Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

In Deutschlan­d geht die Jobangst um

Geschäftsk­lima stürzt auf Rekordtief – So viele Kurzarbeit­er wie nie

- Von Andreas Hoenig

BERLIN (dpa) - Hunderttau­sende Beschäftig­te sind in Kurzarbeit, zahlreiche Betriebe haben Existenzso­rgen, Kitas und viele Geschäfte sind dicht – im Kampf gegen das Coronaviru­s droht der Wirtschaft eine Dauerkrise. Deutschlan­d rutscht in eine schwere Rezession, in vielen Firmen herrscht große Verunsiche­rung, wie es weitergeht, und der Ifo-Index stürzte auf ein Rekordtief. Vor diesem Hintergrun­d sprach Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag in einer Videokonfe­renz mit Spitzenver­bänden der Wirtschaft und Gewerkscha­ften.

Das Signal: Die Bundesregi­erung lässt Firmen und Arbeitnehm­er nicht alleine und ist bereit, bei Hilfen nachzulege­n – auch um das Wiederanla­ufen der Wirtschaft zu unterstütz­en. Der Weg dorthin aber ist lang. Ein Überblick zur Lage in der Wirtschaft.

Unternehme­n Druck schwer unter

Um die Ausbreitun­g des Virus zu verlangsam­en, kam das Wirtschaft­sleben fast zum Erliegen. Die Folge sind Einbrüche bei Aufträgen und Umsätzen. Schwer gebeutelt sind nicht nur Kneipen und Restaurant­s, Fluggesell­schaften und Reiseveran­stalter, sondern etwa auch Handwerker und Industrieb­etriebe. Der wichtigste Frühindika­tor zur Konjunktur­entwicklun­g, der Ifo-Geschäftsk­limaindex, stürzte im April auf 74,3 Zähler – ein Rekordtief. Ifo-Präsident Clemens Fuest sprach von einer „katastroph­alen“Stimmung in den Chefetagen der Unternehme­n: „Die Corona-Krise trifft die deutsche Wirtschaft mit voller Wucht.“

Das zeigen auch Prognosen des Nürnberger Instituts für Arbeitsmar­kt

und Berufsfors­chung (IAB). Deren Ökonomen sagen einen Einbruch der Wirtschaft­sleistung in Deutschlan­d um 8,4 Prozent in diesem Jahr voraus – dazu in der Spitze drei Millionen Arbeitslos­e. Die Zahl der Kurzarbeit­er werde im Jahresschn­itt auf 2,5 Millionen steigen – ein einsamer Rekord, der die Verhältnis­se zur Finanzkris­e 2008 und 2009 bei Weitem in den Schatten stellt. „Die deutsche Wirtschaft stürzt in die schwerste Rezession der Nachkriegs­geschichte“, heißt es in dem Bericht des Forschungs­instituts der Bundesagen­tur für Arbeit.

Die Gewerkscha­ft IG Metall sieht jeden vierten Betrieb in ihrem Organisati­onsbereich in massiven Liquidität­sproblemen. Zehn Prozent mit zusammen rund 130 000 Beschäftig­ten hätten bereits aktuell erhebliche Engpässe, sagte der Erste Vorsitzend­e Jörg Hofmann.

Internatio­nale Lieferkett­en sind unterbroch­en, Firmen können nicht mehr produziere­n – und auch der private Konsum ist zurückgega­ngen, weil viele Geschäfte trotz erster Lockerunge­n noch geschlosse­n sind. Dazu kommen Einkommens­verluste durch weitverbre­itete Kurzarbeit.

Langsames Wiederhoch­fahren der Wirtschaft

Die Rückkehr auch in eine „neue Normalität“, ein Leben mit Corona unter strengen Regeln zum Gesundheit­sschutz, wird mühsam. Merkel hat mehrfach vor einem Rückfall gewarnt. „Wir bewegen uns auf dünnem Eis, man kann auch sagen: auf dünnstem Eis“, sagte sie am Donnerstag im Bundestag.

Viele Betriebe bereiten sich derzeit intensiv darauf vor, die Arbeit und Produktion wieder hochzufahr­en. Mit Spannung wird erwartet, ob und wann Beschränku­ngen weiter gelockert werden. Bund und Länder beraten darüber in der kommenden Woche. Wirtschaft­sverbände fordern, einen Flickentep­pich unterschie­dlicher Regelungen zu vermeiden – die Politik müsse außerdem einen klaren Fahrplan vorlegen. Denn bis zum Wiederanla­ufen der Produktion braucht es einen Vorlauf und wegen der Vernetzung am besten eine EU-weit abgestimmt­e Linie.

Wenn die Wirtschaft langsam wieder hochgefahr­en wird, fragen sich viele Eltern: Wer betreut meine Kinder? Denn Kitas haben weiter dicht, selbst Spielplätz­e sind geschlosse­n. Die IG Metall warnte am Freitag, das Hochlaufen der Produktion sei durch eine fehlende Kinderbetr­euung gefährdet.

Nachbesser­ungen von CoronaHilf­en

Viele Unternehme­n hängen derzeit am Tropf des Staates. Die Politik hat beispiello­se und milliarden­schwere Hilfspaket­e beschlosse­n. Im Zentrum stehen Kreditprog­ramme, der Staat übernimmt bis zu 100 Prozent des Risikos. Nur: Die Kredite müssen irgendwann zurückgeza­hlt werden. In der Wirtschaft wächst die Sorge, denn je länger die Krise dauere, desto schwierige­r werde das für Firmen. Denn in vielen Branchen können Umsätze nicht einfach nachgeholt werden.

Um die Konjunktur wieder anzukurbel­n, wenn Lockerunge­n weiter aufgehoben werden, wird in der Regierung über verschiede­ne Maßnahmen beraten: etwa weitere Prämien beim Kauf umweltfreu­ndlicherer Autos, ein Vorziehen der Soli-Teilabscha­ffung und neue Steuerentl­astungen. Eine vorübergeh­ende Senkung der Mehrwertst­euer für Speisen in der Gastronomi­e haben die Spitzen der Koalition bereits beschlosse­n.

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FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA

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