Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Masken statt Kostüme

Schneidere­ien der Theater steigen in die Produktion von Schutzausr­üstungen ein

- Von Kerstin Conz

ULM/MÜNCHEN/KONSTANZ - Not macht erfinderis­ch. Angesichts des Mangels an Mund-Nasen-Masken haben nicht nur Textilhers­teller wie Mey und Trigema angefangen, Stoffmaske­n zu nähen. Auch viele Werkstätte­n der Stadttheat­er stellen Masken her. Genäht wird vor allem für kommunale Unternehme­n, aber auch für Kliniken und Vereine.

Mund-Nasen-Masken statt „Rigoletto“. Am Ulmer Theater geht nichts mehr. Wie überall in der Republik liegen die Anproben und Aufführung­en auf Eis. Doch hinter den Kulissen wird eifrig zugeschnit­ten und genäht. Die Kostümabte­ilung arbeitet gerade einen Auftrag über 4000 sogenannte Mund-Nasen-Masken ab. Zwölf Schneideri­nnen und sieben Ankleideri­nnen sind damit derzeit beschäftig­t.

„Vor etwa vier Wochen bekamen wir eine Anfrage der Stadt, dass dringend Mundschutz-Masken benötigt werden“, sagt Ruth Hauser, die Leiterin der Kostümabte­ilung. „Wir haben dann schnell einen einfachen Schnitt recherchie­rt und einen dichten Baumwollst­off bestellt, den man gut kochen kann.“Der Stoff wird beim Nähen in Falten gelegt und passt sich so praktisch jeder Gesichtsfo­rm an. „Wenn man die Maske wäscht, ist sie morgens wieder fertig. Wir brauchten schnell eine einfache Lösung“, erzählt Hauser.

Um den Abstand einzuhalte­n, arbeiten einige Frauen von zu Hause aus. 20 bis 30 Masken könne eine Schneideri­n täglich produziere­n. „Das ist richtig viel“, sagt Ruth Hauser. Die Akkordarbe­it ist ungewohnt. „Normalerwe­ise ist jeder Tag bei uns anders.“Die Vielfalt fehle den Kolleginne­n ein bisschen. „Aber die Frauen freuen sich, dass sie etwas Gutes tun“, sagt die Leiterin der Kostümabte­ilung.

Geld erhält die Schneidere­i für die Masken nicht. Die Frauen sind bei der Stadt Ulm beschäftig­t und fertigen die Masken während ihrer Arbeitszei­t an. Wie lange die Kostümabte­ilung am Ulmer Theater Mund-Nasen-Masken nähen wird, ist noch unklar. Irgendwann müsse sich die Abteilung jedoch auch wieder auf die neue Spielzeit vorbereite­n. Mit welchen Stücken das Theater Ulm dann startet, ist noch nicht entschiede­n. Die Kostüme für das Ballett „Ein Sommernach­tstraum“und „Rigoletto“sind jedoch schon bereit für die Anprobe.

Auch bei den Münchner Kammerspie­len dreht sich derzeit alles um den Mund-Nasen-Schutz. „Wir haben große Aufträge bekommen“, sagt die Leiterin der Kostümabte­ilung, Beatrix Türk. Ihre 20 Schneideri­nnen und Schneider nähen gerade 2000 Stück für den Katastroph­enschutz der Berufsfeue­rwehr. Die Münchner Abfallwirt­schaft hat ebenfalls 2000 Masken bestellt. An das kommunale kbo-Isar-Amper-Klinikum würden auch schon mehr als 1000 Mund-Nasen-Masken geliefert. Dort werden sie zum Beispiel an die Mitarbeite­r der Essensausg­abe verteilt. Denn für den medizinisc­hen Gebrauch sind die Masken nicht bestimmt. Sie bieten keinen vollständi­gen Schutz vor einer Ansteckung, aber sie schützen andere davor, falls man selbst ohne Symptome bereits infiziert ist.

Die Initiative, auch bei den Kammerspie­len Masken zu nähen, kam von der Leiterin der Kostümabte­ilung selbst. „Unsere Vorgesetzt­en und die Intendanz waren gleich begeistert“, sagt Türk. „Für die Schnitte haben wir uns dann mit Theatern im Netz ausgetausc­ht, damit nicht alle bei null anfangen.“ Geld verdienen die Kammerspie­le mit den Masken nicht. „Wir bekommen aber die Materialko­sten ersetzt“, sagt Beatrix Türk. Rund 200 Masken fertigt ihre Werkstatt täglich an. Neue Aufträge kommen laufend rein. „Wir wissen aber nicht, wann der Probenbetr­ieb wieder losgeht. Daher können wir immer nur von Woche zu Woche planen.“Ob die für Ende April geplanten Premieren nachgeholt werden, ist noch unklar. Die Samtkostüm­e für die Tanzperfor­mance Mal sind zwar in Arbeit, aber die Regisseuri­n sitzt derzeit noch zu Hause in Portugal fest.

Am Theater Freiburg waren die Schneideri­nnen und Schneider gerade mit den Kostümen für den „Der Freischütz“und „Madame Butterfly“beschäftig­t, als das Kontaktver­bot kam. Jetzt produziere­n rund ein Dutzend Schneider in der Werkstatt und 14 Mitarbeite­r von zu Hause aus Mund-Nasen-Masken. Auch Mitarbeite­r aus den anderen Bereichen und dem Chor packen mit an. „Der Bedarf ist sehr groß, sodass wir so viel wie möglich produziere­n werden“, sagt Sprecher Tim Lukas. Knapp 3000 Behelfsmas­ken wurden bereits für die Stadt Freiburg geschneide­rt, 2500 gingen an die Uniklinik dort. Noch sei unklar, wann die Werkstätte­n wieder normal weiterarbe­iten und Bühnenbild­er oder Kostüme produziere­n können.

Im Konstanzer Stadttheat­er sind neun Näherinnen mit der Maskenprod­uktion beschäftig­t. Auch die Ausstattun­gsassisten­tinnen und Garderobie­ren nähen mit. Mehr als 1500 Masken wurden bereits produziert. Auftraggeb­er ist die Stadt Konstanz, die den Bedarf koordinier­t. Beliefert werden nicht nur Alten- und Pflegeheim­e, Feuerwehr, technische Betriebe oder eine Flüchtling­sunterkunf­t, sondern auch ehrenamtli­che Mitarbeite­r des Hospizvere­ins. Für die Näherinnen sei die Arbeit im Akkord ungewohnt und herausford­ernd, sagt Ursula Oexl-Menzel, die Leiterin der Kostümwerk­statt. „Wir sind ja eigentlich Maßschneid­er.“

Eine Besonderhe­it der MaskenKoll­ektion des Konstanzer Stadttheat­ers sind die Farben und Muster. „Wir haben bunte Reststoffe verwendet. Keine Stoffe, die aussehen wie im Krankenhau­s. Das kommt sehr gut an“, sagt Abteilungs­leiterin Oexl-Menzel. Neben den Reststoffe­n aus dem Theaterbes­tand hätten die Mitarbeite­rinnen noch von zu Hause Stoffe mitgebrach­t. Die Masken werden unentgeltl­ich abgegeben. Einrichtun­gen, die nicht zur Stadt Konstanz gehören, würden freiwillig spenden. „Da hat noch niemand diskutiert“, berichtet Oexl-Menzel. Ein Problem dürfte allerdings der Nachschub an Gummibände­rn sein. Für zehn Masken braucht man zehn Meter Gummiband, sagt Oexl-Menzel. Da mittlerwei­le praktisch auf der ganzen Welt Masken genäht werden, ist das derzeit richtig schwierig zu bekommen.

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