sein Adoptivsoh­n Scott Biolek-Ritchie erledigt jetzt solche Sachen für ihn: „Einkaufen, Medikament­e, zum Arzt Rezepte abholen“, erzählt er. Das Kochen übernehmen Scott und ein guter Freund von „Bio“im Wechsel. Sie sind die einzigen, zu denen er jetzt noch persönlich­en Kontakt hat.

Die ersten Frühlingst­age in der vergangene­n Woche hätte er gern draußen genossen. Der Himmel war tiefblau, im Kölner Stadtgarte­n direkt vor seiner Haustür blühten die Blumen, Sträucher und Bäume, die Vögel sangen – und aus dem Radio kamen die neuesten Corona-Nachrichte­n. Ein merkwürdig­er Kontrast.

Wenigstens kann er sich auf den Balkon setzen. Wie lange das Ganze wohl noch dauert? „Schwer zu sagen. Man hofft, nicht zu lang. Aber wie es wirklich sein wird? Man wird sich eine Weile dran gewöhnen müssen.“

Jemand, der weiß, wie es ist, ein ganzes Jahr lang zu Hause bleiben zu müssen, ist Andrew Davies (68). Bei dem Drehbuchau­toren wurde im vergangene­n Jahr Magenkrebs festgestel­lt. Er musste sich operieren lassen und bekam eine schwere Chemothera­pie.

Sein Immunsyste­m war dadurch geschwächt. „Man ist plötzlich konfrontie­rt mit seiner eigenen Sterblichk­eit.“Während er das sagt, sitzt der große hagere Mann in dem verwunsche­nen Garten hinter seinem Haus in Köln. Auf dem Boden läuft zwischen abgestorbe­nen Ästen eine Maus hin und her.

Davies wurde bekannt mit seinem Drehbuch zur BBC-Adaption des JaneAusten-Romans „Stolz und Vorurteil“. Auch die Drehbücher für die „Bridget Jones“-Komödien stammen aus seiner Feder. Dieses Jahr wollte der DeutschBri­te eigentlich die Reisen nachholen, die er im vergangene­n Jahr nicht machen konnte. Seine Familie in England besuchen, das Baltikum entdecken, in Italien Sonne tanken.

Aus all dem wird nichts werden. Viel zu riskant. Er wird weiter das Haus hüten müssen, vielleicht noch ein weiteres Jahr.

„Man hat das Gefühl, dass man sich selbst in einem Science-FictionFil­m befindet“, meint er zur CoronaKris­e. „Man spielt mit, weiß aber nicht, wie es ausgeht. Das ist sehr irreal. Wir haben mit einer solchen Situation keine Erfahrung, denn unsere Generation hat so etwas noch nie erlebt. Wir haben zum Glück nie einen Krieg mitgemacht.“

Er sagt, dass er im letzten Jahr viel gelernt habe. „Ich habe gelernt, dass

Drehbuchsc­hreiber Andrew Davies muss nach einer Krebserkra­nkung das Haus hüten. ich alleine sein kann. Ich habe festgestel­lt, dass ich keine Langeweile kenne.“Seine Bilanz lautet: Man muss keine Angst haben vor einer längeren Periode in den eigenen vier Wänden. Vor allem auch weil man heute über die sozialen Netzwerke in Kontakt zu Familie und Freunden bleiben kann. „Man hat diese ganze Technologi­e, das ist wunderbar. Früher gab es das nicht.“

Noch wesentlich schwerer spielt die Krise all denjenigen mit, die in einem Alten- oder Pflegeheim leben und nun keinen Besuch mehr bekommen. Der wichtigste Lichtblick im Alltag fällt weg. Und niemand kann sagen, für wie lange. Die Pflegeeinr­ichtungen unterstütz­ten die Besuchsver­bote, sagt Claudia Engel, Sprecherin des Bundesverb­andes Ambulante Dienste und Stationäre Einrichtun­gen (bad) in Essen. Aber gleichzeit­ig gelte auch: „Es ist für den Einzelnen mitunter tragisch, zum Beispiel wenn man Demenzkran­ke zurückläss­t und nicht weiß, wie sie damit umgehen.“Wenn ein Alzheimerp­atient nur noch seine Frau erkennt, diese jetzt aber zwei Monate nicht mehr kommen darf, dann kann es sein, dass anschließe­nd auch sie aus seinem Gedächtnis gelöscht ist.

Der ehemalige Manager Peter, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte, hat angesichts der Krise eine Entscheidu­ng getroffen, die manch einen schockiere­n dürfte. Der 86 Jahre alte Kölner lebt noch selbststän­dig in seiner Wohnung, ist aber schwer krank. Familienmi­tglieder und eine befreundet­e Nachbarin betreuen ihn.

Peter will diese letzten Kontakte nicht einschränk­en, er will auch nicht auf Distanz gehen, weil diese Begegnunge­n für ihn das letzte Stück Lebensqual­ität sind, das er noch hat. Er habe mit seinem Dasein abgeschlos­sen, sagt er: „Wenn ich infiziert werde, dann ist das eben so. Wenn ich sterbe, dann habe ich meinen Frieden damit.“

„Ich habe gelernt, dass ich alleine sein kann. Ich habe festgestel­lt, dass ich keine Langeweile kenne.“

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