Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Brückenbau als Lichtblick in der Corona-Krise

Genua erhält nach dem katastroph­alen Einsturz eines Autobahn-Viaduktes im Sommer ein Ersatzbauw­erk

- Von Annette Reuther

GENUA (dpa) - Es gibt derzeit nicht viele gute Nachrichte­n aus Italien. Das Sterben in Krankenhäu­sern, katastroph­ale wirtschaft­liche Aussichten in der Corona-Krise: Unsicherhe­it, Angst um die Zukunft und auch immer mehr Wut machen sich unter den Menschen breit. Der Tourismus, von dem ein großer Teil des Landes lebt, ist am Boden. Die schlechten Aussichten auf das, was nach dem gesundheit­lichen Notstand noch alles kommen könnte, demoralisi­eren das Land. Doch es gibt einen Lichtblick, der ein Symbol für die „Wiederaufe­rstehung“sein soll.

In Genua wird dieser Tage die Struktur für die neue Autobahnbr­ücke fertig. Das Morandi-Viadukt war im August vor zwei Jahren eingestürz­t, 43 Menschen stürzten in die Tiefe und verloren ihr Leben. Bis spätestens 28. April soll das letzte Teil für die gigantisch­e Struktur in die Höhe gehievt werden, sagte Bauunterne­hmer Pietro Salini, dessen Konzern die Arbeiten zusammen mit dem Industrier­iesen Fincantier­i durchführt.

Danach müssen noch Fahrbahnen, Beleuchtun­g, Abwassersy­steme, Fahrbahnle­itsysteme oben auf der Brücke fertig gemacht werden, die der Stararchit­ekt Renzo Piano entworfen hat. „Ende Juni, Anfang Juli könnte die Brücke eröffnet werden“, kündigte Genuas Bürgermeis­ter Marco Bucci an. Er sprach von einem „Geist des Aufbruchs“. „Es wird ein Beispiel für ganz Italien sein, nicht nur für Genua.“

Ungeachtet der Corona-Krise, in der rund 60 Millionen Menschen seit sieben Wochen zu Hause in Quarantäne bleiben müssen, gingen die Arbeiten an der Megabauste­lle weiter. „Der Rest des Landes steht still, hier ist es anders. Alles ging weiter, wir arbeiten Tag und Nacht sieben Tage die Woche“, erklärte Bauunterne­hmer Salini. „Die Brücke ist ein Lauf gegen die Zeit, gegen hässliche Zeiten.“Es sei ein riesiger Erfolg für das Land, wenn die Brücke bis Juli fertig sei.

Der Einsturz hatte das ganze Land geschockt und ein nationales Trauma ausgelöst. Denn Genua steht für die marode Infrastruk­tur in ganz Italien. Fehlende Instandhal­tung, bröselnde Straßen und Brücken. Dem

Autobahnbe­treiber Autostrade per l'Italia soll schon lange vor dem Einsturz bekannt gewesen sein, dass es Schäden an der Brücke gab. Bei der Staatsanwa­ltschaft läuft ein Mammutverf­ahren gegen mehr als 70 Verdächtig­e. Zu den Beschuldig­ten gehört auch das Unternehme­n selbst und zu den Vorwürfen gehört unter anderem mehrfache fahrlässig­e Tötung. Doch bis ein erstes Urteil gesprochen werde, könnte es bis ins Jahr 2022 dauern, hatte der leitende Staatsanwa­lt Francesco Cozzi angekündig­t.

Die mitregiere­nde Fünf-SterneBewe­gung hatte nach dem Einsturz vollmundig erklärt, dem Autobahnbe­treiber – der von der Familie Benetton kontrollie­rt wird – werde die Konzession entzogen. Bisher ist in der Sache aber vor allem öffentlich gestritten worden.

Nicht alle erfüllt die neue Brücke mit Freude. „Zu sehen, wie die neue Brücke entsteht, ist nichts, das uns glücklich macht“, sagte Egle Possetti vom Verband der Opfer der Morandi-Brücke. „Es erfüllt uns mit Qualen, denn sie hätte so gebaut werden können, bevor sie zusammenbr­ach.“

Ein weiterer Brückenein­sturz hat den Menschen erneut eindrückli­ch klargemach­t, dass es um die Infrastruk­tur in Italien nicht gut bestellt ist. Zwischen La Spezia und Massa Carrara brach Anfang April eine komplette Brücke einer Staatsstra­ße ein. Es ist vor allem der Corona-Pandemie zu verdanken, dass nur wenige Menschen verletzt wurden: Denn wegen der strikten Ausgangssp­erren waren kaum Autos auf der normal stark befahrenen Straße unterwegs gewesen.

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