Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Wissenscha­ftler haben lange gewarnt“

Ulmer Professori­n über das Coronaviru­s und welche Rolle die Umwelt dabei spielt

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ULM (sz) - Seit Wochen hält die Corona-Pandemie die Welt in Atem: Offenbar auf einem Markt im chinesisch­en Wuhan ist das potenziell lebensbedr­ohliche Virus vom Tier auf den Menschen übergespru­ngen. Professori­n Simone Sommer von der Universitä­t Ulm ist Expertin für solche „Zoonosen“. Im Interview erklärt die Leiterin des Instituts für Evolutions­ökologie und Naturschut­zgenomik, was passieren muss, damit Erreger die Artengrenz­en übertreten und welche Rolle dabei die Umweltzers­törung und der Verzehr von Wildtieren spielen.

Frau Prof. Sommer, das neue Coronaviru­s Sars-CoV-2 gilt als Zoonose, also als Infektions­krankheit, die bei Menschen und Tieren vorkommt. Was muss passieren, damit ein Erreger die Artengrenz­e überspring­en kann?

Simone Sommer: Ganz generell tragen Viren an Ihrer Oberfläche Strukturen, die wie ein Schlüssel in das Schloss der Wirtszelle passen. Nur Viren mit dem passenden Schlüssel können in die Zellen eines neuen Wirts eindringen und diese so umprogramm­ieren, dass sie Viruskopie­n produziere­n. Bei der Herstellun­g dieser Kopien unterlaufe­n der Wirtszelle aber auch Fehler, wodurch sich die Viren verändern. Dabei kann zufällig ein Schlüssel entstehen, der zu den Zellen einer ganz anderen Wirtsart passt. Konkreter ausgedrück­t: Werden Viren vom ursprüngli­chen tierischen Wirt auf den Menschen übertragen, könnte unter Millionen Erregern einer sein, der in der Lage ist, menschlich­e Zellen zu infizieren. Damit ist die Artenschra­nke überwunden, eine Tierinfekt­ion wurde auf den Menschen übertragen und breitet sich aus. So ist es mutmaßlich auch auf dem Markt im chinesisch­en Wuhan passiert. Ob die Übertragun­g direkt von der Fledermaus auf den Menschen erfolgte oder ob eine weitere Tierart beteiligt war, ist noch nicht geklärt.

Wie bei Ebola scheint der Ursprung der Corona-Pandemie also bei der Fledermaus zu liegen. Warum sind diese Tiere wiederholt Auslöser von Epidemien?

Zunächst muss ich eine Lanze für Fledertier­e brechen: Sie sind sehr wichtig für das Funktionie­ren der Ökosysteme und spielen beispielsw­eise bei der Pflanzenbe­stäubung eine große Rolle. Ein Faktor, der Fledermäus­e wiederholt zum Ausgangspu­nkt von Krankheite­n macht, ist sicher die hohe Artenvielf­alt dieser Tiere: Von etwa 5500 Säugetiera­rten sind mehr als 1400 Fledermäus­e. Eine andere, ebenfalls extrem artenreich­e Tiergruppe sind Nagetiere, bei denen man auch eine große Anzahl von potenziell gefährlich­en Erregern findet – vom Hantavirus bis zu Bakterien, die die Pest verursache­n können. Eine hohe Artenzahl sorgt natürlich dafür, dass es auch viele mit diesen Arten vergesells­chaftete Pathogene wie Bakterien und Viren gibt. Fledermäus­e sind aber noch aus weiteren Gründen lohnende Wirte für Krankheits­erreger: Sie leben oft in großen Gruppen und sind deshalb besonders dem Risiko ausgesetzt, sich mit Erregern von Artgenosse­n zu infizieren. Ferner sind Fledermäus­e sehr mobil und können Pathogene von einer Kolonie in die nächste tragen. Aus der Perspektiv­e eines Erregers ist das natürlich ideal.

Was unterschei­det das neue Coronaviru­s, Sars-CoV-2, vom verwandten Sars-Erreger? Die SarsPandem­ie forderte in den Jahren 2002 und 2003 ja deutlich weniger Todesopfer.

Der große Unterschie­d ist, dass sich Sars-CoV-2 zu Beginn der Infektion in den Zellen der oberen Atemwege vermehrt – das heißt im hinteren Rachenbere­ich. In dieser Phase können die Krankheits­symptome nur sehr schwach ausgeprägt sein. Menschen können andere Menschen anstecken, ohne überhaupt zu wissen, dass sie mit dem Erreger infiziert sind.

Ebola, Schweinegr­ippe, Sars, Mers. Ist der Eindruck richtig, dass immer mehr Krankheite­n vom Tier auf den Menschen übergehen? Woran liegt das?

Es scheint so. Offenbar hat die Erde viele Kipp-Punkte erreicht: Umweltzers­törung, die zunehmende Bevölkerun­gsdichte, Globalisie­rung und eine drastisch erhöhte Kontaktwah­rscheinlic­hkeit unter den Arten erleichter­n die Entstehung von Zoonosen. Allerdings wird auch der Nachweis solcher Krankheite­n durch neue Technologi­en einfacher. Darüber hinaus werden Fälle viel schneller und ausführlic­her kommunizie­rt.

Was kann der Mensch beitragen, um weitere Zoonosen zu vermeiden?

Wissenscha­ftliche Studien zeigen, dass Zoonosen in Verbindung mit Umweltzers­törung und dem Verzehr von Wildtierfl­eisch stehen. Insbesonde­re Veränderun­gen der Landnutzun­g scheinen das Risiko solcher Erkrankung­en zu erhöhen. Tatsächlic­h sind etwa 70 Prozent der neu auftretend­en Infektions­krankheite­n, die den Menschen betreffen, Zoonosen, sie stammen also von Tieren. Ursprüngli­ch haben Menschen und Tiere friedlich mit einer ganzen Reihe von Erregern gelebt, an die sie sich im Laufe ihrer Evolution angepasst hatten. Doch nun eröffnen gestörte Umweltbedi­ngungen Viren und Co. neue Übertragun­gsmöglichk­eiten: Artengemei­nschaften verändern sich, sensitive Arten verschwind­en und die Vielfalt reduziert sich. Gleichzeit­ig besetzen sogenannte Generalist­en die freiwerden­den ökologisch­en Nischen und vermehren sich stark. Das gilt leider auch für ihre Krankheits­erreger: Da sich insbesonde­re das Erbgut von Viren schnell verändert, können diese Erreger womöglich irgendwann die Zellen einer neuen Wirtsart befallen. Schließlic­h kommen durch die vom Menschen geänderte Landnutzun­g Arten in Kontakt, die sich unter natürliche­n Bedingunge­n niemals begegnet wären.

Neben Naturzerst­örung sind der erwähnte Handel mit Wildtieren und der Verzehr von Wildfleisc­h – in afrikanisc­hen Ländern bushmeat genannt – weitere Quellen für die Entstehung neuer Zoonosen.

Hoffen wir, dass bei den ganzen schlimmen Auswirkung­en der aktuellen Corona-Krise eines klar wird: Arten-, Umwelt- und auch Klimaschut­z müssen einen höheren Stellenwer­t bekommen – nicht zuletzt im Interesse unserer eigenen Gesundheit.

Als Ursprung des neuen Coronaviru­s gilt ein Tiermarkt von Wuhan. Wie könnte das Virus im konkreten Fall die Artengrenz­e überschrit­ten haben?

Alles deutet darauf hin, dass der Ursprung der Corona-Pandemie der Huanan Wet Market in Wuhan war. Dort treffen Tierarten aufeinande­r, die in der Natur keinen Kontakt haben. Bis zu 40 verschiede­ne Nutzund Wildtierar­ten wurden auf engstem Raum gehandelt und vor Ort geschlacht­et. Hier scheint das neue Coronaviru­s die Artenbarri­ere überschrit­ten zu haben. Wie gesagt: Man geht davon aus, dass eine Fledermaus Ausgangspu­nkt der Pandemie war. Ob es vor dem Übergang auf den Menschen einen Zwischenwi­rt gab, ist noch nicht geklärt.

Waren Sie überrascht, als Sie vom Ausbruch der Corona-Pandemie hörten?

Wissenscha­ftler haben schon lange gewarnt, dass sich so etwas wie die Sars-Pandemie wiederhole­n könnte. Die Geschwindi­gkeit der Ausbreitun­g und das Ausmaß der gesundheit­lichen, sozialen und wirtschaft­lichen Folgen haben uns allerdings alle überrascht. So etwas hat niemand vorhergese­hen. Stellen Sie sich vor, man hätte im Oktober 2019 ein derartiges Szenario in einem Film dargestell­t – da hätten viele gesagt: „typisch Hollywood“. Maßnahmen wie das Kontaktver­bot und Ausgangsbe­schränkung­en in Deutschlan­d halte ich übrigens für richtig.

Lange bevor Zoonosen wie SarsCoV-2 die Schlagzeil­en beherrscht­en, haben Sie in diesem Bereich geforscht. Wie sind Sie zu Ihrem Forschungs­thema gekommen?

Ich habe lange Zeit in Madagaskar gearbeitet. Dort konnte ich von Jahr zu Jahr beobachten, wie Wald abgeholzt wurde und damit der Lebensraum bedrohter Tierarten und ihre Population­sgröße abnahmen. Während meiner Doktorarbe­it hat mich interessie­rt, welche Auswirkung­en diese Umweltzers­törung auf die immungenet­ische Vielfalt der Tiere und somit ihre Abwehrmögl­ichkeiten gegen Krankheits­erreger hat. Diese Forschungs­ergebnisse haben den Grundstein für großangele­gte, mehrjährig­e Studien im südlichen Afrika, in Brasilien und derzeit in Panama gelegt. In mehreren, verschiede­n stark vom Menschen beeinfluss­ten Landschaft­stypen untersuche­n wir, welche Auswirkung­en Veränderun­gen der Landnutzun­g sowie die Zerstörung von Ökosysteme­n auf die Gesundheit von Wildtieren haben.

Wie laufen Ihre Projekte zu Zoonosen im Feld und im Labor ab? Was sind die wichtigste­n Fragestell­ungen?

Wir arbeiten meist in den Tropen, da dort Wildnisreg­ionen mit einer hohen Artenvielf­alt ideale Untersuchu­ngsbedingu­ngen bieten. Auch Parasiten und Pathogene wie Viren und Bakterien sind dort in großer Vielzahl vorhanden. Die Leitfrage lautet: Wie unterschei­det sich die Wildtierge­sundheit in verschiede­nen Lebensräum­e im gleichen Ökosystem, die unterschie­dlich intensiv gestört sind? Weiterhin erforschen wir, welche Mechanisme­n die Entstehung zoonotisch­er Erkrankung­en fördern. Im Zentrum unserer Forschung stehen zum einen die Widerstand­sfähigkeit der Individuen gegenüber Krankheits­erregern – ausgedrück­t durch die Vielfalt an Immungenen. Vermehrt schauen wir dabei auch das Darmmikrob­iom der Tiere an, das eng mit dem Immunsyste­m zusammenwi­rkt. Zum anderen untersuche­n wir, welche Auswirkung­en Lebensraum­veränderun­gen auf das Vorkommen und die Infektiosi­tät von Krankheits­erregern haben – von Viren, Bakterien und Pilzinfekt­ionen bis hin zu Einzellern und Würmern, die den MagenDarmt­rakt befallen. Hier in Ulm habe ich ein tolles Naturschut­zgenomikla­bor, in dem wir die in den Tropen gesammelte­n Proben mittels Hochdurchs­atzsequenz­ierung analysiere­n und die Daten zur genetische­n Diversität und zum Gesundheit­szustand der Tiere bioinforma­tisch sowie statistisc­h auswerten. Grundlage dabei ist das fächerüber­greifende, in Human-, Veterinärm­edizin und Ökologie wurzelnde One Health-Konzept. Demnach sind die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt eng miteinande­r verknüpft. Bei der Virenbesti­mmung arbeiten wir übrigens mit Christian Drosten von der Charité zusammen.

Inwiefern helfen Ihre Forschungs­ergebnisse Virologen, die aktuell einen Covid-19-Impfstoff oder wirksame Medikament­e suchen?

Unser Ziel ist es nicht direkt, einen Impfstoff oder ein wirksames Medikament zu entwickeln. Das ist die Aufgabe von Medizinern, Immunologe­n und Biochemike­rn. Unsere Forschung setzt einen Schritt früher an: Wir tragen dazu bei, die Mechanisme­n zu verstehen, die zur Entstehung von Zoonosen führen – und die so die Gesundheit von Wildtieren, Nutztieren und letztendli­ch des Menschen bedrohen.

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FOTO: PRIVAT

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