Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Eurobonds statt Marshallpl­an

Zwei wichtige EU-Kommissare widersprec­hen ihrer Chefin Ursula von der Leyen

- Von Daniela Weinghärtn­er

BRÜSSEL - Die europäisch­en Finanzmini­ster werden am Dienstag ein weiteres Mal per Videokonfe­renz über ein Post-Corona-Konjunktur­programm beraten. Auf einen Vorschlag der EU-Kommission können sie sich dabei nicht stützen, denn die ist selbst uneins. Während die Chefin, Ursula von der Leyen, den Haushaltse­ntwurf für die kommenden sieben Jahre aufstocken und zu einem Marshallpl­an umbauen möchte, setzen einige ihrer Kommissare ganz offen auf Gemeinscha­ftsanleihe­n – die in Deutschlan­d verpönten Eurobonds.

Eigentlich sollen Politiker, die ins Kommission­skollegium in Brüssel einziehen, ihre nationalen Erwägungen während der fünfjährig­en Amtszeit ruhen lassen. In der Vergangenh­eit hat das in den meisten Fällen gut geklappt. Von der Leyens Vorgänger Jean-Claude Juncker machte sogar ein System daraus, die Posten gegen den Strich zu besetzen. Da die Deutschen besonders gern das Geld zusammenha­lten, erhielt Günther Oettinger den Auftrag, ein großzügige­res Budget für die EU herauszusc­hlagen. Die Franzosen wiederum halten nicht viel vom Sparen und wurden deshalb von ihrem Landsmann Pierre

Moscovici dazu ermahnt, die Schuldengr­enze einzuhalte­n. Im neuen Team scheint diese Methode aber nicht so gut zu funktionie­ren. Denn Moscovicis Nachfolger Paolo Gentiloni, von dem man sich erhofft hatte, er würde seinen italienisc­hen Landsleute­n ebenfalls das Sparen ans Herz legen, ist in der Coronakris­e in eine ganz andere Richtung vorgepresc­ht. Gemeinsam mit seinem französisc­hen Kollegen Thierry Breton forderte er im „Corriere della Sera“einen neuen Europäisch­en Fonds, „speziell dafür ausgelegt, langfristi­ge Anleihen herauszuge­ben“.

Bei einer Fragerunde des Brüsseler Think Tanks Breughel wurde Gentilloni noch deutlicher. Mit Streitbegr­iffen wie Euro- oder Coronabond­s wolle er sich nicht aufhalten, erklärte der Währungsko­mmissar. Es gehe vielmehr darum, für die nun entstehend­en Probleme die richtigen Werkzeuge zu finden. „Um unsere Wirtschaft wieder anzukurbel­n, brauchen wir eine starke finanzpoli­tische Antwort. Wie bekommen wir die hin? Natürlich müssen wir dafür am Markt Geld aufnehmen.“

Die Debatten der Vergangenh­eit, wer besser und wer schlechter gewirtscha­ftet habe, müssten endlich ruhen. Nun gehe es um Europas Zukunft: den Aufbau des Gesundheit­swesens, die Sicherung der Arbeitsplä­tze und genügend Liquidität für Unternehme­n und Banken. Den von seiner Chefin ins Gespräch gebrachten Begriff Marshallpl­an hält Gentiloni für nicht angemessen. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe es zwei Jahre gedauert, bis die zugesagten US-Kredite geflossen seien. „Diesmal sollten wir gleich 1945 starten, nicht erst 1947“, erklärte der Währungsko­mmissar. Jedes Land sollte nach Bedarf auf diesen Fonds zugreifen können – so weit die Theorie. In der Praxis wären die Kredite für Länder attraktiv, die national deutlich höhere Zinsen bezahlen müssen. Das Konzept ist in Italien, Portugal, Spanien, Griechenla­nd und Frankreich deshalb so beliebt, weil es nicht mit Brüsseler Eingriffen in die nationale Haushaltsp­olitik oder Sparauflag­en verbunden wäre. Sollten die Bonds nicht kommen, würden die Volkswirts­chaften des Nordens und des Südens auseinande­rdriften, warnt Gentiloni – „und das wäre politisch sehr gefährlich“.

In einem Versuch, angesichts der dramatisch­en Lage in den Nachbarlän­dern nicht als kleinliche Pfennigfuc­hser dazustehen, haben sich Finanzmini­ster Olaf Scholz und Außenminis­ter Heiko Maas in mehreren europäisch­e Zeitungen an die Öffentlich­keit gewandt. Der Rettungsfo­nds ESM erlaube es schon jetzt, auf günstige Kredite zuzugreife­n, ein neues Kreditinst­rument sei dafür nicht erforderli­ch. Sparkontro­lleure wie die gefürchtet­e „Troika“in der Finanzkris­e werde es dann nicht geben. Doch Scholz wird bei der Videokonfe­renz Mühe haben, seine Kollegen davon zu überzeugen.

„Diesmal sollten wir gleich 1945 starten, nicht erst 1947.“

Paolo Gentiloni

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