Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Klinische sind entscheidend“
RAVENSBURG - Wie ein möglicher Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus entsteht, erklärt Virologe Thomas Mertens (Foto: oh) im Gespräch mit Daniel Hadrys.
Welche Forschungsprojekte zu Impfstoffen halten Sie für besonders aussichtsreich?
Ich weiß von derzeit 97 Impfstoffprojekten, die mehrere, ganz unterschiedliche methodische Ansätze für die Entwicklung und Herstellung verfolgen. Einige dieser Methoden sind bereits lange bekannt und werden für die Herstellung anderer heute verwendeter Impfstoffe genutzt, andere betreten Neuland. Ein klassisches Vorgehen besteht darin, dass man viel Virus in Zellkulturen vermehrt, dieses inaktiviert und danach das gereinigte Virus oder die für die Immunantwort wichtigen abgetrennten Teile des Virus als Impfstoff verwendet. Ähnliche Impfstoffe werden täglich erfolgreich verwendet, aber die Herstellung ist aufwendig und zeitintensiv. Man kann die erforderlichen Proteine (Antigene) des Virus gentechnisch in großen Fermentern, zum Beispiel in Bierhefe, herstellen, indem man zuvor den Bierhefe-Zellen die Virusgene
(Bauplan) für das gewünschte Protein „eingebaut“hat. So wird seit Langem der sehr erfolgreiche und verträgliche Hepatitis-BVirus-Impfstoff hergestellt. Man kann für den Menschen harmlose Viren als sogenannte Vektoren so aufrüsten, dass diese zusätzlich wieder die erforderlichen Proteine von SarsCoV-2 herstellen. Diese Impfstoffe sind Lebendimpfstoffe, da die Vektorviren sich im Geimpften vermehren. So wurde ein bereits erprobter Ebolavirus-Impfstoff hergestellt. Der in Oxford in der Prüfung befindliche Sars-CoV-2-Impfstoff beruht darauf. Es gibt einige „exotische“Ansätze, bei denen man versucht, bereits „dressierte“Immunzellen als Impfstoff einzusetzen. Die derzeit viel erwähnten „gen-basierten“Impfstoffkandidaten, von denen mindestens drei in Deutschland erforscht werden und von denen einer kürzlich die Zulassung für eine erste Prüfung an Freiwilligen erhalten hat, beruhen alle darauf, dass der Impfling kein Antigen, also Virusprotein, erhält, sondern nur noch die genetische Information (Bauplan) für kleine immunogene Virusproteine in Form von RNA oder DNA geimpft bekommt. Die Virusantigene muss der Geimpfte dann selbst produzieren und dagegen auch die gewünschte Immunantwort. Das kann durchaus genial sein, aber es gibt noch keinen derartigen anderen Impfstoff beim Menschen, und der Beweis der Wirksamkeit und Sicherheit muss noch erbracht werden.
Wie sieht das Genehmigungsverfahren für Impfstoffe aus?
Nach Planung und Entwicklung im Labor folgen Tierversuche, mit denen man feststellen will, ob der Impfstoffkandidat vertragen wird und die gewünschte Immunantwort hervorruft. Auf der Basis vieler solcher Laborergebnisse wird nach Prüfung der Unterlagen ein erster Versuch an freiwilligen Menschen genehmigt (vom Paul-Ehrlich-Institut = PEI). Auch hier wird nach Verträglichkeit und nach im Labor bestimmter Immunantwort geschaut. Danach folgen üblicherweise in Phasen I bis III mehrere Untersuchungen an mehr Menschen. Diese klinischen Studien sind entscheidend, da hier nicht nur auf Verträglichkeit und im Labor auf Antikörper untersucht wird, sondern vor allem darauf, ob bei nachfolgender zufälliger Infektion mit SarsCoV-2 ein Schutz gegeben ist und keine unerwünschten immunologischen Reaktionen auftreten. In diesen Studien wird eine Gruppe Geimpfter mit einer ungeimpften Kontrollgruppe verglichen, und es dauert natürlich einige Zeit, bis ausreichend Infektionen zufällig stattgefunden haben. Danach wird die Zulassung des Impfstoffes bei der europäischen Behörde (EMA) oder in den USA bei der FDA beantragt und nach Prüfung genehmigt.