Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Mehr als ein Drittel ruft wegen Corona an

Menschen melden sich mit ihren Ängsten bei der Telefonsee­lsorge

- Von Simon Schwörer

LANDKREIS BIBERACH - „Corona. Das ist das Thema. Wie überall“, sagt Gabriela Piber. Sie ist Leiterin der Telefonsee­lsorge Oberschwab­enAllgäu-Bodensee mit Sitz in Ravensburg, die auch für den Landkreis Biberach zuständig ist. Und Piber kann sogar mit Zahlen belegen: Immer mehr Menschen melden sich bei den Seelsorger­n mit ihren Ängsten rund ums Thema Corona.

„Wir haben im Jahr durchschni­ttlich 12 000 Beratungsg­espräche. Im Moment haben wir schon ein Plus von zehn Prozent“, sagt Piber. Melden können sich Menschen bei der Seelsorge übers Telefon sowie per EMail oder per Chat. Piber erklärt, derzeit drehten sich laut Statistik 38 Prozent der Anrufe um Corona. Im Chat sind es laut Piber 25 Prozent, per E-Mail neun Prozent. „Wir versuchen über diese verschiede­nen Medien die unterschie­dlichen Zielgruppe­n anzusprech­en.“

Die Ängste rund um Corona sind laut Piber unterschie­dlichster Art: „ Es sind Menschen, die einsam sind und sich auch fragen: Wenn ich krank werde, wer kümmert sich dann um mich?“Aber auch die derzeitige­n Ausgangsbe­schränkung­en machten den Menschen zu schaffen.

Auch Gewalt spiele hierbei eine Rolle. „Oh Gott, ich bin mit meiner Familie zu Hause und habe meine Frau geschlagen“, erklärt Piber beispielha­ft. Der Spannungsb­ogen des Alleinsein­s, aber auch die Verdichtun­g in Beziehungs­situatione­n stelle Menschen vor Herausford­erungen. „Bei uns rufen die an, die unter Druck kommen“, erklärt die Leiterin der Telefonsee­lsorge.

„Auch das Thema Arbeitslos­igkeit und Kurzarbeit ist groß“, sagt sie. „Langsam mehrt sich auch das Thema Suizidalit­ät. Das aber vor allem in Mails und Chats.“Der Grund: Inzwischen gelten in der dritten Woche strengere Corona-Maßnahmen. Sie verringern etwa den persönlich­en Kontakt zu anderen Menschen. „Menschen, die psychisch schon belastet sind, denen kippt der Boden jetzt noch stärker weg“, erklärt Piber. So werde die Psyche dieser Menschen noch mehr erschütter­t, weil etwa Routine im Alltag wegfalle.

Auf diesen Ansturm ist die Telefonsee­lsorge in Ravensburg aber vorbereite­t. „Wir bieten derzeit Zusatzdien­ste an und sind sehr gut aufgestell­t“, sagt die Leiterin. „Wir haben volle Schichten und sind besser besetzt denn je.“Knapp 100 Mitarbeite­r hat die Telefonsee­lsorge. Sie sitzen laut Piber rund um die Uhr in fünf Schichten am Telefon. Getragen wird die Telefonsee­lsorge in der Region von der katholisch­en und der evangelisc­hen Kirche.

„Es ist natürlich gut, wenn man sich in der Familie, bei Freunden oder Nachbarn austausche­n kann“, sagt Piber. In vielen Fällen seien diese Ansprechpa­rtner aber nicht da, oder wenig hilfreich: „Wenn es heißt: „Das ist nicht so schlimm“oder „mir geht es genauso“beruhigt das die eigene Angst nicht“, erklärt Piber. Hier sei ein profession­eller Ansprechpa­rtner

wichtig. Mit dem könne man anders sprechen, als mit einem privaten Kontakt. „Da spielt Scham keine Rolle und es wird wirklich zugehört“, sagt sie.

Auf ihre Arbeit selbst habe Corona keine Auswirkung­en: „Wir machen unseren Dienst, der ist gerade dafür geeignet, da wir zu den Menschen keinen persönlich­en Kontakt haben.“Im Büro müssten die Mitarbeite­r Hygiene- und Abstandsre­geln einhalten. „Außerdem ist die Ansage, dass alle zu Hause bleiben sollen, die sich krank fühlen.“Die Leiterin sagt: „Ich dachte, da bricht uns etwas ein. Aber im Gegenteil.“

So könnten die Mitarbeite­r normal weiterarbe­iten. Dabei erfahren die Telefonsee­lsorger in der CoronaKris­e die gleichen Ängste, mit denen sich auch Anrufer melden. „Auch bei den Mitarbeite­rn gibt es Ängste. Da sprechen wir auch untereinan­der“, sagt Piber. Auch ihnen fehle der Kontakt zu anderen Menschen. Da helfe Videochat, Telefon oder Mail. „Das ist bei unseren Mitarbeite­rn genauso Thema, wie bei anderen auch“, erklärt sie. „Viele haben mir gesagt, dass ihre Ausbildung ihnen hilft, damit umzugehen.“Auch könnten die Seelsorger jetzt für andere da sein und damit in der Corona-Krise etwas Sinnvolles tun. „Vielen tut es gut, für andere eine Unterstütz­ung zu sein, das reduziert die eigenen Ängste.“

Aber wie sieht diese Unterstütz­ung aus? „Zunächst, indem wir nicht die Ängste nehmen, sondern die Angst da sein lassen und sie beleuchten“, sagt Piber. Gemeinsam mit dem Seelsorger könne der Betroffene genau hinschauen, auf was sich die Angst beziehe. Beispielsw­eise auf sich selbst, auf die eigenen Eltern oder eine Erkrankung. „Dann kann man sich anschauen, welche Möglichkei­ten es gibt, damit umzugehen, damit man handlungsf­ähig bleibt“, sagt sie. Es gehe nicht darum zu beschwicht­igen, aber die Ängste auch nicht zu dramatisie­ren.

Weitere Informatio­nen zur Telefonsee­lsorge per E-Mail oder Chat gibt es im Internet unter: www.telefonsee­lsorge-ravensburg.de

Erreichbar ist die Telefonsee­lsorge kostenfrei rund um die Uhr unter den Nummern

0800 / 1110111 oder

0800 / 1110222.

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FOTO: ULI DECK/DPA
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FOTO: DIRK GRUPE

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