Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Entschleunigter Konsum
Verkäufer entdecken auf dem Riedlinger Wochenmarkt das Positive der Corona-Krise
RIEDLINGEN - Sonniges Wetter und lächelnde Menschen inmitten düsterer Zeiten: Knapp zwei Wochen nach Verkündigung der Kontaktsperre durch Kanzlerin Angela Merkel gehen am Freitagmittag gegen halb eins etwa zwölf Menschen ruhig über den Riedlinger Marktplatz. Tiefblauer Himmel ist über den Giebeln zu sehen. Wenige Verkaufsstände stehen vor den Altstadthäusern und bieten ihre Waren feil.
Dazu gehört auch der kleine Kiosk von David Kappeler. Vor ihm liegen große, von Sennern im Bregenzer Wald hergestellte Käsestücke. Auf der kleinen Theke darüber steht eine durchsichtige Plexiglasscheibe. Ein rot-weißes Plastikband grenzt den Verkaufsstand ab. David Kappelers Hand steckt in einem Plastikhandschuh und reicht einem Kunden ein kleines Käsepaket durch die Öffnung in der Plexiglasscheibe. „Angst habe ich nicht, mich mit dem Coronavirus anzustecken. Aber manchmal spüre ich schon ein mulmiges Gefühl“, sagt David Kappeler, der aus Oberstdorf nach Riedlingen gekommen ist. Er fühlt sich trotz der Corona-Krise relativ sicher, regionale Wochenmärkte zu bedienen. Landräte und Bürgermeister hätten die Menschen ermutigt, diese Form des Einkaufs wahrzunehmen, sagt Kappeler.
Heute sei er in Riedlingen und morgen in Biberach. „Meine Einkünfte sind noch okay, aber dieses Wochenende ist entscheidend für mich.“Demonstrativ zeigt er das Desinfektionsmittel hinter der Theke und betont, dass er oft seine Hände wasche. In dieser Zeit der Verunsicherung will er kleines Zeichen setzen und der Kundschaft zeigen: Er steht immer auf dem gleichen Platz in Riedlingen. Etwas Beständiges bräuchten die Menschen doch. Überhaupt falle ihm auf, wie entschleunigt die Riedlinger seien.
Zehn Meter vis-à-vis steht Manfred Pfeiffer - graue, kurze Haare, schwarz-braun gemusterter Pullover und schwarze Hose - etwas erhöht in seinem Verkaufswagen vor einem schrägen Verkaufstisch. Gelb und grün leuchten die Etiketten der kleinen Hülsenfrüchte- und Kräuterpackungen. Auch er beobachtet an diesem Freitag etwas Ungewöhnliches: „Zu 95 Prozent sind meine Kunden in Riedlingen noch zuvorkommender als sonst. Alles ist superentspannt.“Kein Feilschen um vermeintlich knappe Güter. Sein Verkaufstisch mit den variationsreichen Naturkost-Produkten ist voll und ordentlich sortiert. Der Tisch ist groß, der Pflichtabstand von 1,5 Metern zu den Kunden wird automatisch gewahrt. „Einen Mundschutz
halte ich aber nicht für nötig.“Er meidet direkten Handkontakt zu denjenigen, die bei ihm einkaufen. Stattdessen legt er die Ware in ein braunes Körbchen. Der Käufer fischt sich die Produkte aus dem Korb und legt im Gegenzug sein Geld in eine kleine Holzschale. „Vor dem Coronavirus haben wir uns daran gewöhnt, dass es alles gibt. Jetzt weiß jeder: Alles kann sich jederzeit ändern. Seit 14
Tagen sind die
Leute höflicher, verständnisvoller. Sie freuen sich, dass ich auf dem Markt in Riedlingen bin – auch wenn diese ganze CoronaKrise schrecklich ist“, sagt Manfred Pfeiffer.
Auf rot-weiße Bänder und Schutzfolie am Verkaufstisch verzichtet die Gärtnerei Hepp aus Mengen an ihrem Stand in Riedlingen komplett. Verkäuferin Angelika Schwanz setzt ganz auf Einsicht und Disziplin der Marktbesucher. „Das Verhalten der Leute ist ganz ordentlich. Sie halten inzwischen den nötigen Abstand ein. Das war am Anfang der Coronavirus-Welle nicht der Fall“, erzählt sie. Überall stehen Ostergestecke, an der Kasse Salatköpfe aus eigener Züchtung und Blumen: dunkelrote Rosenprimeln, blaue und gelbe Hornveilchen und Schlüsselblumen. Wenn eine Kundin sich für einen Topf mit einem der Gewächse entscheidet, reicht sie ihn Angelika Schwanz, die diesen mit ihren grünen Gummihandschuhen entgegennimmt und einpackt. „Diese Handschuhe waren bei uns schon vor der Corona-Krise Pflicht.“Ihr Chef Matthias Hepp ist nicht so glücklich über die Umsätze der vergangenen Zeit. Aber er zuckt mit den Schultern. „Blumen, die nicht verkauft werden, fliegen auf den Müll. Irgendwann ist die Frühlingszeit vorbei.“Auch wenn das Saatgut für gewisse Salatsorten derzeit fehle, ist er immer noch froh, vieles in der eigenen Gärtnerei züchten zu können.
„Irgendwie fehlt das Gemütliche.
Manfred Pfeiffer, Inhaber des Bioladens und Tee- und Kräuterladens Marxer-Pfeifer in Bad Waldsee
Nirgendwo sind Straßencafés geöffnet, wo Menschen sitzen. Es bilden sich auch keine Gruppen. Die Leute kommen, kaufen und gehen gleich wieder“, beobachtet Elke Gebhardt, die in ihrer Pause schnell im Stehen ein Brötchen isst und einen Becher Kaffee in der Hand hält. Mit ihrem Mann verkauft sie vornehmlich frisches Geflügelfleisch. „Wir kaufen nur bei Geflügelbetrieben in Umkreis von 30 Kilometern. Ich weiß, dass unsere Zulieferer sauber sind und die Hygieneregeln beachten.“Darauf achte sie an ihrem Stand ebenfalls. Die Kunden vertrauten darauf. Das mag auch einer der Gründe sein, warum der Absatz bei Gebhardts derzeit stabil ist.
An der „Früchte Insel“aus Bad Waldsee, darf man sich nicht einfach selbst bedienen oder zwanglos an den großen Stand treten. Beruhigende Distanz ist angesagt: Auch hier zirkelt ein rot-weißes Plastikband die Verkaufstheke weiträumig vom Kunden ab. Riedlinger Konsumenten müssen warten, bis sie an den Verkaufsstand herantreten dürfen. Dort bedient ein Verkäufer jeweils nur maximal einen Kunden gleichzeitig. „Wir beobachten kaum Hektik. Die Riedlinger sind sehr ruhig“, sagt Berthold Bausch. Er ist der
Chef des Obsthandels und steht mit weißen Gummihandschuhen neben der Obstauslage. Abstand wahren und keinen Kontakt mit den Händen der Käufer aufnehmen, das sei wichtig für ihn und seine Mitarbeiter.
Die Logistik im Hintergrund habe sich kaum verändert, seit das besagte Virus aufgetreten sei: Der Großmarkt und regionale Produzenten lieferten Gemüse und Obst nach Bad Waldsee oder Biberach. Mengen und Preise seien stabil, weil die Gastronomie nichts mehr bestelle. „Allerdings ist Ingwer knapp, das ist Wahnsinn. Der Preis hat sich verdoppelt. Aus China, einstiger Hauptproduzent, kommt gar nichts mehr.“
Am späten Nachmittag sind die Temperaturen in der Altstadt deutlich gestiegen, Menschen tragen mit Lebensmitteln gefüllte Körbe zu ihren Autos. Bald endet das beschauliche Markttreiben. David Kappeler hat seine rot-schwarze Fleece-Jacke abgelegt, auf dem Kopf eine schwarze Kappe. Er lächelt zufrieden hinter seinem Stand. „Ich habe am Nachmittag noch einiges verkauft. Ich werde schon durchkommen“, sagt er mit einem Augenzwinkern – fast ein Freitag wie in früheren Zeiten.
„Die Menschen freuen sich, dass ich auf dem Markt in Riedlingen bin.“