Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Schwedens Hauptmann von Köpenick
Hoch dekoriert und Hochstapler – Falscher Offizier schafft es bis ins Nato-Hauptquartier
STOCKHOLM – Fast 20 Jahre lang hat ein Hochstapler in Schwedens Armee, dem Geheimdienst und der Küstenwache als falscher Offizier eine steile Karriere vom Hauptmann bis hin zum Oberstleutnant hingelegt. Eine Geschichte, die an die Posse um Friedrich Wilhelm Voigt erinnert – „Der Hauptmann von Köpenick“. Der erschlich sich 1906 in falscher preußischer Uniform die Stadtkasse von Köpenick. Doch ein Fall in Schweden stellt Voigt in den Schatten.
Vom Führerschein übers Universitätsexamen bis hin zur Offiziersausbildung: All das existiert nur in der Phantasie des schwedischen Hochstaplers. Die entsprechenden Urkunden fälschte er. Das geht aus einem Untersuchungsbericht des schwedischen Militärs hervor. Die „Voruntersuchung bezüglich einer möglichen Anklageerhebung läuft“, sagte Staatsanwalt James von Reis. Schon in drei Wochen könnte Anklage gegen den Verdächtigen erhoben werden. Für Schwedens Militärbehörde ein äußerst peinlicher Vorfall. Schließlich hatte der falsche Offizier bereits eine lange Karriere hinter sich, bevor er aufflog.
So wurde der Hochstapler, neben Diensten im militärischen, schwedischen Geheimdienst, in dem er, laut der Zeitung „Dagens Nyheter“, Kontaktoffizier für den russischen Militärgeheimdienst FSB war, zum Oberstleutnant befördert, um drei Jahre im Hauptquartier der Nato (SHAPE) seinen Dienst zu tun. Dort arbeitete er laut eigener Aussage im Gespräch mit „Dagens Nyheter“als
Chef eines multinationalen Teams mit Fokus auf das operative IT-System mit mehr als 80 000 Nutzern und „hohem Geheimhaltungsgrad“. Darunter das „Afghanistan Mission Network“. Ein System mit dem NatoMitgliedsländer sensible Informationen austauschen. Außerdem war der Hochstapler als Stabschef für einen UN-Einsatz in Mali mit schwedischer Beteiligung tätig undals Hauptmann im Kosovo unterwegs.
Der falsche Offizier war offenbar geschickt darin, Freundschaften mit
Kameraden und auch Vorgesetzten zu schmieden. Er war schlicht beliebt. „Kollegialität in Schwedens Landeswehr ist die wichtigste Korpstugend. Hinterfragt wird man nicht, auch wenn man vielleicht nicht den allerbesten Job macht“, sagt ein schwedischer Offizier, der seinen Namen nicht nennen möchte, dieser Zeitung. „Der Fall ist ein Alptraum für unseren Ruf“, fügt er hinzu.
Das Kartenhaus des falschen Offiziers stürzte ein, als er sich erneut auf eine Stelle bewarb. Wäre er beim
Militär geblieben, hätte er vielleicht General werden können. Bis zu zwei Dienstgrade darunter hatte er sich bereits hochgeschlichen. Doch der falsche Soldat wollte immer mehr – vor allem Geld.
So arbeitete er etwa beim schwedischen Rüstungskonzern Saab und zwei Jahre bei der schwedischen Küstenwache auf Chefebene. Dann wollte er laut „Dagens Nyheter“als Sicherheitschef bei einer weiteren, namentlich nicht bekannten Behörde arbeiten. Dort entdeckte erst 2018 eine aufmerksame Bedienstete in der Personalabteilung nach Bewerbungseingang, dass der Topoffizier entgegen seinem Lebenslauf keinen Führerschein und keinen Universitätsabschluss hatte. Zwei einfache Anrufe bei der Führerscheinstelle und der Universität hatten genügt.
Die Küstenwache, bei der der Mann noch angestellt war, entließ ihn. Auch alle anderen Behörden inklusive Militär und Regierung wurden informiert. Doch niemand reagierte. Im Gegenteil: Im Sommer 2019 wurde der Mann wieder als Stabschef beim schwedischen Militär eingesetzt. Später stellte sich heraus, dass der Mann die Offiziersausbildung einst tatsächlich begonnen hatte, aber nicht beenden durfte, weil schon damals, Ende der Neunziger Jahre, herauskam, dass er seine Schulnoten aufpoliert hatte.
Mittlerweile meldete sich auch der Hochstapler persönlich zu Wort. „Es war wohl eine recht umfangreiche Übertreibung“, so der Mann über seinen kreativen Lebenslauf. Fast so, als ob er stolz auf das ist, was er geleistet hat. Auch das erinnert an den Hauptmann von Köpenick.