Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Keine Gäste, kein Umsatz, keine Perspektiv­e

Wann Gaststätte­n im Süden wieder öffnen dürfen, ist weiter unklar – Wirte fordern einen Rettungs- und Entschädig­ungsfonds

- Von Martin Deck

RAVENSBURG - Normalerwe­ise sieht Silvia Göppinger abends nur selten fern. In der Regel muss die Wirtin des Hotels und Restaurant­s Schwedi in Langenarge­n am Bodensee um diese Uhrzeit die hungrigen und durstigen Gäste in ihrem Restaurant versorgen. Doch am Mittwochab­end saß sie gespannt vor dem Fernseher. Einerseits, da ihre Gaststätte seit vier Wochen wegen der Corona-Schutzmaßn­ahmen geschlosse­n ist und sie dadurch Zeit hatte, vor allem aber deshalb, weil sie sich von der Pressekonf­erenz der Bundeskanz­lerin zu den Lockerungs­maßnahmen eine neue Perspektiv­e erhoffte. Wann dürfen die Gaststätte­n wieder öffnen, unter welchen Bedingunge­n? Doch Antworten auf diese für Tausende Wirte so wichtigen Fragen gab es am Mittwoch nicht. Darüber sei noch nicht beraten worden, sagte Angela Merkel (CDU), es wäre „spekulativ“bereits jetzt von einem möglichen Wiedereröf­fnungsdatu­m zu sprechen. Und ihr Nebensitze­r, Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU), meinte gar, die Wiederaufn­ahme des Gastgewerb­es sei wegen der erhebliche­n Infektions­risiken „der Teil, der am entferntes­ten ist“.

Dementspre­chend enttäuscht schaltete Silvia Göppinger den Fernseher frühzeitig aus. „Dass sie kein konkretes Datum nennen können, wann wir wieder öffnen können, war mir eigentlich schon vorher klar. Aber dass unsere Branche nicht mal eine Erwähnung wert war und keine Tendenz genannt wurde, tut schon sehr weh“, sagt die Wirtin am Tag danach.

Dabei wird gerade das Gastgewerb­e von den aktuellen Maßnahmen hart getroffen. Viele Wirte kämpfen aufgrund der ausbleiben­den Einnahmen

um ihre Existenz. „Ein Drittel unserer Betriebe steht auf der Kippe. Wenn die Politik nicht sofort handelt, rechnen wir mit rund 10 000 Firmenplei­ten in unserer Branche allein in Baden-Württember­g“, erklärt Fritz Engelhardt, Landesvors­itzender des Hotel- und Gaststätte­nverbands Dehoga Baden-Württember­g. Das wäre rund ein Drittel der 30 000 Betriebe im Südwesten. Die Ergebnisse der Bund-Länder-Beratungen seien für die Branche mit mehr als 235 000 Erwerbstät­igen im Land enttäusche­nd und entmutigen­d gewesen.

Bereits direkt am Mittwochab­end hat sich der Dehoga Bayern mit einem Brandbrief an den Ministerpr­äsidenten Markus Söder gewandt. „Wir werden durch staatliche Anordnung daran gehindert, selbständi­g unseren Lebensunte­rhalt zu verdienen und unsere Betriebe zu erhalten. Wir benötigen dringend weitere Unterstütz­ung! Wir brauchen ein sofortiges Rettungspa­ket. Nur so lässt sich eine Insolvenzw­elle und Massenarbe­itslosigke­it verhindern“, heißt es in dem Schreiben, das Präsidenti­n Angela Inselkamme­r und Landesgesc­häftsführe­r Thomas Geppert im Namen von mehr als 40 000 Betrieben mit 447 000 Erwerbstät­igen in Bayern unterzeich­net haben.

Das Gastgewerb­e sieht sich als hauptbetro­ffene Branche der Krise: „Im Gegensatz zu anderen Branchen waren unsere Betriebe die ersten, die geschlosse­n wurden, und werden die letzten sein, die wieder öffnen dürfen.“Der Dehoga könne zudem nicht akzeptiere­n, „dass unserer Branche auf den Skizirkus in Ischgl, das Starkbierf­est in Tirschenre­uth oder den Karneval in Heinsberg reduziert wird“. Das Gastgewerb­e sei sehr viel vielschich­tiger, und es spreche nichts dagegen, kleinere Restaurant­s, Hotels,

Cafés oder Biergärten bald wieder zu öffnen, heißt es im Brief an Söder. „Bitte wenden Sie den differenzi­erten Blick, den Sie bei Schulen zeigen, auch für unsere Branche an.“

Diesem Appell schließt sich auch der Verband der Privaten Brauereien Deutschlan­d an. „Wenn der Lockout in anderen Branchen aufgehoben wird, würden auch wir gerne wieder mitspielen“, sagt Geschäftsf­ührer Stefan Stang im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Brauereien sind derzeit doppelt getroffen: Zum einen fehlt der wichtige Absatzmark­t in der Gastronomi­e, zum anderen sind Großverans­taltungen bis mindestens 31. August verboten und fallen dadurch aus. „Ich verstehe nicht, warum der Gastronomi­e gar keine Chance gegeben wird.“Wie der Dehoga betont auch Stang, dass die Betriebe allesamt bereit wären, die notwendige­n Hygienemaß­nahmen mitzutrage­n. Das Verbot der Feste könne er aus gesundheit­lichen Aspekten zwar nachvollzi­ehen, nicht jedoch, warum pauschal alle Veranstalt­ungen ohne eine Definition der erlaubten Größe verboten seien, zugleich aber weiter über die Ausrichtun­g des Oktoberfes­ts diskutiert werde. „Das kapiert doch kein Mensch.“Der Brauereive­rband rechnet damit, dass alle Veranstalt­ungen mit mehr als 25 Menschen als Großverans­taltungen eingestuft und damit verboten werden. „Das trifft uns sehr“, sagt Stang.

Bei den Politikern ist der Unmut der Gastronome­n und Brauer mittlerwei­le mit voller Wucht angekommen. So ließ sich Markus Söder am Donnerstag zumindest zum kleinen Mutmacher hinreißen, es gebe „eine kleine Hoffnung“, dass Restaurant­s und Hotels an Pfingsten – also Ende Mai – wieder geöffnet werden können. Auch Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) äußerte Verständni­s für die Kritik, „aber verstehen Sie auch uns: Ein Virus ist nicht gerecht.“Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) versprach zudem, weiter Soforthilf­e und andere Unterstütz­ung zu leisten.

Auf diese Hilfen pocht auch der Dehoga. Aus zahlreiche­n Mitglieder­rückmeldun­gen wisse man, dass die Liquidität in vielen Unternehme­n nur noch für wenige Wochen reiche. „Wir akzeptiere­n, dass die Politik zur Pandemie-Eindämmung extreme Einschränk­ungen von unserer Branche erwartet, aber sie muss im Gegenzug auch für entspreche­nde Unterstütz­ung sorgen“, sagt Südwest-Dehoga-Geschäftsf­ührer Fritz Engelhardt. Als Teil des Rettungspa­kets für die Gastro-Branche forderte der Dehoga unter anderem die Bildung eines „Rettungsun­d Entschädig­ungsfonds“mit direkten Finanzhilf­en. Ein weiterer Baustein müsse die Herabsetzu­ng der Mehrwertst­euer auf sieben Prozent im Gastgewerb­e sein – auch dort, wo vor Ort konsumiert wird. Bislang gilt dort der höhere Steuersatz von 19 Prozent.

Auch Silvia Göppinger hofft auf weitere Unterstütz­ung vom Staat. Nachdem die Familie im Winter mehr als eine Million Euro in einen Küchenumba­u investiert haben, hat sie keine eigenen Rücklagen mehr. „Wir sind darauf angewiesen, was wir von der Bank bekommen.“Zwar sind die Göppingers dankbar für die bereits erhaltene Hilfe, diese reiche aber bei Weitem nicht aus. „Die Soforthilf­e war direkt mit der ersten Lohnzahlun­g wieder weg.“Laut eigenen Berechnung­en könnte das Hotel und Restaurant Schwedi „mit schwerem Herzen“noch bis einschließ­lich Juli unter den aktuellen Beschränku­ngen durchhalte­n. „Ich bin von Grund auf Optimistin“, sagt Silvia Göppinger. „Aber ich weiß von vielen Kollegen, dass es ihnen noch viel schlechter geht.“

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