Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Viele Verbrauche­r beantragen Zahlungsau­fschub

- Von Kai Lohwasser

STUTTGART (dpa) - Tausende Verbrauche­r haben in der Corona-Krise den Aufschub von Zahlungen für Kredite beantragt. Allein die badenwürtt­embergisch­en Sparkassen setzten bislang nach Verbandsan­gaben Raten von knapp 30 000 Kreditnehm­ern aus. Seit 1. April müssen Banken Verbrauche­rn, die wegen der Krise in Not geraten sind, die Zahlung von Zins, Tilgung oder Rückzahlun­g von Konsumente­n- und Immobilien­krediten für drei Monate stunden. Der Präsident des Sparkassen­verbands, Peter Schneider, sagte in Stuttgart: „Für die betroffene­n Firmenund Privatkund­en ist das die erste Hilfe.“Dafür gingen die Sparkassen über den gesetzlich vorgegeben­en Zeitraum von drei Monaten hinaus und böten ihren Kunden an, die Raten bis zu sechs Monate auszusetze­n. Allein in Baden-Württember­g haben die Sparkassen bis heute ihren Privatkund­en über 12 400 Darlehen und damit mehr als 27 Millionen Euro gestundet, wie Schneider berichtete. Bei den Gewerbekun­den seien es in knapp 17 000 Fällen über 400 Millionen Euro.

RAVENSBURG - Bei Jennifer Miller steht das Telefon nicht mehr still. Seit der 4. Mai als Datum für die Wiedereröf­fnung von Friseursal­ons feststeht, hat die Friseurin aus Oberuhldin­gen am Bodensee keine ruhige Minute mehr. „Die Kunden wollten schon Stunden vor der offizielle­n Bekanntgab­e des genauen Datums Termine per Telefon und E-Mail“, erzählt die Friseurmei­sterin. Schließlic­h darf Jennifer Miller ihre Kunden seit vier Wochen nicht mehr bedienen. Am 21. März wurde sie genauso wie alle anderen baden-württember­gischen Haarstylis­ten kollektiv in Zwangsurla­ub geschickt. Kaum verwunderl­ich, dass der Bedarf nach Ordnung auf dem Haupt flächendec­kend enorm ist.

So wie bei Susanne Raschet. Die gebürtige Schweizeri­n lebt im Seniorenhe­im Rosenau in Konstanz und leidet. Seit 30 Jahren geht sie für gewöhnlich einmal die Woche zum Friseur. Jedenfalls bis zur Corona-Krise. Bis dahin zählte der allwöchent­liche Friseurbes­uch nicht nur aus ästhetisch­en Gründen zu den unverrückb­aren Terminen in ihrem Kalender, sondern spendete auch ein gutes Stück Lebensqual­ität. In ihrem Salon brachte sie sich auf den neuesten Stand – mit Illustrier­ten, die sie zwar „nicht kaufen würde“, aber gerne liest. Danach weiß sie, was es in den Königshäus­ern Neues gibt und was die Promis so machen. Dazu komme der Wellness-Faktor, das Verwöhntwe­rden im Wissen, dass man hinterher wieder schick ist. „Mir fehlt das schrecklic­h. Ich freue mich auf den Tag, an dem ich wieder hingehen kann“, sagt Raschet, deren HaarRoutin­e sich über die Jahre eingespiel­t hat: „Waschen, legen jede Woche, einmal im Monat färben und alle zwei Monate schneiden“– und das immer mittwochs. „Wenn die Haare nicht gemacht sind, fühle ich mich nicht wohl. Da geh‘ ich auch gar nicht gerne raus“, gesteht die 85-Jährige.

Mit der Dringlichk­eit, möglichst bald wieder zum Friseur gehen zu können, befindet sich Susanne Raschet in guter Gesellscha­ft. Selbst Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) musste sich am Donnerstag auf einer Pressekonf­erenz die Frage gefallen lassen: „Ihr Markenzeic­hen ist ja ihr Bürstenhaa­rschnitt. Der wächst jetzt aber langsam raus. Wann gehen Sie wieder zum Friseur?“Kretschman­ns Konter folgte auf den Fuß: „Jedenfalls zeigt meine Frisur, dass ich mich selber an die Regeln halte, die ich von anderen verlange.“

Regeln, die viele der mehr als 80 000 bundesdeut­schen und 13 000 baden-württember­gischen Friseurbet­riebe mit insgesamt mehr als 200 000 Beschäftig­ten bei Fortdauer des Lockdowns in die Insolvenz getrieben hätten. Herbert Gassert, Vorsitzend­er des Fachverban­ds Friseur und Kosmetik Baden-Württember­g, ist überzeugt: „14 Tage länger hätten das Ende vieler Salons bedeutet.“Denn an das Bilden von Rücklagen für genau solche Fälle sei bei der Mehrheit der Friseurbet­riebe angesichts der im Vergleich zu den Kosten in der Branche eher geringeren Gewinnen kaum zu denken.

Was für das Friseurhan­dwerk ein wirtschaft­liches Problem ist, stellt sich für die Kunden als optisches dar:

Wer den Gang zum Haarstylis­ten nicht abwarten kann, greift selbst zu Trimmer oder Schere, zu Farben aus der Drogerie oder versucht mit aufwendige­m Styling den Mangel an einem guten Schnitt zu verschleie­rn. Andere harren geduldig aus, kaschieren graue Ansätze mit Tüchern, Turbanen oder Caps oder nehmen aufkommend­en Wildwuchs und üppiger werdenden Weißanteil im Haar immer gelassener in Kauf, weil die Matte allmählich hoffähig wird; schließlic­h geht es ja allen so.

Allen? Nicht ganz. Wer von Berufswege­n tadellos aussehen muss, schafft das mitunter auch ganz ohne

Friseursal­on. Beispiel: Moderatore­n und Nachrichte­nsprecher im Fernsehen oder auch in der Öffentlich­keit stehende Politiker. Beispiel: Bundeskanz­lerin Angela Merkel, die zuletzt auch in der Pressekonf­erenz zum sukzessive­n Ausstieg aus dem Lockdown am 15. April optisch ihrem Stil treu blieb und frisch und profession­ell gestylt wirkte. Für Boris Aierstock, Obermeiste­r der Friseurinn­ung Biberach, Grund genug, sich die Frage zu stellen: „Gilt das Kontaktver­bot nicht für alle?“Die Bundeskanz­lerin „nimmt für Make-up und Frisur die Leistungen einer freiberufl­ichen Assistenti­n in Anspruch. Dabei sind die Handlungse­mpfehlunge­n des Robert-Koch-Instituts maßgeblich“, sagte eine Regierungs­sprecherin auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Was das genau für Handlungse­mpfehlunge­n sind, erläutert das Institut allerdings nicht.

Weniger wortkarg gibt man sich beim Öffentlich-Rechtliche­n Rundfunk. So verweist der NDR auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“auf die „klare Ansage, dass sich alle Moderatore­n und Gäste selber schminken. Dies geschieht unter der Anleitung einer Maskenbild­nerin, die dabei den Sicherheit­sabstand von zwei Metern einhält.“Nur auf persönlich­en Wunsch werde anders verfahren: „Möchten die Sprecher geschminkt werden“, passiere das immer in 1:1-Situatione­n: also eine

Maskenbild­nerin pro Sprecher. Dabei tragen die Maskenbild­nerinnen Einmalhand­schuhe und Atemschutz­masken. Während des Schminkens gebe es weder Gespräche noch Telefonate. Für alle Moderatore­n und Sprecher würden eigene Utensilien bereitgeha­lten.

Ohne solche Hygienebes­timmungen dürfen Friseure auch vom 4. Mai an nicht arbeiten. In einem Positionsp­apier des Zentralver­bandes des Deutschen Friseurhan­dwerks heißt es, Friseurbet­riebe können „unter Beachtung geeigneter Schutzmaßn­ahmen zur Vermeidung von Infektione­n mit dem Corona-Virus sicher betrieben werden“. Konkret werden Papier- oder auch selbst hergestell­te Masken sowie Haut-, Geräte- und Flächendes­infektion vorgeschri­eben.

Jennifer Miller hat deshalb vorsorglic­h den Markt nach entspreche­nder Schutzausr­üstung durchforst­et. Fündig geworden ist sie nur bedingt, denn der Onlinehand­el gebe aktuell nicht viel her, und die Angebote seien meist überteuert. Wie also lassen sich die Vorgaben umsetzen? Und vor allem: Welche Vorgaben genau? Ein verbindlic­hes Hygienekon­zept für Friseure werde in Zusammenar­beit mit dem Fachverban­d Friseur und Kosmetik Baden-Württember­g erarbeitet, sagte Baden-Württember­gs Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) am Donnerstag. Der Vorsitzend­e

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FOTO: IMAGO STOCK&PEOPLE
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