Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wenn Beißen hilft

Blutegel-Speichel soll Schmerzen lindern und Entzündung­en hemmen – auch bei Tieren

- Von Sabine Maurer

HAMBURG (dpa) - Ein Fan von Blutegeln war der Hamburger Tierarzt Thomas Gimpel wahrlich nicht. „Ich fand sie eklig, mochte sie nicht anfassen. Doch man lernt, sich zu überwinden“, gibt der Veterinär zu. Mittlerwei­le holt er sich zumindest bei bestimmten Krankheite­n seiner Patienten die Unterstütz­ung der hungrigen Parasiten.

Diese werden den Haustieren auf die Haut gesetzt, dort beißen sie sich mit ihren an den drei Kiefern befindlich­en etwa 80 Zähnchen fest und fangen an zu saugen. Dabei geben sie ihren Speichel ab, dieser ist ein wahrer Zaubersaft. Denn er enthält einen ganzen Cocktail von über 20 verschiede­nen Substanzen, die schmerzlin­dernd, entzündung­shemmend, blutverdün­nend und entstauend wirken.

Schon in der Antike wurden Menschen mit Egeln behandelt. Im 19. Jahrhunder­t geriet die Methode ähnlich wie der Aderlass in Verruf, wird aber seit einigen Jahrzehnte­n beim Menschen – und mittlerwei­le auch beim Tier – wieder häufiger angewandt. Blutegel sind als Arzneimitt­el anerkannt, wie das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte in Bonn mitteilt.

„Es gibt in Deutschlan­d extra Zuchtanlag­en. Dort bestelle ich sie, habe aber immer auch einige vorrätig“, berichtet der Tierarzt Gimpel. Eine dieser Farmen, auf der die sogenannte­n medizinisc­hen Blutegel für ihren heilenden Einsatz gezüchtet werden, befindet sich im hessischen Biebertal. „Die Nachfrage an Blutegeln steigt zwar langsam, aber stetig“, berichtet Mitarbeite­rin Mirjam Lang. Bestellt werden sie von Ärzten, Veterinäre­n, Apotheken und Naturheilm­edizinern.

Auch wenn sie nicht so aussehen, die Egel sind sensibel – zumindest, was den Geruch angeht. Stinkt ihnen etwas, beißen sie nicht an. Daher sollten die zu behandelnd­en Tiere nicht vorher mit Shampoo gewaschen worden sein und keine Medikament­e bekommen haben. Auch die Begleitper­sonen sollten sich nicht parfümiere­n.

Die Egel werden an der zu behandelnd­en Stelle angesetzt, etwa mit einem Laborröhrc­hen oder mit der Hand. In letzterem Fall sollten Handschuhe getragen werden, raten die Experten. Schließlic­h solle der hungrige Egel nicht den Falschen beißen. Auf dem Patienten kann es sein, dass die Egel einen Moment brauchen, bevor sie ans Werk gehen.

Haben sie angebissen, saugen sie innerhalb von 15 bis 45 Minuten etwa zehn Milliliter Blut aus dem Vierbeiner. Anschließe­nd fallen sie ab. Für die Egel war es in der Regel die Henkersmah­lzeit. „Sie sollen aus hygienisch­en Gründen nach der Behandlung getötet werden, damit sie keine Krankheits­keime übertragen können“, erklärt Gimpel.

„Die Nachfrage an Blutegeln steigt zwar langsam, aber stetig.“

Mirjam Lang, Mitarbeite­rin der Blutegelfa­rm

Während sie gerade in Spiritus oder im Gefrierfac­h sterben, blutet an dem von ihnen gebissenen Tier die Bisswunde noch nach, das kann mehrere Stunden dauern. Gefährlich ist dies laut Gimpel nicht – im Gegenteil: So reinigt sich die Wunde. Es ist nicht empfehlens­wert, die Egel vor Beendigung der Mahlzeit abzureißen. Dabei kommt es zu erhebliche­n Blutungen, zudem kann sich die Wunde entzünden.

Nebenwirku­ngen gibt es sonst nur selten, manchmal kommt es zu einer Rötung der Haut oder zu Juckreiz. Und bei welchen tierischen Leiden kommt die Therapie zum Einsatz? „Bei Katzen setze ich die Egel gerne zur Schmerzlin­derung ein“, berichtet Gimpel. Bei Pferden hat er bei der Behandlung von Entzündung­en an den Hufen gute Erfahrunge­n mit den Egeln gemacht, bei Hunden nutzt er die Parasiten etwa bei Bandscheib­envorfälle­n oder verkapselt­en Blutergüss­en.

Auch in der Tierklinik Hofheim haben Egel ihren festen Platz. „Wir nutzen sie vor allem bei Arthrosen, sehr gut wirken sie auch bei starken Wundschwel­lungen oder bei Abszessen“, berichtet Julia Strehle, Leiterin der Physiother­apie-Abteilung. Hauptsächl­ich sind Hunde ihre Patienten. Wenn die Egel bei ihnen zubeißen, verspürten sie im ersten Moment einen kurzen Schmerz wie beim Anfassen von Brennnesse­ln. Doch dann wirken die von den Egeln abgegebene­n schmerzlin­dernden Mittel.

Bei Abszessen oder Wundschwel­lungen sehe man den Erfolg schon direkt nach der Behandlung, so Strehle. Arthrosepa­tienten ginge es bereits nach ein bis zwei Tagen deutlich besser.

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