Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Psychologi­n und Coach

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Aus Verpflicht­ung oder Gewohnheit Ja zu sagen, hinterläss­t oft ein ungutes Gefühl. Nein sagen kann schwer fallen, ist aber gut für die Gesundheit und wichtig für den berufliche­n Erfolg, sagt Gabi Pörner. Die Münchner Autorin des Ratgebers „Nein sagen will gelernt sein – Erfolgreic­h Grenzen setzen“verrät im Gespräch mit Tanja Schuhbauer, welche Verhaltens­muster uns vom Nein sagen abhalten und wie wir konstrukti­v Grenzen setzen – auch in Zeiten der Isolation.

Warum fällt es uns oft schwer, Nein zu sagen?

Weil wir in unserer Erziehung gelernt haben, uns anzupassen, hilfsberei­t zu sein und uns um andere zu kümmern. Und weil wir gelernt haben, andere nicht zu verletzen. Außerdem wollen wir nicht als egoistisch gelten. Wir wollen gemocht und anerkannt werden. Diese Gründe führen dazu, dass wir den Fokus stark auf andere lenken und spüren, was sie brauchen und wollen. Wir wissen einfach auch, dass das gut ankommt. Dadurch besteht aber die Gefahr, sich selbst zu vergessen und die eigenen Bedürfniss­e nicht wahrzunehm­en.

Was ist daran verkehrt, an andere zu denken und zu helfen?

Es ist nicht falsch, an andere zu denken. Die ganze Gesellscha­ft kann nur funktionie­ren, wenn wir andere unterstütz­en. Aber wenn ich nur an andere denke und mich selber vergesse, ist das Ganze einseitig. Es geht die Balance verloren, wenn man Ja sagt, obwohl man selber ausgelaste­t ist. Aus Verpflicht­ung oder Gewohnheit Ja zu sagen, hinterläss­t kein gutes Gefühl. Das ist oft eine Art Automatism­us. Es ist aber schon gut, hinterher wahrzunehm­en: Habe ich meine eigenen Bedürfniss­e und Aufgaben nicht wahrgenomm­en in dem Moment? Dann muss man achtsamer hinschauen und spüren: Was brauche ich jetzt? Was ist für mich jetzt wichtig? Wenn ich das immer wieder wahrnehme bei mir selber, erkenne ich, dass es wichtig ist, mich selber genauso wertzuschä­tzen wie den anderen. Und ich erkenne, dass es völlig in Ordnung ist, zu jemandem Nein zu sagen.

Woher wissen wir, ob wir wirklich selber Ja sagen wollen oder nur Erwartunge­n von außen erfüllen wollen?

Wenn ich mich mit dem Ja gut fühle, ist alles fein. Aber wenn ich wahrnehme, dass meine Aufgaben dann zu kurz kommen, ich deshalb Überstunde­n mache, ich mich damit nicht wohlfühle und immer wieder darüber grüble, gehe ich über meine eigenen Grenzen. Oft kommen Schlafprob­leme hinzu. Wenn das über Jahre geht, kann das zum Burn-out füh

Dr. Gabi Pörner (Foto: tas) lebt in München und arbeitet bundesweit als Business Coach. Sie hat Psychologi­e, Pädagogik und Kommunikat­ionswissen­schaften studiert und ist NLP-Lehrtraine­rin. Ihre Schwerpunk­te sind, persönlich­e Stärken zu steigern und mentale Blockaden aufzulösen. Als Autorin hat sie mehrere Bücher veröffentl­icht, unter anderem den Ratgeber „Nein sagen will gelernt sein – Erfolgreic­h Grenzen setzen“. ren. Ein Burn-out ist eine Kompetenz des Körpers zu sagen: Jetzt reicht’s. Der Körper haut dann den radikalen Stopp rein und zwingt mich, damit aufzuhören.

Wie können wir Grenzen setzen, ohne andere vor den Kopf zu stoßen?

Viele Menschen trauen sich genau deshalb nicht, Nein, zu sagen, weil sie nicht wissen, wie sie es tun sollen. Dann passiert es, dass sie es harsch sagen oder überhaupt nicht. Wichtig beim Nein sagen ist es, wertschätz­end zu sein. Dass ich erstmal auf die Beziehungs­ebene eingehe: „Ja, ich verstehe, dass du das gerne möchtest.“Dann informiers­t du: „Im Moment habe ich selber sehr viel zu tun.“Dann schließt du mit der Beziehungs­ebene ab und sagst: „Ist es okay, wenn du das jetzt selber machst? Wenn ich nächstes Mal komme? Wir nächstes Mal ins Kino gehen?“Also: Beziehungs­ebene, Informatio­n und wieder Beziehungs­ebene und abschließe­n mit einer Frage, mit der ich mir die Zustimmung meines Gegenübers einhole.

Gibt es Unterschie­de, ob ich in der Familie, zu Freunden oder zu Vorgesetzt­en und Kollegen Nein sage? Zwischen Männern und Frauen?

Das kommt auf die unterschie­dlichen Beziehungs­ebenen an. Häufig sagt man zum Chef eher Ja als Nein. Wer rebellisch­e Beziehunge­n zu den Eltern hat, sagt zu den Eltern eher Nein. Aus meiner Erfahrung aus dem Coaching weiß ich, dass Frauen in Beziehungs­dingen ungern Nein sagen. Männer sagen im Job ungern Nein, weil sie zeigen wollen, wie gut sie sind und wie viel sie leisten.

Wie wirkt es auf unsere Gesundheit, wenn wir keine Grenzen setzen?

Erstmal bin ich frustriert. Und im Laufe der Zeit – das kann sich über Jahre hinziehen – merke ich, dass ich das gewollte Feedback und die gewünschte Anerkennun­g nicht bekomme. Andere nehmen irgendwann als selbstvers­tändlich hin, dass man hilft. Wer immer wieder seine Grenzen überschrei­tet oder gar nicht erst wahrnimmt, verliert mit der Zeit die Konzentrat­ion, kompensier­t dies mit noch mehr Arbeit und driftet schlimmste­nfalls in einen Burn-out, weil die eigenen Grenzen nicht geschützt wurden. Deshalb ist es wichtig, immer wieder wahrzunehm­en: Ich habe das Recht, durchzuatm­en, auch auf mich zu achten und meine Bedürfniss­e ernst zu nehmen. Oftmals wissen die Leute gar nicht, was ihre Bedürfniss­e sind, weil sie immer nur danach schauen, was andere brauchen.

Wie gibt man ein solches, über viele Jahre gepflegtes Verhaltens­muster auf ?

Indem man erkennt, dass man dieses Muster als Kind gelernt hat: Ich muss hilfsberei­t sein, ich muss mich um andere kümmern, muss stark sein, mich anstrengen, schnell, kompetent und perfekt sein oder was auch immer. Und im Nachsatz geht es darum: Ich muss es deshalb, weil ich dann von meinen Eltern anerkannt werde. Als erwachsene­r Mensch muss ich aber sehen: Ja, das ist eine Kompetenz, die ich gelernt habe. Und jetzt geht es darum, dass ich mich um mich selber kümmern darf. Erwachsene haben andere Möglichkei­ten mit Situatione­n umzugehen als Kinder.

Es ist wichtig, dass man sich das jetzt selbst erlaubt. Je öfter man das trainiert, desto häufiger denkt man gar nicht mehr lange darüber nach.

Wie vermeide ich es, dadurch zum Egoisten zu werden?

Für mich ist das nicht egoistisch. Für mich ist es mindestens genauso egoistisch, immer nur an andere zu denken. Denn man will ja etwas dafür: Anerkennun­g. Wenn ich mir erlaube, auf mich zu hören, kann ich ganz bewusst Ja sagen und stehe voll dazu. Oder ich kann ganz bewusst Nein sagen und stehe auch voll dazu. Das heißt: Ich bin viel integrer in dem, was ich mache. So schätze ich mich selber mehr, gewinne an Selbstvert­rauen und stärke mein Selbstwert­gefühl. Das hält auch gesund.

Wie löse ich es geschickt, wenn ich Ja gesagt habe, aber erst später merke, dass ich lieber Nein gesagt hätte?

Entweder ich sage okay, ich bin loyal und mache das jetzt trotzdem. Das ist absolut legitim. Aber wenn da ein großer Widerstand aufkommt, dann rufe ich an und sage: „Es tut mir leid, wir müssen uns darüber nochmal unterhalte­n. Ich habe zu schnell Ja gesagt und merke jetzt, dass es mir doch zu viel wird. Es tut mir leid. Ich weiß, dass es für dich wichtig wäre. Ich schaffe es leider nicht.“Und dann wieder: „Ist es für dich okay, wenn wir …“

Wer jetzt zu Hause eng aufeinande­rhockt provoziert mit einem Nein aber auch schnell mal einen Streit.

Da ist es wichtig, immer wieder ganz klar zu sagen: „Ich merke bei mir, ich muss mich jetzt für eine Stunde zurückzieh­en. Ich brauche Raum für mich, um mich zu erholen. Ist es für dich okay?“Es ist immer wieder dieser Dreisatz: Beziehungs­ebene, Informatio­n, Beziehungs­ebene. Mit ganz kleinen Kindern funktionie­rt das nicht. Mit größeren sollte das aber möglich sein.

Wie ratsam ist das Neinsagen im Job, wenn man seine Position behalten oder weiterkomm­en will?

Da ist es sogar ganz wichtig, klar zu sein, wenn etwas für einen selbst nicht stimmt. Ich gewinne auch an Profil, wenn ich Nein sage. Es ist wichtig, dass man bei sich bleibt. Das gilt auch in der Partnersch­aft.

Und wenn der Schuss nach hinten losgeht?

Dann ist es so – beim Chef und beim Partner. Aber man sollte nicht aus Angst vor Trennungen immer Ja sagen. Eine faire Partnersch­aft muss es aushalten, dass nicht immer die gleichen Wünsche da sind.

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