Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Multitalent Norbert Schramm
Die Feier fällt flach. An diesem Dienstag wollte Norbert Schramm auf seinen Geburtstag anstoßen, den Sechzigsten, im kleinen Kreis. Auch Ex-Frau und Tochter wollten einfliegen, beide leben in Wales. Geht aber alles nicht, die Welt hat Corona, das Fest liegt auf Eis. „Vielleicht hole ich es ja später nach“, sagt Norbert Schramm am Telefon. „Ich habe ja schon so viele Geburtstage gefeiert. Halb so wild.“Außerdem kennt er es ja: dass manches anders kommt als geplant. Dass das Leben Pirouetten schlägt und sich dreht, bis einem schwindlig wird, dass man ausrutschen kann, den Halt verliert und unsanft landet. Mehr noch als früher auf dem Eis, wenn er nur selten aus der Balance kam und auf dem Hintern saß.
Norbert Schramm, das war vor bald 40 Jahren eine der großen Persönlichkeiten des Eiskunstlaufs. Zweimal Europameister, zweimal Vize-Weltmeister. Er setzte Akzente, er sorgte für Farbtupfer als einer der ersten Läufer, die nicht schwarz trugen, sondern in einem bunten Kostüm über das Eis wirbelten. Auf YouTube kann man sich seine legendärste Kür nochmalS anschauen, Dortmund 1983, die Heim-EM. Der Anzug pinkrot, silberne Pailletten. Die Musik: Jean-Michel Jarre, „Oxygene 2“, Synthi-Sound. Dazu der Live-Kommentar des unvergessenen Hans-Joachim Rauschenbach, in seiner typischen Art minimalistisch schnörkellos, jeder Satz saß. „Der Salchow. Der Toeloop. Axel, dreifach. Der Flip. Sauber. Hoch. Der Anlauf zum Lutz. Es klappt alles. Die Westfallenhalle rast.“
Am Ende der Kür, die Pirouetten mit angewinkelten Ellbogen, die Unterarme mal oben, mal unten, ein Markenzeichen. Norbert Schramm, der Harlekin on ice. Schramm hatte schnell einen Stempel ab. Als Strahlemann, Sonnyboy, Schwiegermutters Darling, und wenn er heute zurückblickt, spricht er über Eiskunstlauf als eine Form von Exhibitionismus. „Wenn man in so einem hauchdünnen Anzug herumläuft, verkaufst du damit deinen Körper und prostituierst dich auch.“Das muss man mögen, auch Schramm störte das nicht, viele Leistungssportler sind Narzissten, die es genießen, wenn die Menschen ihren Körper bewundern. Doch irgendwann schlug es um.
1984 beendete er die Amateur-Karriere, tourte mit „Holiday on Ice“durch die Welt, doch auch da musste er sein Image pflegen, immer lächelnd, immer fröhlich. Manchmal lief Schramm in Lederhosen übers Eis. Mit Seppl-Hut als Gaudibursch. Heute sagt Schramm: „Da denkst du dann schon: Machst du noch, was du bist? Ich fühlte mich wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde, mit zwei Seelen in meiner Brust. Zwischen Sein und
Schein. Da verlierst du irgendwann deine Identität.“Es war auch diese Zerrissenheit, die zu seiner ersten Gesichtslähmung führte, 1997. „Ein furchtbarer Schock“, sagt Schramm, „wenn du morgens in den Spiegel schaust und aussiehst wie Karl Dall, wenn die rechte Seite runterhängt und die Suppe rausläuft.“Einige Jahre später erwischte es ihn auf der linken Seite, Ärzte untersuchten ihn auf Virus, Tumor, Nervenentzündung und fanden: nichts. „Sie sagten, dass es beide Male psychosomatisch war, stressbedingt.“Der Stress beim zweiten Vorfall, Nachwirkungen der Scheidung von seiner Frau, der die Promi-Termine ihres Mannes bei GalaAbenden und ShowEvents zu viel geworden waren.
Die Trennung von seiner Familie mit der damals zwölfjährigen Tochter, Schramm litt lange darunter, er nahm sich eine Auszeit, ging zum Pilgern auf den Jakobsweg, zog
Norbert Schramm über seine Zeit bei „Holiday on Ice“ nach Südamerika, lebte lange in Quito, dann in Buenos Aires, später in New York als Fotograf. „Insgesamt war ich sieben Jahre weg“, sagt er, „da habe ich lange über das Leben nachgedacht, was hätte ich wie anders machen können. Es hat mir geholfen, mit mir ins Reine zu kommen.“
Schramm war lange ein Getriebener. Ein Zerrissener. Ein Suchender. Zurück in der Heimat fand er dann seine Mitte. Verabschiedete sich vom Lebenskünstler. Machte den Immobilienfachwirt, arbeitet nun bei einem Familienunternehmen in Deggendorf, ein seriöser Beruf, solide. Schramm muss kein Image von früher mehr pflegen, es wäre in seinem Business auch kontraproduktiv, bei Gesprächen mit kaufinteressierten Kunden als lustiger Harlekin Pirouetten zu drehen. Oder als Gaudibursch mit SepplHut.
Natürlich verfolgt er auch heute noch den Eiskunstlauf, allerdings mehr mit Grausen als mit Begeisterung. „Es gibt keine Individualität mehr“, klagt er, es gehe nur noch um die meisten Vierfachsprünge, weil das die meisten Punkte bringt. „Eiskunstlauf ist zu einem Luftkampf verkommen.“Früher, zu seiner Zeit, da gab es noch gute
Typen. Toller Cranston, Scott Hamilton, Brian Boitano, später noch Jewgeni Pljuschtschenko. Charaktere mit Charisma und Charme, die mit dem Publikum spielten und tatsächlich Kunst in ihren Eislauf einbauten. Heute ist es eher Eisakrobatiklauf. Eiszirkuslauf.
Schramm selbst dreht mittlerweile ab, wenn das, was immer
Norbert Schramm wurde am 7. April 1960 in Nürnberg geboren, wo er auch die Grundschule besuchte. Sein Abitur machte er in Oberstdorf.
Nach seiner Eiskunstlaufkarriere studierte Schramm von 1988 bis 1992 an der Universität Augsburg Betriebswirtschaftslehre (BWL) und von 1996 bis 1998 in Berlin PR- und Öffentlichkeitsarbeit. Von 1992 bis Ende 2001 arbeitete er hauptberuflich als Immobilienmakler. Von 2002 bis 2007 war er künstlerischer Leiter der Eisshows im Europa-Park in Rust.
Norbert Schramm lebte zwischen 2010 und 2013 im Großraum New York. Mit dem Umzug nach New York City beschäftigte
GGGnoch wie seine Sportart heißt, im Fernsehen läuft. „Dafür ist mir die Zeit zu schade“, sagt er, „es ist alles so banal geworden.“Wer gerade amtierender Weltmeister sei, wisse er gar nicht, er selbst hätte in der heutigen Zeit eh keine Chance mehr. „Zu breite Schultern, zu viel Hintern. Ich würde gleich durchs Raster fallen.“ er sich beruflich mit Fotografie (www.foto-schramm.com).
Seit Oktober 2013 lebt Schramm wieder in Deutschland, in Sonthofen. Nachdem er in München eine Weiterbildung zum Immobilienfachwirt gemacht hat, ist er nun in Deggendorf tätig bei der ERL Immobiliengruppe im Vertrieb für altersgerechtes Wohnen.
Im Winter 2014/15 führte er mit der Jubiläumsshow Platinum von „Holiday on Ice“als Moderator auf Kufen durchs Programm und feierte sein 30-jähriges Bühnenjubiläum als Eiskunstlaufprofi. Zum Abschluss dieser Tournee wurde Norbert Schramm zum Ehrenbotschafter von „Holiday on Ice“ernannt. (sz)
GGSchramm spricht später auch noch von „realitätsfernen IOCFunktionären“, dass Sportler zweitranging seien. Doch dass es auch früher schon nicht sauber zuging, dass Mauscheleien an der Tagesordnung waren, das zeigt seine eigene Geschichte: Sarajewo 1984, die einzigen Olympischen Spiele in Schramms Laufbahn. Am Abend, bevor der dreiteilige Wettkampf mit Pflicht, Kurzprogramm und Kür begann, standen seine Eltern im Deutschen Haus, als, wie Schramm erzählt, ein NOK-Mitglied zu ihnen kam, ein gewisser Thomas Bach. Ganz besorgt fragte er, was denn vorgefallen sei, er habe eben von einem russischen Funktionär erfahren, dass ihr Sohn nur Platz neun belegen würde. Wobei Bach weniger die Tatsache zu erschüttern schien, dass das Ergebnis schon feststand, sondern vielmehr, dass die Platzierung so schlecht war. Der Hintergrund, laut Schramm: „Interne Querelen mit zwei Lagern im deutschen Verband, und das Lager, das nicht auf meiner Seite war, hatte großen Einfluss im Klüngel der Preisrichter.“Wie prophezeit und festgelegt, Schramm wurde Neunter.
Noch mal ein großes Zitat des wunderbaren Hajo Rauschenbach: „Mit Preisrichtern ist es wie mit Pilzen – auf einen guten kommen zehn schlechte.“
Gegen Ende des Gesprächs noch eine andere Episode aus der Vergangenheit. Was lief da eigentlich? 1983 in Dortmund, mit Katarina Witt? Beide hatten gerade den EMTitel gewonnen, abends beim Bankett sollten die beiden Walzer tanzen. „Katarina konnte aber keinen Walzer“, erzählt Schramm, „also sind wir raus in die Küche zum Üben, aber kaum legte ich meinen Arm um sie, kam schon einer ihrer Aufpasser daher.“Viele Jahre nach dem Mauerfall erfuhr Schramm, dass über diesen Vorgang in Witts Stasi-Akte 33 Seiten vermerkt wurden. Und die von manchen Medien damals angedichtete Liebesaffäre als deutsch-deutsches Traumpaar? Humbug. Kürzlich habe man sich mal wieder bei einer TV-Show hinter der Bühne getroffen, viel zu sagen hatte man sich nicht. „Wir hatten und haben nicht wirklich viel gemeinsam“, so Schramm.
Es muss ja nicht die Witt sein, aber jetzt mit 60 noch mal eine langfristige Partnerschaft, für Schramm wäre das eine schöne Vorstellung. Im Dezember stand er für ein Porträt des Bayerischen Fernsehens auf dem Gipfel des Nebelhorns, dem Oberstdorfer Hausberg. Da war ein ganz lässiger Typ zu sehen, schlohweißes Haar, schlank, drahtig, das Gesicht straff, von Gesichtslähmung keine Spur mehr. Jedenfalls sprach er von seinem Traum, hier in der Heimat mit jemandem den Lebensabend zu verbringen, der die Allgäuer Berge genauso liebe wie er. „Eine Partnerin, mit der ich mich austauschen kann“, ergänzt er jetzt noch am Ende des Telefonats, „mit der man gemeinsam schöne Erlebnisse teilt, der man zuhört und Geschichten erzählt.“Eine glückliche Beziehung, ein harmonischer Paarlauf durch den Rest des Lebens. Wäre noch einmal eine grandiose Kür.
„Ich fühlte mich wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde, mit zwei Seelen in meiner Brust. Zwischen Sein und Schein.“