Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Das Virus nach Kennzahlen
Wie sich die weltweite Corona-Pandemie auf die Aktienkurse an den Börsen auswirkt
STUTTGART - Wenn Börsianer davon reden, dass der Deutsche Aktienindex (Dax) seinen Boden noch nicht gefunden habe, heißt das, es kann immer noch weiter bergab gehen. Die Unsicherheit darüber, die aufgrund des Coronavirus nach wie vor verbreitet ist, besteht weiter – den Billionen schweren Rettungspaketen der Regierungen zum Trotz. Anhand einiger im Börsen-ABC der „Schwäbischen Zeitung“bereits beschriebenen Faktoren lassen sich gewisse Überlegungen anstellen, die Rückschlüsse auf die Verfassung der Aktienmärkte zulassen. So zeigt sich durch die hohe Schwankungsbreite des Dax, dass weiterhin eine anhaltend große Nervosität am Markt vorhanden ist. Ablesbar ist dies an dem auch „Angstbarometer“genannten V-Dax, der zwar seinen Peak von rund 93 am 16. März überschritten hat, mit rund 61 Punkten (27. März) aber immer noch auf einem sehr hohen Niveau notiert. Je höher der VDax, desto eher muss man damit rechnen, dass der Dax stark ansteigen als auch nach unten wegrauschen kann. Anschaulich wurde dies etwa am 25. März, als das Börsenbarometer zwischen 9460 und 10 137 Punkten schwankte.
Nimmt man mit dem Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) einen weiteren Gradmesser für die Beurteilung des Marktes, so hätte der Dax seine Talfahrt eigentlich bereits vorletzte Woche beenden können. Da war das deutsche Börsenbarometer zeitweise unter seinen Buchwert gerutscht, der sich aus dem Vermögen eines Unternehmens ergibt und bei einer Größenordnung von 8340 Punkten liegt. Dieser Substanzwert galt bisher immer als wichtige Haltelinie einer börslichen Talfahrt. Denn das heißt ja auch, dass in der Bilanz dank Maschinenpark, Gebäuden, Bargeld und Patenten höhere Werte schlummern, als es die Börsenkurse ausweisen, was einer Unterbewertung gleichkommt. Daher ist der Dax zumindest in früheren Krisen immer nur knapp unter den Buchwert gerutscht, um sich hernach wieder zu berappeln. „Nichts, wirklich nichts mehr ist unmöglich“, sagt jedenfalls Kapitalmarktexperte Robert Halver von der Baader Bank. Auch ein Comeback wie es am vergangenen Montag geschehen ist – nach seinem Absturz um 36 Prozent seit Februar ist der Dax an einem einzigen Tag aufgrund der US-Stützungsprogramme um elf Prozent nach oben geschossen.
Nach dem historischen Höchststand von 13 789 Punkten im Februar notieren inzwischen eine Reihe von Dax-Titeln unter ihrem Buchwert, was sich am KBV ablesen lässt. Rutscht diese Kennzahl unter eins, gilt die Aktie als günstig bewertet. Betrachtet man etwa die deutschen Autobauer, so liegen deren KBVs um 0,50. Schlusslicht ist die Deutsche Bank (0,24). Gemäß einer Faustregel lässt zwar ein niedriges KBV baldige Gewinne erwarten, allerdings kann ein niedriger Wert auch auf eine nahende Pleite hindeuten. Als teuerste Dax-Titel gelten nach dieser Rechnung derzeit Adidas mit einem KBV von 6,96 sowie Wirecard mit 5,48 (Werte vom 27. März, 12 Uhr).
Auch beim Blick auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) erscheint der Dax als günstig. So liegt das KGV des Index auf Basis der für die nächsten zwölf Monate erwarteten Konzerngewinne bei 14,15 gegenüber seinem langjährigen Durchschnittswert von 19. Unterdurchschnittlich und damit günstig präsentieren sich derzeit mit einem KGV von weniger als zehn die Aktien von Allianz, BMW oder Fresenius. Parallel dazu ist die durchschnittliche Dividendenrendite im Dax auf dem Papier auf annähernd fünf Prozent nach oben geschnellt – gegenüber 3,5 Prozent in den vergangenen zehn Jahren. Hier ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Dividendenrendite und auch das KGV meist auf Prognosen der Analysten beruhen, die bisher noch kaum an die zu erwartende, heftige Rezession im ersten Halbjahr 2020 angepasst sind. So weisen BASF, Covestro und Allianz Dividendenrenditen von über sechs Prozent auf. Die Kennzahlen, die auf Gewinnschätzungen beruhen, sind damit als weitgehend veraltet anzusehen und sollten mit entsprechender Vorsicht interpretiert werden. Ohnehin gilt, dass Kennzahlen immer nur als eine Ergänzung bei der Beurteilung einer Aktie herangezogen werden. Anleger sollten stets nicht nur das Geschäftsmodell und die Geschäftszahlen, sondern auch geopolitische Verwerfungen oder eben andere Bedrohungen wie die herrschende Pandemie im Blick haben. Denn dem Virus sind die Kennzahlen egal.
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