Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Aus Wohnhaus wurde Gedenkstätte
Ernst Jünger wurde vor 125 Jahren geboren – Wilflingen wahrt sein Andenken
WILFLINGEN - Am 29. März 1895 und damit vor genau 125 Jahren wurde Ernst Jünger geboren. Der Schriftsteller, Philosoph und Insektenkundler lebte 47 Jahre in dem 410-EinwohnerDorf Wilflingen und hat ihm während dieser Zeit viel Prominenz und Aufmerksamkeit beschert. Hochrangige Politiker der Bundesrepublik, aber auch aus dem Ausland machten dem Autor die Aufwartung. 1950 zogen er und seine Frau Gretha ins Stauffenberg’sche Schloss. Ein Jahr später, als die Eltern des heutigen Schlossherrn Franz Schenk Freiherr von Stauffenberg nach Wilflingen umsiedelten, wurde dem Schriftsteller das Forsthaus angeboten. Dort lebte er bis zu seinem Tod am 17. Februar 1998.
„Das Dorf hat mir gleich gefallen. Seine Lage inmitten der weit gebreiteten, fruchtbaren Felder, Obstgärten und Wiesen, die Freundlichkeit der Bewohner, die damals sämtlich noch Bauern waren, behagte mir sehr. Seitdem sah ich manches sich verändern, doch Wilflingen ist dabei immer schöner geworden“, hielt Jünger in einer seiner vielen Tagebuchaufzeichnungen fest. Die damals noch selbständige Gemeinde machte ihn denn auch anlässlich seines 65. Geburtstages zu ihrem Ehrenbürger.
1999 wurde das Gebäude von der Ernst Jünger-Stiftung in Verbindung mit der Arbeitsstelle für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten in Baden-Württemberg, Marbach, als Museum und Gedenkstätte eingerichtet und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ein Jahrzehnt später erfolgte eine umfassende Sanierung des Barockbaus aus dem Jahr 1728. Davor war alles fotografisch dokumentiert worden, um auch heute noch genau nachvollziehen zu können, wie und wo Jünger lebte und arbeitete und seine hochrangigen Gäste empfing: Bundeskanzler Helmut Kohl, die Bundespräsidenten Theodor Heuss und Roman Herzog, den französischen Präsidenten Francois Mitterand und den spanischen Ministerpräsidenten Felipe Gonzales, aber auch Schriftsteller-Kollegen und bildende Künstler.
Vor allem seiner zweiten Frau Liselotte, die er zwei Jahre nach dem Krebs-Tod seiner Frau Gretha 1962 heiratete und welche 2010 starb, ist zu verdanken, dass alles an seinem Platze bleiben konnte. Ihrer Großzügigkeit sei die Einrichtung der Gedenkstätte zu verdanken, hielt Franz Schenk Freiherr von Stauffenberg 2014 fest, als er im Rahmen des Jünger-Symposiums über seine Begegnungen mit Ernst Jünger sprach. Sie habe nicht nur alles - auch sehr Persönliches - im Haus zurückgelassen, sondern die Löhne zur Pflege von Haus und Garten bezahlt und als sie starb, ihr Vermögen und den Erlös aus dem Verkauf ihres Hauses in Überlingen der Jünger-Stiftung vermacht. Diese wurde 1997 auf Initiative des Landkreises Biberach zum Andenken „an den Jahrhundertzeugen Ernst Jünger und seinen Bruder Friedrich Georg Jünger“ins Leben gerufen, wird in einer Pressemitteilung der Kreissparkasse Biberach zum 125. Geburtstag festgehalten, welche die Stiftung verwaltet. Betrieb und Erhaltung der Gedenkstätte ist ihr Ziel, um das Andenken zu wahren. Bei der Gründung wurden eine Million Mark von der Kreissparkasse Biberach und 200 000 Mark vom Land BadenWürttemberg bereitgestellt. Das Stiftungskapital wird heute mit 1,3 Millionen Euro angegeben.
Zum 100. Geburtstag von Ernst Jünger im Jahr 1995 hat der Landkreis Biberach unter Landrat Peter Schneider den Ernst Jünger-Preis gestiftet. Gedacht war er für Schüler und Schülerinnen der Oberstufe des Kreisgymnasiums Riedlingen, die sich in einer Arbeit über das von Ernst Jünger zentrale Thema Mensch und Natur in „literarisch ansprechender Form“hervortaten. Bis 2013 wurde er insgesamt 14 Mal vergeben.
Neben der Schriftstellerei widmete sich Ernst Jünger der Insektenkunde. Die Sammlung von rund 40 000 Käfern, die ebenfalls im Jünger-Haus in Wilflingen zu sehen ist, zeugt davon. Diese Interessen, aber auch ihre Verarbeitung in seinem literarischen W Werk, veranlasste das Land BadenWW Geburtstages den Ernst-Jünger-Preis für Entomologie zu stiften. Es ist eine Auszeichnung für herausragende Arbeiten für Wissenschaftler auf diesem Gebiet. Sie wird seit 1986 im dreijährlichen Turnus vergeben. Die Preisverleihungen waren bis 2010 ganz besondere Festveranstaltungen im Stauffenbergschen Schloss in Wilflingen. Seit 2013 treffen sich die Wissenschaftler zur Preisverleihung im Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart. Zwölfmal wurde der Preis bislang vergeben.
Gewürdigt wurde der Autor anlässlich seines 95. Geburtstages im Jahr 1990 mit dem Oberschwäbischen Kunstpreis. Der Biberacher Landrat Dr. Wilfried Steuer war damals Vorsitzender der Verbandsversammlung der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke, die den Preis finanzieren. Er verbindet eine besondere Erinnerung an den Schriftsteller, war doch die Ausrichtung des 70. Geburtstages Jüngers als Regierungs-Assessor des Landkreises Saulgau im Auftrag des damaligen Saulgauer Landrats Karl Anton Maier seine erste Amtshandlung im Oberland. Steuer wurde 1968 zu dessen Nachfolger und 1973 zum Biberacher Landrat gewählt, als der er Jünger seine Werkschätzung ebenfalls entgegenbrachte, wie auch danach als Vorsitzender der EnergieVersorgung
Schwaben. Diese widmete Ernst Jünger 1995 anlässlich der Vollendung seines 100. Geburtstages einen kostbaren Kalender mit philosophischen Zitaten, die Jüngers Frau Liselotte aus seinem reichen Werk ausgewählt hatte. Natur-Aufnahmen von Hans Siwik waren die fotografischen Hingucker.
Leben und vor allem Werk der Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger unvergessen zu machen, ist zudem Ziel des nach ihnen benannten Freundeskreises. Er pflegt den Umgang mit den Schriften beider Autoren, indem er die Begegnung von Lesern und Forschern fördert und ihr Lebenswerk der Allgemeinheit vermittelt. Dies geschieht unter anderem im Rahmen eines jährlichen Symposiums in Heiligkreuztal. Für 2020 wurde unter dem Titel „Ernst Jünger und Frankreich – Aspekte einer gefährlichen Begegnung“auf 3. bis 5. April eingeladen. Dazu wurden nicht zuletzt Referenten aus Frankreich erwartet. Der Corona-Epidemie wegen wurde die Tagung abgesagt. Ihretwegen ist zurzeit auch das Jünger-Haus geschlossen.