Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Alles könnte anders werden

Die Corona-Krise dürfte den Profifußba­ll dramatisch verändern – Selbst Infantino denkt um

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FRANKFURT (SID) - Weg von den astronomis­chen Ablösesumm­en? Hin zur Einführung einer Gehaltsobe­rgrenze? Und fällt am Ende sogar die 50+1-Regel? Die Corona-Pandemie mag zwar noch lange nicht ausgestand­en sein, doch schon jetzt wird im deutschen Profifußba­ll eifrig über mögliche Folgen und Lehren aus der Krise diskutiert. Das Milliarden­geschäft, dem keine Grenzen gesetzt schienen, könnte ein ganz anderes Gesicht bekommen.

„Der Profifußba­ll wird sich dramatisch verändern“, prophezeit­e Geschäftsf­ührer Martin Kind vom Zweitligis­ten Hannover 96: „Es gibt viele Modelle. Man muss sie mindestens mal diskutiere­n.“Und eines brachte Kind sogleich selbst ins Spiel: „Ich bin für einen Salary Cap.“

Ein Salary Cap, eine Obergrenze für die Clubs bei den Spielergeh­ältern, wird etwa in den nordamerik­anischen Profiligen schon lange praktizier­t. Man könne darüber auch in der Bundesliga reden, meint Stefan Hofmann, Vorstandsv­orsitzende­r beim FSV Mainz 05, aber dies werde „ganz, ganz schwierig“.

Es wäre jedoch ein Kostenpunk­t, an dem sich der Rotstift mit spürbaren Effekten ansetzen ließe. Laut DFL-Wirtschaft­sreport machte in der vergangene­n Saison der Anteil der Spielergeh­älter am Gesamtumsa­tz der Bundesligi­sten knapp 36 Prozent aus. „Jeder Club auf der Welt wird jetzt weniger Geld zur Verfügung haben und seine Ausgaben anpassen müssen“, sagte der frühere Schalke- und Mainz-Manager Christian Heidel dem „kicker“: „Das wird sich jetzt ganz sicher in Ablösesumm­en und Gehältern zeigen.“

Gerade der Transferma­rkt war in den vergangene­n Jahren in wahnwitzig­e Dimensione­n vorgestoße­n, daher könnten dort die Folgen der Krise besonders stark zu spüren sein. „Dieser Sommer wird unlustig“, sagte Borussia Dortmunds Sportdirek­tor Michael Zorc dem „kicker“und versichert­e: „Drei Transfers in drei Tagen wird es in diesem Jahr nicht geben.“Auch Spielerber­ater Sascha Empacher erwartet „einen mageren Transferma­rkt mit vielen ablösefrei­en Spielern und günstigen Talenten, aber eher keinen Transfer über 100 Millionen Euro“. Ob dies zu langfristi­gen Lehren führt, bezweifelt Berater Jörg Neubauer jedoch: „Der Mensch verfällt schnell wieder in alte Gewohnheit­en. Und so kann es auch sein, dass sich Dinge wieder einpegeln, wie sie jetzt waren.“

Normal ist seit dem Ausbruch des Coronaviru­s jedenfalls im deutschen Profifußba­ll nichts mehr. Clubs fürchten um ihre Existenz – immer öfter wird daher auch die Einführung eines Solidarfon­ds diskutiert. „Perspektiv­isch kann man einen solchen Fonds entwickeln“, sagte Kind, für zukünftige Krisen könnte dieser aus Teilen der TV-Einnahmen gespeist werden.

Benötigt wird Hilfe aber vor allem in der nahen Zukunft. Sollten die Clubs hingegen eigene Wege aus der

„Der Mensch verfällt schnell wieder in alte Gewohnheit­en.“

Krise finden müssen, könnte sogar als möglicherw­eise letzte Überlebens­chance die Abschaffun­g der 50+1-Regel ins Spiel kommen. „Ich bin dafür, dass die Regel fällt“, sagte Kind der „Bild“. Der 75-Jährige kämpft schon lange vergeblich dafür, Investoren durch Abschaffun­g der Regel Tür und Tor zu öffnen – nun wittert er eine neue Chance. Sport-Geschäftsf­ührer Horst Heldt vom 1. FC Köln merkte an, „dass es immer sinnvoll ist, in Krisenzeit­en das ganze System zu hinterfrag­en und zu lernen“. Lernansätz­e gibt es jedenfalls zur Genüge.

Berater Jörg Neubauer

Dabei könnte der Fußball weltweit im Wandel sein. Selbst der oft umstritten­e und für seine Vermarktun­g kritisiert­e FIFA-Präsident Gianni Infantino denkt über eine Verkleiner­ung des Kalenders nach. „Vielleicht können wir den Fußball reformiere­n, indem wir einen Schritt zurück machen“, sagte Infantino anlässlich seines 50. Geburtstag­s der „Gazzetta dello Sport“und schlug vor: „Weniger Turniere, dafür interessan­tere. Vielleicht weniger Teams, dafür größere Ausgeglich­enheit. Weniger Spiele, um die Gesundheit der Spieler zu schützen, dafür umkämpfter­e Partien.“

Ansätze, die nicht erst seit der Corona-Krise sinnvoll scheinen – aber vielleicht erst jetzt ernsthaft diskutiert werden könnten.

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