Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Besonnener Gang ins Ungewisse
Der Zwiefalter Gemeinderat votiert für eine Absage der Bürgermeisterwahlen am 24. Mai – wegen der Corona-Krise
ZWIEFALTEN – Keine Frage, für Zwiefalten könnte die Gemeinderatssitzung am Mittwochabend in der ortsansässigen Rentalhalle historisch gewesen sein: Trotz der derzeit geltenden strengen Kontaktsperre wegen der Corona-Pandemie versammelte sich das Gremium zu einer Sondersitzung, dem der noch amtierende Bürgermeister Matthias Henne zum letzten Mal vorsaß. Der Rat entschied sich mit lediglich einer Gegenstimme für eine Absage der am 24. Mai angesetzten Bürgermeisterwahl.
Ungeachtet der klaren Mehrheit schien das gesamte Vorhaben der Sitzung und der Wahl-Absage zunächst pikant: Angesichts des Versammlungsverbots wegen der Ausbreitung von Covid-19 war die Zusammenkunft der Lokalpolitiker sicherlich eine der größten Veranstaltungen in der Region seit die verschärften Regeln im Kampf gegen die bekannte Krankheit gelten. Einige Minuten vor 19 Uhr trafen die Gemeinderäte nach und nach in der Sporthalle ein, desinfizierten sich die Hände, zückten ihre mitgebrachten Kugelschreiber und trugen ihre Namen in die Anwesenheitsliste ein.
Jedes Ratsmitglied schritt zu einem ihm zugewiesenen Platz. Dort standen einzelne Tische mit jeweils einem Stuhl, die akkurat mindestens zwei Meter voneinander entfernt positioniert waren. Vis-à-vis der 15 teilnehmenden Gemeinderäte saßen drei Mitglieder der Gemeindeverwaltung: In der Mitte eröffnete Bürgermeister Matthias Henne die Sitdas zung, links – aus Sicht der Ratsmitglieder – saß Hauptamtsleiterin Susanne Baumgartner, rechts Thomas Rechtsteiner, Chef der Finanzverwaltung. Vor ihnen war ein Mikrofon für diejenigen aufgestellt worden, die sicher gehen wollten, dass ihre Wortbeiträge in der großen Halle zu verstehen sind. Sechs Bürger und die Presse mussten auf der Tribüne im ersten Stock Platz nehmen. Offenbar hat die Verwaltung besonderen Wert darauf gelegt, die Sitzung regelkonform vorzubereiten, damit diese nicht aus formalen Gründen für unzulässig erklärt werden könnte.
Gleichermaßen gründlich hat Hauptamtsleiterin Susanne Baumgartner auch die Sitzungsvorlage ausgearbeitet: Dafür gab es nicht nur fraktionsübergreifendes Lob der Ratsmitglieder, sondern auch Applaus. Denn in dem vierseitigen Dokument hat sie für mehr Klarheit in der unübersichtlichen Rechtslage um die Absage der Bürgermeisterwahl gesorgt. „Einen Wahlkampf zu führen, ist kaum möglich. Versammlungen in Gaststätten und Besuche von Haustür zu Haustür sind in der jetzigen Situation nicht machbar“, war eines der Argumente, die Susanne Baumgartner hervorbrachte. Das alles führe dazu, dass sich weniger Aspiranten zur Abstimmung aufstellen ließen. Das gelte insbesondere für Bürger, die in Quarantäne seien oder momentan zeitintensiv in systemrelevanten Berufen arbeiteten, zum Beispiel Krankenschwestern, Ärzte oder Mitarbeiter im Einzelhandel. „Wähler können sich zudem keinen persönlichen Eindruck von den Kandidaten verschaffen, denn
ist bei einer Bürgermeisterwahl hervorstechend“, argumentiert Baumgartner. Selbst wenn es Möglichkeiten gäbe, die Bewerber in den digitalen Medien vorzustellen, sei ein Teil der Wahlberechtigten davon ausgeschlossen, weil sie keinen Zugang zum Internet hätten.
Auch ein Votum ausschließlich durch Briefwahl sei in Baden-Württemberg nicht möglich, zugleich sei eine solche Wahl leichter anzufechten. Und: Selbst das Landratsamt könne eine solche Abstimmung nur dann annullieren, wenn ein offensichtlicher Verfahrensfehler vorliege. Zwiefalten müsse diese Entscheidung federführend herbeiführen. „Wir haben mit dem Gemeindetag und dem Landratsamt gesprochen und uns nach der Rechtslage erkundigt.“Sogar einer der bislang insgesamt zwei Bewerber auf die Bürgermeisterstelle habe großes Verständnis für eine Verschiebung der Wahl gezeigt, fügte Baumgartner hinzu.
Das sollte womöglich die Kritik kleinlaut halten, die freilich im Gremium artikuliert wurde, gleichwohl nur von einer Minderheit. „Ich glaube nicht, dass wir mit der Absage der Wahl und der Verlegung des Verfahrens
ein größeres Bewerberfeld erzielen“, sagte Ratsmitglied Kurt Betz. „Der Wahlkampf könnte auch ohne Hausbesuche erfolgen, jeder Kandidat würde diesen unter den gleichen Voraussetzungen führen. Auch wenn hier verständliche Argumente wegen der Ausbreitung des Coronavirus hervorgebracht wurden, würden wir uns keinen Gefallen tun, wenn wir die Wahl absagten.“Andere Ratsmitglieder machten ebenfalls deutlich, dass die Verwaltung wahrscheinlich bis Herbst ohne demokratisch legitimierten Rathauschef auskommen müsste. Trotz aller Argumente
für die Verschiebung der Wahl herrsche keine eindeutige Rechtslage.
In jedem Falle müsste die Stelle des Bürgermeisters bis 6. Juli besetzt sein, so sieht es die Gemeindeordnung vor. Die Befürworter der Absage wiesen darauf hin, man könne so Zeit gewinnen und den politischen Wettkampf auf die derzeitige Situation anpassen. Rathaus und der Gemeinderat sollten auf Sicht fahren und in vier Wochen die Lage prüfen. Dann könne man weitere Entscheidungen treffen. „Es gibt auch wichtigere Dinge als die Bürgermeisterwahl“, meinte Matthias Henne. Der Breitbandausbau, die Anschaffung eines Feuerwehrautos und der drohende Stopp von Fördermittel-Auszahlungen müssten in den Blick genommen werden. „Wir bleiben sachlich und besonnen.“
In einem Erlass vom Vortag hat das Innenministerium den Handlungsspielraum der Kommunen während der Corona-Krise gestärkt. Notwendige Wahlen und Gremiensitzungen dürften stattfinden, letztere allerdings lieber als Telefon- oder Videokonferenzen. Innenminister Thomas Strobl betont, der Infektionsschutz habe Priorität. Die Aufsichtsbehörden könnten daher Wahlen untersagen.
Ab sofort wird die stellvertretende Bürgermeisterin Maria KnabHänle fortan die repräsentativen Termine der Gemeinde wahrnehmen und Ratssitzungen leiten. Susanne Baumgartner wird bis auf weiteres die Verwaltung leiten, denn Matthias Henne tritt am 6. April seinen Job als Rathaus-Chef in Bad Waldsee an.