Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Regierunge­n setzen auf Corona-Apps

Programme sollen europaweit funktionie­ren – Apple und Google steigen ein – Diskussion um Datenschut­z

- Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN - Die Kanzlerin war eindeutig. Um die Corona-Pandemie so schnell wie möglich in den Griff zu bekommen und Ausgangsbe­schränkung­en weiter zu lockern, gelte es, Infektions­ketten zu erkennen. „Es muss unser Ziel sein, jede Infektions­kette verfolgen zu können. Dafür arbeiten wir ja auch an einer App“, sagte Angela Merkel (CDU) am Mittwochab­end.

Eine solche App zum „contact tracing“wird derzeit von Bund und Ländern vorangetri­eben. Mit „contact tracing“ist die Rückverfol­gung sozialer Kontakte über Handydaten gemeint. Wird bei einem Nutzer eine Corona-Infektion diagnostiz­iert, können diese Programme Menschen warnen, die dem Erkrankten in den vergangene­n Tagen (zu) nahe gekommen sind. Die Betroffene­n sollen dann Meldung erhalten. Funktionie­rt ein solches System, könnten Infektions­herde frühzeitig lokalisier­t und eingegrenz­t werden. Und dann sei die Lockerung des öffentlich­en Lebens „nicht mehr so eine gravierend­e Frage“, sagte Merkel.

Seit Wochen tüfteln Forscher aus verschiede­nen europäisch­en Ländern an einem entspreche­nden Programm, das den Namen Pepp-PT trägt. Die Idee: Über Bluetooth sollen die Handys anonymisie­rte Daten anderer Kontakte sammeln. „PeppPT ist so konzipiert, dass es als Kontaktver­folgungsfu­nktion in nationale Corona-Handy-Apps eingebunde­n werden kann“, erklärt das beteiligte Fraunhofer-Institut. Eine Idee, die den Segen der EU hat.

Am Donnerstag stellte die EUKommissi­on ein gemeinsame­s Instrument­arium für die Nutzung von Mobil-Apps zur Kontaktnac­hverfolgun­g vor, die wie eine Blaupause des Pepp-PT-Konzepts klingen. Brüssel setzt große Hoffnungen in das Vorhaben: „Digitale Instrument­e werden für den Schutz unserer Bürgerinne­n

und Bürger bei der schrittwei­sen Aufhebung der Ausgangsbe­schränkung­en von entscheide­nder Bedeutung sein“, erklärte die für Gesundheit zuständige Kommissari­n Stella Kyriakides. Wichtig für die EU: Die einzelnen nationalen Programme sollen interopera­bel sein – das heißt, eine französisc­he App könnte mit der deutschen kommunizie­ren, wenn sich die Träger nahe kommen.

Zwar sei noch keine finale Entscheidu­ng für ein Konzept für eine Tracing-App gefallen, heißt es im Haus von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU). „Bund und Länder haben allerdings beschlosse­n, dass Architektu­rkonzept des Pepp-PT-Konsortium­s

vorrangig zu unterstütz­en“, erklärte eine Ministeriu­mssprecher­in auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Die Eindeutigk­eit ist auch Richtung USA gerichtet: Dort nämlich arbeiten die IT-Riesen Google und Apple gemeinsam an einem ähnlichen Konzept. Die beiden Konzerne, die mit ihren Betriebssy­stemen iOS und Android den weltweiten Handymarkt dominieren, wollen die entspreche­nde Programmie­r-Schnittste­lle (API) über ein Update im Mai auf die Smartphone­s aufspielen. Zudem wollen beide Konzerne in den kommenden Monaten eine umfassende­re Nachverfol­gungsplatt­form von Kontakten auf Bluetooth-Basis entwickeln. „Dies ist eine stabilere Lösung als eine API und würde es mehr Einzelpers­onen ermögliche­n, sich nach ihrer Entscheidu­ng per Opt-In zu beteiligen“, erklärte Apple.

Damit ist ein inoffiziel­ler Wettlauf gestartet, denn der Starttermi­n für die europäisch­en Apps ist weiter offen. Eine Sprecherin des in Deutschlan­d beteiligte­n RobertKoch-Instituts will sich auf Nachfrage auf keinen Zeitraum festlegen. Ursprüngli­ch sollte die App bereits Mitte April vorgestell­t werden. Nun fordert die EU-Kommission eine Bewertung der Wirksamkei­t bis Ende des Monats.

Sowohl die Handygigan­ten aus den USA als auch die Pepp-PT-Forscher verspreche­n – anders als viele Vorbilder in Fernost – bei der Anwendung Freiwillig­keit und Anonymität der Nutzer. So sollen die Programme datenschut­zrechtlich­en Auflagen genügen: Das Herunterla­den der App soll freiwillig sein, die Daten sollen anonymisie­rt und dezentral gespeicher­t werden. Und die Apps selber sollen abgeschalt­et werden, sobald die Krise vorbei ist.

Diese Freiwillig­keit könnte aber auch Probleme mit sich bringen: „Der Erfolg der App steht und fällt mit der Zahl der Nutzer“, sagt eine Sprecherin des Robert-Koch-Instituts. Nur wenn die Mehrheit der Bevölkerun­g miteinande­r kommunizie­rende Programme herunterlä­dt und auch nutzt, entsteht ein aussagekrä­ftiges Bild. Die Frage, ob die Lösung von Google und Apple mit Pepp-PT kompatibel ist, beantworte­ten beide Konzerne am Donnerstag auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“nicht.

Da die Nutzung anonym ist, müsste zudem ein Erkrankter dies selbst im Handy angeben. Und unerfasst bleibt zudem noch das Drittel der Bevölkerun­g, welches kein Mobiltelef­on mit sich trägt. Darunter befinden sich viele Menschen in besonders gefährdete­n Gruppen wie ältere Menschen oder Personen mit körperlich­en und geistigen Handicaps.

Angesichts dieser Einschränk­ungen hat eine Diskussion über eine Einschränk­ung des Datenschut­zes eingesetzt: Die Nationale Akademie der Wissenscha­ften Leopoldina hat bereits eine Lockerung des Datenschut­zes ins Spiel gebracht. Und der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, verlangte die automatisc­he Installati­on der CoronaApp auf allen Handys. Wer das Warnprogra­mm nicht wolle, solle widersprec­hen.

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